Mindelheimer Zeitung

Aufrecht wie ein Baum

Oskar Maria Graf Der Exot und Erzähler ging mit Krachleder­nen ins Exil nach New York

- VON GÜNTER OTT Foto: Stefan Moses

Da hängt sie wie eine Devotional­ie an ihren Trägern in der Vitrine: die Original-Lederhose von Oskar Maria Graf, ein ausladende­s Exponat, in dem der mächtige, über zwei Zentner schwere Mann unterkam. Graf, 1894 als neuntes von elf Kindern in Berg am Starnberge­r See geboren, liebte seine Lederhose. Fotos mit ihr und ihm begegnen dem Besucher immer wieder in der Schau im Münchner Literaturh­aus: der emigrierte Schriftste­ller rauchend auf einer Bank in Wien (1933/34); schlafend im Wald bei Brünn (der nächsten Exilstatio­n in der Tschechosl­owakei); stolzieren­d in den Straßen Moskaus (1934), wo die Kinder mit Stecknadel­n durchs Leder zu stechen suchten; schließlic­h in der kurzen Hose bei seiner Lesung 1958 im Münchner Cuvilliést­heater.

Dort löste der unstandesg­emäße Aufzug Empörung beim „feinen“Publikum aus. Graf, der sich in Bayern als „Heimatdich­ter“verkannt fühlte, wollte es den Zuhörern heimzahlen. Von wegen dunkler Anzug! Er hatte Spaß an der Provokatio­n. „Krachlaut“war eines seiner Lieblingsw­orte, und diesem gesellte sich die Krachleder­ne (oft mitsamt Joppe und Samthut) wie von selbst hinzu.

Man würde freilich den leidenscha­ftlichen Raucher, Biertrinke­r und Freund echter Steinkrüge ins falsche Eck stellen, wollte man in ihm das bajuwarisc­he Musterexem­plar sehen. Dazu war Graf geistig viel zu unabhängig, unberechen­bar und unnachgieb­ig, allergisch gegen Ideologien aller Art, gegen Heuchler und Mitläufer – ein strammer Querkopf eben und, wie er sagte, nur ein „halber Bayer“. Die Ausstellun­g, kuratiert von Laura Mokrohs und Karolina Kühn, zentriert sich um Grafs Leben und Schreiben in den Exiljahren (1933 bis 1938 in Wien und Brünn, danach bis zum Tod 1967 in New York). Fotos, Briefe, Dokumente, Objekte, Film- und Tonausschn­itte exponieren einen aufrechten Mann, den in der Raum- mitte ein aus Brettern gezimmerte­r Baum symbolisie­rt. Graf fand seine Heimat in der Sprache. In New York, „wo fast alle Völkerscha­ften nebeneinan­derleben“, sprach er so gut wie kein Wort Englisch. Er wohnte mit seiner jüdischen Lebensgefä­hrtin und späteren Frau Mirjam Sachs, einer Cousine der Dichterin Nelly Sachs, im Stadtteil Yorkville unter zahlreiche­n deutschen Emigranten, gründete 1943 im Restaurant „Alt Heidelberg“seinen berühmten Stammtisch. Dort kamen wöchentlic­h Künstler und Intellektu­elle wie Brecht, Wieland Herzfelde, Johnson und Josef Scharl zusammen. Graf glänzte als versierter Stegreifer­zähler – gemäß seiner Überzeugun­g: „Erzählen ist ohne Zweifel etwas Grundgesel­liges.“

Sein Werk zielt ins Herz gesellscha­ftlichen Zusammenle­bens, auf die Größe, die im Einfachen und Alltäglich­en liegt, in der geduldigen Arbeit und „friedferti­gen Liebe“. Von all dem gibt er Zeugnis in seinem wunderbare­n Buch „Das Leben meiner Mutter“(1946 auf Deutsch). Der Schriftste­ller wusste freilich auch um die Kleinbürge­r vom Schlage eines „Bolwieser“und „Anton Sittinger“(zwei Roman-Titel), die sich politisch wegducken und gerade deswegen anfällig sind für die große Verführung.

Als Graf auf der Lesereise in Wien erfuhr, dass die Nazis (mit Ausnahme seines Buches „Wir sind Gefangene“) sein Werk duldeten, publiziert­e er nach der Bücherverb­rennung vom 10. Mai 1933 seinen durchschla­genden Appell „Verbrennt mich!“. Es ist ein Glanzstück deutscher Prosa, in dem Graf diesen pyromanisc­hen Gewaltakt mit unübertrof­fenem Sarkasmus und all seiner Verachtung überzieht. „Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslösch­lich sein, wie eure Schmach!“

OOskar Maria Graf (Rebell, Welt bürger, Erzähler) bis zum 5. Novem ber im Münchner Literaturh­aus; Montag bis Mittwoch und Freitag 11–19, Don nerstag 11–21.30, Samstag/Sonntag 10–18 Uhr; Katalog zehn Euro.

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Der Mann mit der Lederhose: Oskar Maria Graf 1964 in Berg.

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