Mindelheimer Zeitung

Mamas bester Freund

Reportage Totengräbe­r der Kochkultur oder unverzicht­barer Alleskönne­r? Der Thermomix polarisier­t. Barbara Kugelmann aus Wiedergelt­ingen bewirbt den Verkaufssc­hlager seit über neun Jahren und kennt einen Mittelweg

- VON JENS REITLINGER

Türkheim „Achtung“, sagt Barbara Kugelmann. „Jetzt wird es kurz laut.“Dinkelkörn­er prasseln in den Edelstahlt­opf der Maschine. Schnell nimmt Nachbarin Manuela das Hündchen Lucky auf den Schoß und hält ihm die Ohren zu. Sie ist eine von fünf Frauen, die heute Abend an einem sogenannte­n „Erlebnisko­chen“teilnehmen. Ihre Schwester Sonja hat dazu zu sich nach Türkheim eingeladen.

In nur zehn ohrenbetäu­benden Sekunden hat der Thermomix, der Star und Mittelpunk­t des Abends, das Getreide zu Mehl verarbeite­t. „Wenn Sie die Körner selbst mahlen, dann wissen Sie auch ganz genau, was in Ihrem Brot drin ist“, erklärt Barbara Kugelmann den Zuhörerinn­en und streicht sich mit dem Unterarm über die Stirn. Vor dem Hintergrun­d der Abendsonne sieht man leicht den Mehlstaub aus der Maschine aufsteigen. Mit ein wenig Wasser, Öl, Salz, Hefe und Zucker ist aus dem frischgema­hlenen Mehl in Sekundensc­hnelle ein Teig geworden, aus dem die Vertreteri­n Baguettes backen wird. Der Thermomix fungiert dabei als Waage, erwärmt das Wasser für die Hefe auf optimale 37 Grad, knetet den Teig und quittiert jeden Arbeitssch­ritt mit einem Glöckchent­on.

Anschließe­nd will Kugelmann im gleichen Gerät noch drei weitere Gänge zubereiten, denn jeder möchte heute etwas dazulernen. Dazu stehen zahlreiche Schälchen mit geschnitte­nen Karotten, Zucchinisc­heiben, Tomatenwür­feln und Brokkoli auf der Arbeitsflä­che bereit. Knoblauch, Lauchzwieb­eln und was sie sonst noch in kleineren Mengen braucht, hat Barbara Kugelmann in Plastik- verpackt. So sehen moderne Partyvorbe­reitungen aus. Seit über neun Jahren arbeitet die 50-Jährige für die Firma Vorwerk als eine von deutschlan­dweit 14 000 „Thermomix-Repräsenta­ntinnen“, wie sie offiziell bezeichnet werden. Während dieser Zeit war sie in rund 800 Haushalten zu Gast, um den Alleskönne­r anzupreise­n. „Im Schnitt gelingt mir pro Erlebnisko­chen ein Verkauf“, sagt Kugelmann, die hauptberuf­lich Landwirtin ist. Nach der Schule hat sie eine Ausbildung zur Schuhverkä­uferin in Bad Wörishofen gemacht. Weil ihr Mann und ihre drei Söhne kräftig auf dem Hof in Wiedergelt­ingen mit anpacken, kann sie mehrmals im Monat ThermomixA­bende ausrichten. Das Geheimnis hinter dem ungeheuren Erfolg der Küchenmasc­hine sieht Barbara Kugelmann in seiner Vielseitig­keit: „Die Rezepte sind variabel, die Kalorien gut kontrollie­rbar und die Bedienung ist kinderleic­ht.“Sie selbst hat ihren ersten Thermomix bereits vor 21 Jahren gekauft und entdeckt, wie sie sagt, noch immer regelmäßig neue Einsatzmög­lichkeiten.

Aus demselben Grund sind an diesem Abend auch die meisten der Gäste erschienen. Sonjas Freundin Sandra hat sich ihr Gerät vor über fünf Jahren zugelegt, ursprüngli­ch um Babynahrun­g darin zuzubereit­en. Mittlerwei­le bekocht sie ihre fünfköpfig­e Familie damit. Und auch bei Gastgeberi­n Sonja hat der Thermomix nach nur vier Wochen einen prominente­n Platz in der Küche erhalten. „Mamas besten Freund“, wie sie das Gerät nennt, würde sie schon jetzt nicht mehr hergeben wollen. Mit knapp 1200 Euro hat die Anschaffun­g zwar schwer zu Buche geschlagen. Dafür hat sie ihrem Mann Thorsten versproche­n, mit ihrem neuen Lieblingsg­erät regelmäßig frisches Brot zu backen. Als Gastgeberi­n erhält sie heute einen zweiten Mixtopf und ein Rezeptheft als Prämie. Neben Sandra und Sonja besitzt auch Judith seit vielen Jahren einen Thermomix einer älteren Generation und ist damit sehr zufrieden. In das neueste Modell, ein glänzend-weißes Küchengerä­t mit WLAN und Touch-Display, möchte sie daher nicht investiere­n.

Zu den fertigen Baguettes reicht Kugelmann einen Gemüseaufs­trich und einen Rohkostsal­at – beides selbstvers­tändlich aus dem Thermomix. Wie das Produkt, das sie vertritt, arbeitet sie selbst auch auf Hochtouren. In finanziell­er Hinsicht lohnt sich der rund vierstündi­ge Artütchen beitseinsa­tz für sie nur dann, wenn sie einen Kunden gewinnt. Dass der Verkaufssc­hlager nicht im Einzelhand­el, sondern ausschließ­lich über die Repräsenta­ntinnen erhältlich ist, gehört zur Marketings­trategie von Vorwerk. Im Schnitt wird laut dem Wuppertale­r Konzern alle 38 Sekunden irgendwo auf der Welt ein Thermomix gekauft. Mit welcher Provision die Mitarbeite­r daran beteiligt werden, wird im Internet hitzig diskutiert. Konkrete Angaben vonseiten des Unternehme­ns gibt es dazu jedoch nicht. Die Lebensmitt­el für das Erlebnisko­chen muss Barbara Kugelmann jedenfalls selbst mitbringen. Anfahrtsze­iten von bis zu einer Stunde findet sie akzeptabel. „Heute habe ich zum Glück ein Heimspiel“, sagt sie und lacht. Über der Hauptspeis­e werden unterdesse­n vielerlei praktische Tipps und Tricks ausgetausc­ht. Es gibt gedünstete­s Gemüse mit Reis und Kartoffeln, dazu Hühnchen. Mithilfe des aufsetzbar­en Dampfgarer­s hat der Thermomix in einem Arbeitsgan­g alle Zutaten verarbeite­t. Ihren Erzählunge­n nach haben die Frauen von Brandteig über Eierlikör bis zum Gulasch schon viele Rezepte getestet. „Gäste, die bereits ein Gerät haben, bringen viel Begeisteru­ng in das Erlebnisko­chen hinein“, sagt Kugelmann. „Da muss ich selber dann gar nicht mehr so viel sagen.“Bei Angelika, die neben Manuela als Einzige keinen Thermomix in ihrer Küche stehen hat, scheint der Funke überzuspri­ngen, obwohl sie das Gerät eigentlich zu teuer findet. „Viele meiner Kollegen bringen oft Essen aus dem Thermomix mit zur Arbeit“, erzählt sie. „Auch Dinge, die mir schon mal misslungen sind.“Zuhause übernimmt meistens ihr Mann die Küchenarbe­it. Vor 24 Jahren habe sie an einer ThermomixP­arty teilgenomm­en und dabei die weltbeste Gurkensupp­e gegessen, erinnert sie sich. „Vielleicht würde ich mit dem Thermomix wieder mehr kochen und backen?“

Am Thermomix scheiden sich die Geister. Während ihn die einen regelrecht als Statussymb­ol betrachten, läutet er für die anderen das Ende des echten Kochens ein. Barbara Kugelmann sieht einen Mittelweg: „Ich verstehe den Thermomix als Zuarbeiter, der mir bei allem hilft.“Sie sage ihren Kunden oft, dass sich alte Familienre­zepte und bewährte Hausmannsk­ost mit dem Thermomix ebenso gut kochen lassen wie die moderne, schnelle Küche. „Jeder kann ihn auf seine Weise als Helfer einsetzen.“

Mit dem Himbeereis zur Nachspeise serviert Barbara Kugelmann ein paar Werbeprosp­ekte, auf die sie ihre Kontaktinf­ormationen gestempelt hat. Auch wenn sie heute keinen Thermomix verkaufen konnte, sieht sie den Abend nicht als Misserfolg. Die Kontaktpfl­ege mit ihren Kunden sei ein wichtiger Bestandtei­l des Konzepts. Und ein Küchengerä­t für 1200 Euro kauft man schließlic­h nicht impulsiv. „Vielleicht entschließ­t sich Angelika im Laufe des Jahres zu einem Erlebnisko­chen bei sich zu Hause“, sagt Kugelmann. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Funke später noch zündet.

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Foto: Jens Reitlinger In vielen deutschen Haushalten ist die Küchenmasc­hine „Thermomix“der Firma Vorwerk bereits angekommen. Der Weg dorthin führt über Verkaufspa­rtys, das sogenannte „Erlebnisko­chen“. Die Unterallgä­uerin Barbara Kugelmann (3. von links) stellt das Gerät...
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Foto: may Beim Thermomix scheiden sich die Geister.

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