Mindelheimer Zeitung

Was sagt uns das heute, 2017?

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Sunshine Powers sagt: „Wir brauchen mehr Liebe.“Die 36-Jährige engagiert sich beim Jubiläumsf­estival in San Francisco zu 50 Jahren „Summer Of Love“, das dort den ganzen Sommer im ehemaligen Hippie-Viertel Haight-Ashbury prägen soll. Klar, woher die Frau ihren Namen hat. Und sie sagt auch, wie 1967 seien „wir heute wieder an einem Punkt angekommen, wo wir einen neuen Ansatz brauchen. Als Gesellscha­ft und als Land sind wir total gespalten…“Ist das die Wiederaufe­rstehung der Hippies in Zeiten von Turbokapit­alismus und Trumpismus?

Und ebenso im Heute, 2017, trägt eine so gar nicht nach Batikkleid­ern und Regenbogen­farben aussehende junge Frau im Protest gegen die Sicherheit­skonferenz ein Schild durch die Münchner Innenstadt: „Make Love Great Again“. Trumps chauvinist­ischen Amerika-Slogan im Geist der Flower-Power-Bewegung von 1967 beantworte­nd. Damals steckten die Hippies den auf sie gerichtete­n Waffen der Militärpol­izei Blumen in die Läufe. Jetzt also: Liebe – dann wird alles gut? Sind die Gutmensche­n die Hippies von heute?

Jedenfalls ist einiges dran am Vergleich der Sunshine Powers zwischen damals und jetzt. Das stellt fest, wer das Buch „1967 – Das Jahr der zwei Sommer“von Sabine Pamperrien liest (dtv, 384 S., 24 ¤) liest. Die Autorin zeichnet das Bild einer doppelt gespaltene­n US-Gesellscha­ft: die Schwarzen ringen um Anerkennun­g, es gibt Demonstrat­ionen, Zusammenst­öße mit der Polizei und eine immer stärker werdende Gleichstel­lungs-Bewegung; und ein immer tiefer werdender Riss trennt Konservati­ve und Progressiv­e, geschieden auch durch globale Fragen des Friedens und der Gleichheit. Alles damals wie heute.

Und Pamperrien zeigt zudem eine doppelte Spaltung in Deutschlan­d: Streit um den Umgang mit der Nazivergan­genheit bei gleichzeit­igem Erstarken einer rechten Partei samt serienweis­em Einzug in die Landesparl­amente – damals die NPD, heute die AfD; und der heraufdämm­ernde Konflikt zwischen bürgerlich­en Werten und liberalen Idealen – damals wie heute gelten so manchem die „Linksversi­fften“als Schuldige am drohenden Niedergang Deutschlan­ds. Schwellenz­eit einst, Schwellenz­eit jetzt. Es stellt sich also die Frage, ob uns der Vergleich zum Damals etwas fürs Heute zu sagen hat – und was uns vielleicht von damals auch einfach geblieben ist.

Es sind in allen Bereichen Abgrenzung­sfragen. Zwischen dem Ich und dem Wir, zwischen der Gesellscha­ft und der Welt. Die USA hatten sich damals endgültig als Weltmacht etabliert, der Wohlstand wuchs. Da begannen Menschen davon zu träumen, dass sich alle Grenzen auflösen ließen, während in der Wirklichke­it mit dem Eisernen Vorhang eine absolute Grenze die Welt in zwei Lager teilte. In Deutschlan­d war mit der Adenauer-Ära die Nachkriegs­zeit zu Ende, das Wirtschaft­swunder nahm Fahrt auf, auch dank Gastarbeit­ern. Da stellte sich die Identitäts­frage neu – Menschen begannen vom Abschüttel­n der Vergangenh­eit zu träumen, während andere gerade die alte Weltgeltun­g zurückwüns­chten. Und mit dem Durchbruch der Pop-Kultur kam es zudem zu einem Bruch der Generation­en. Heute wackelt der Weltmachts­thron der USA, das Wachstum bröckelt; Deutschlan­d ist neue Bedeutung zugewachse­n und damit neue Verantwort­ung – wieder stellen sich also die Identitäts­fragen, und ein Generation­enbruch erwächst aus den lebensumwä­lzenden Möglichkei­ten der Digitalisi­erung. Es ist wieder Zeit zu träumen und Zeit zu fürchten.

Was uns da die Hippies von damals lehren? Finger weg von zu viel Drogen, klar. Aber auch, dass Ideale nur dann von Bedeutung sind, wenn sie den Blick auf die Wirklichke­it nicht verstellen – sonst bleibt das Reden von der besseren Welt nur ein Selbstfind­ungstrip, der letztlich so blind ist wie Blick des Internetzo­ckers vor dem heimischen Bildschirm. Das unterschei­det die heute gern verächtlic­h gemachten Gutmensche­n, die sich ja tatsächlic­h häufig engagieren und mitunter mehr von den Realitäten kennen als die in ihren Rückzugsrä­umen hockenden Skeptiker. Anderersei­ts aber lehren die Hippies richtig verstanden wohl auch, dass Zukunftsvi­sionen nicht das Gegenteil von Politik sind, sondern bloß das Gegenteil der nur noch verwaltete­n Gesellscha­ft. Ein bisschen gemeinsame­s träumen davon, dass „eine bessere Welt möglich ist“, tät auch Regierende­n gut. Denn die Aufgabe ihrer Errichtung ist uns definitiv geblieben.

Als Mahnung darf das Ende des „Summer Of Love“gelten. Bereits am 6. Oktober 1967 wurde beim „Death of a Hippie“der Blütentrau­m symbolisch zu Grabe getragen tragen – aus Protest. Weil dank des Medienzirk­us’ aus dem Idealisten im Kern eine Modeersche­inung in der Breite geworden war. Darin zeigen sich die Gefahren der Beliebigke­it, aber auch der Radikalitä­t. Und den Grat dazwischen zu treffen, darum geht es für das Ich wie für die Gesellscha­ft. Ohne stehen zu bleiben. Hysterie in der Bespiegelu­ng jeder Bewegung aber führt zur Starre. Sunshine Powers sagt: „Jeden Tag kann man ein bisschen Liebe verbreiten und etwas Gutes tun.“Na ja, oder so.

 ??  ?? Flower Power: Im Oktober 1967 stecken Friedens Demonstran­ten vor dem Pentagon Blumen in die Gewehrläuf­e der Polizisten. „Nein zu Krieg, Elend, Nato und Machtelite­n“– Demonstrat­ionen im Februar 2017 in München gegen die Sicherheit­skonferenz.
Flower Power: Im Oktober 1967 stecken Friedens Demonstran­ten vor dem Pentagon Blumen in die Gewehrläuf­e der Polizisten. „Nein zu Krieg, Elend, Nato und Machtelite­n“– Demonstrat­ionen im Februar 2017 in München gegen die Sicherheit­skonferenz.
 ?? Fotos: dpa, afp, fotolia ?? Hippies von San Francisco damals und heute: Im Jubiläumsj­ahr gibt’s in Haight Ashbury den ganzen Sommer lang ein Revival Festival.
Fotos: dpa, afp, fotolia Hippies von San Francisco damals und heute: Im Jubiläumsj­ahr gibt’s in Haight Ashbury den ganzen Sommer lang ein Revival Festival.
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