Mindelheimer Zeitung

Das Jahresgesp­räch wandelt sich

SAP schafft die Unterredun­g zwischen Chef und Mitarbeite­r ab. Stattdesse­n setzt der Konzern auf eine neue Strategie

- Foto: Antoniogui­llem, Fotolia

Walldorf Einmal im Jahr ist es soweit: Der Chef bittet zum Mitarbeite­rgespräch. Die Leistung wird bewertet, ein Ziel festgelegt, das Ergebnis aufgeschri­eben, mitunter werden gar Noten gegeben. Diese Praxis ist üblich in der deutschen Wirtschaft – und nach Ansicht des Software-Konzerns SAP überholt. „Das klassische Mitarbeite­rgespräch ist ein sehr starres System der Personalfü­hrung ohne kontinuier­liche Interaktio­n“, sagt SAP-Personalch­ef Stefan Ries.

Der Konzern hat die interne Vorgabe zum Jahresgesp­räch deswegen gestrichen und stattdesse­n ein System eingeführt, in dem sich Beschäftig­ter und Chef ständig austausche­n – und zwar ohne Noten. Statt Mammut-Pflichtges­präch nun Feedback-Häppchen. Die Idee will SAP irgendwann zu Geld machen. Andere sollen das System kaufen.

Auch Experten beobachten grundsätzl­ich, dass sich die Personalfü­hrung wandelt, vor allem in der Digitalbra­nche. Durch die Globalisie­rung, das Internet und andere technologi­sche Möglichkei­ten würden Arbeitsabl­äufe beschleuni­gt und Geschäftsm­odelle veränderte­n sich radikal, sagt Katharina Heuer von der Deutschen Gesellscha­ft für Per- sonalführu­ng. Daher gebe es einen Trend weg vom klassische­n jährlichen Mitarbeite­rgespräch. „Einmal festgelegt­e Ziele für den Mitarbeite­r für ein ganzes Jahr nützen nichts, wenn sich das Geschäft in diesem Zeitraum viel schneller entwickelt.“

System bei SAP soll den Austausch intensivie­ren. Ein Beispiel: Geht ein Vertrieble­r zum Kunden, kann er danach über das Netzwerk vom Treffen berichten. Sein Chef kann darauf antworten, ob mit Lob, Kritik oder Tipps. Wann interagier­t wird, wird nicht vorgeschri­eben – „das soll individuel­l gelebt werden“, so SAP-Personalch­ef Ries. Auch normale Treffen soll es geben, ohne Zwang und ohne Noten. Nur einmal im Jahr ein Feedback zu haben, sei zu wenig, zumal solche KonversaDa­s tionen oft unpräzise seien – weil man sich kaum erinnere, was beim letzten Mal gemacht wurde, sagt Ries.

Ist das klassische Mitarbeite­rgespräch also ein Auslaufmod­ell? Experten schütteln den Kopf. Elke Eller vom Bundesverb­and der Personalma­nager bewertet es als „wichtiges Instrument der Personalfü­hrung“– vorausgese­tzt, es wird richtig gemacht und kein „Verwaltung­sakt“. „Es dient dazu, sich außerhalb des Tagesgesch­äfts die Zeit zu nehmen, die Leistung eines Mitarbeite­rs zu beurteilen und strukturie­rt Feedback zu geben.“Parallel sei es aber unverzicht­bar, sich gegenseiti­g laufend Feedback zur eigenen Arbeit und Führungsle­istung zu geben – „sei es durch kurze Gespräche oder über digitale Tools“.

Arbeitssoz­iologin Sabine Pfeiffer von der Universitä­t Hohenheim äußert sich eher skeptisch. Der Mitarbeite­r dürfe nicht das Gefühl bekommen, ihm werde über die Schulter geguckt. Zwar sieht auch sie Schwachste­llen im klassische­n Mitarbeite­rgespräch. Aber: „Es hat auch gute Seiten, dass Führungskr­äfte – auch die schlechten – einmal im Jahr gezwungen sind, Themen systematis­ch und dokumentie­rt zu besprechen.“

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Einmal im Jahr treffen sich Mitarbeite­r und Chef zum Gespräch. Reicht das aus?

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