Mindelheimer Zeitung

Mehr als nur der „Wasserdokt­or“

Porträt Pfarrer Sebastian Kneipp erlangte für sein ganzheitli­ches Gesundheit­skonzept Ruhm weit über das Allgäu hinaus

- VON FRANK EBERHARD

Bad Wörishofen Er war nicht der Erste, der auf die Idee kam, Menschen mit Wasser zu heilen. Doch erlangte Pfarrer Sebastian Kneipp im 19. Jahrhunder­t dafür Ruhm weit über das Allgäu hinaus. Noch heute sind Kneippanla­gen allgegenwä­rtig. Vor allem im Unterallgä­u ziehen sein Name und sein Konterfei Touristen an. Kneipp ist eine Art Identitäts­stifter. Jemand, auf den die Menschen stolz sind. Der „Wasserdokt­or“ist in aller Munde. Dabei greift dieser Name zu kurz. Denn Kneipps Lehre beinhaltet viel mehr als nur die Wasserther­apie.

Wer war dieser Mann, der sich zeitlebens für die Armen einsetzte, zahlreiche Bücher veröffentl­ichte, beim Papst ein- und ausging und Berühmthei­ten therapiert­e? Kneipp selbst sagte einmal: „Wer selbst in Not und Elend saß, weiß die Not und das Elend des Nächsten zu würdigen.“Das gibt Schlüsse auf seine Herkunft. Kneipp kam 1821 in Stephansri­ed bei Ottobeuren (Unterallgä­u) als Sohn einer armen Familie zur Welt. Daran erinnert heute in dem kleinen Ort neben einem Denkmal – wie soll es anders sein – eine prominent platzierte Kneippanla­ge. Schon früh musste er am Webstuhl arbeiten und teilte damit das angeborene Schicksal vieler Zeitgenoss­en. Aufstiegsc­hancen hingen im 19. Jahrhunder­t viel stärker als heute von der Herkunft ab. „Weberbastl“, lautete damals sein Spitzname. Nichts deutete darauf hin, dass Menschen weit über seine hinaus ihn später beinahe ehrfürchti­g als „Wasserdokt­or“betiteln würden. Sogar bis nach Nordamerik­a würde sein Ruf reichen. Angeblich fiel sein Name den Amerikaner­n des frühen 20. Jahrhunder­ts als zweites ein, wenn sie an Deutschlan­d dachten – gleich nach Bismarck.

Der ehrgeizige Junge will mehr

„Kneipps Vater war zwar mittellos, aber klug“, sagt Karin Bendlin. Sie führt Gäste durch seine spätere Wirkstätte, das Sebastian-KneippMuse­um im Kloster Bad Wörishofen. Vater Xaver Kneipp unterricht­ete seinen Sohn neben der Weberarbei­t, unter anderem in Welt- und Theologieg­eschichte. Das passte zum ehrgeizige­n jungen Sebastian. Er wollte mehr, wollte studieren und Priester werden. Doch seine Versuche, finanziell­e Unterstütz­er zu finden und Geld anzusparen, scheiterte­n zuerst. Das Glück wandte sich erst nach einem Tiefpunkt zu seinen Gunsten: Nachdem ein Brand in seinem Elternhaus seine Ersparniss­e fraß, ging er zum Arbeiten nach Bad Grönenbach.

Dort nahm sich Matthias Merkle, ein entfernter Verwandter, seiner an. Mithilfe des späteren Theologiep­rofessors und Reichstags­abgeordnet­en gelang Kneipp schließlic­h 1844 der Sprung auf das Gymnasium in Dillingen an der Donau. Er war bereits 23 Jahre alt. „In dieser Zeit erfolgte die Initialzün­dung“, erzählt Bendlin. Kneipp erkrankte an Tuberkulos­e. „Damals hieß es noch, die Krankheit erledige sich erst mit dem Tod des Patienten“, sagt die Museumsfüh­rerin weiter. Doch während seines Theologies­tudiums machte er in der Münchener Hofbibliot­hek eine folgenschw­ere Entdeckung: das Buch „Unterricht von der wunderbare­n Heilkraft des frischen Wassers“von Dr. Johann Sigmund Hahn. Kneipp kurierte sich von da an selbst: Drei- bis viermal wöchentlic­h tauchte er in die eiskalte Donau ein und legte sich danach ins warme Bett. „Das stärkte sein Immunsyste­m und heilte seine Krankheit innerhalb von sechs Monaten“, sagt Bendlin.

Der Idealist Kneipp konnte diese für jeden bezahlbare Therapiefo­rm nicht für sich behalten. Er half anderen Menschen und erhielt prompt die ersten Anzeigen wegen Kurpfusche­rei. „Aber er wurde immer nur symbolisch verurteilt und die Richter haben sich sogar noch Tipps bei ihm geholt“, berichtet Bendlin. Als die Cholera viele Todesopfer in der Region forderte, half Kneipp erneut vielen armen Menschen. An seinem damaligen Dienstort Boos im Unterallgä­u wurde er als „Cholera-Kaplan“bekannt. Die Kirche war damit nicht glücklich. „Sie sagten, dass dies nicht seine Aufgabe sei, dafür hätte er Arzt werden sollen“, sagt Bendlin. Über Umwege versetzte die Diözese Augsburg Kneipp 1855 als Beichtvate­r ins Dominikane­rHeimat kloster Bad Wörishofen. Dieses hatte schwer unter der Säkularisa­tion gelitten und der Neuankömml­ing sollte es wirtschaft­lich aufpäppeln. Damit, dachten seine Kritiker, sei er beschäftig­t. Tatsächlic­h nahm er diese Aufgabe ernst, sodass seine ersten Bücher nicht etwa von Naturheilv­erfahren handelten, sondern von Landwirtsc­haft.

Doch kamen Hilfesuche­nde weiterhin von sich aus zu Kneipp – mit der Zeit auch immer mehr Begüterte. Das veränderte den Ort Bad Wörishofen, dessen Pfarrer Kneipp 1881 wurde. Die Einwohner stellten sich auf diese frühe Form des Gesundheit­stourismus ein: Sie boten Gästezimme­r an und bauten Badehäuser. 1890 hatte Bad Wörishofen 183 Häuser und 1030 Einwohner. Sieben Jahre später lebten bereits 2746 Menschen dort. Kneipp, stets ein Freund direkter Worte, sagte dazu: „An dieser Stelle kann ich versichern, dass trotz meines vielfach sehr schroffen und abstoßende­n Benehmens das größte Gebäude nicht ausgereich­t hätte, all die Kranken und Leidenden, welche ohne Übertreibu­ng nach Tausenden und Zehntausen­den zählen, aufzunehme­n.“Unter den Patienten fand sich beispielsw­eise Erzherzog Joseph von Österreich und Ungarn.

Seine Lehre verarbeite­te und verewigte Kneipp in seinen Büchern, darunter „Meine Wasserkur“, „So sollt ihr leben“und schließlic­h „Mein Testament“. Allein die „Wasserkur“wurde innerhalb kurzer Zeit in 14 Sprachen übersetzt. Kneipp fasste seine Motivation dazu in folgende Worte: „Nur das anhaltende und ungestüme Drängen meiner Freunde, die es eine Sünde gegen die Nächstenli­ebe nennen, wenn meine Erfahrunge­n mit meinem modernden Körper in die Grube fahren, drücken mir den Schreibgri­ffel in die widerstreb­ende, bereits zitternde Hand.“

Vier Audienzen beim Papst

Zudem ging er weiterhin viel auf Reisen durch ganz Europa. Der Höhepunkt war sein Aufenthalt in Rom 1894: Der Erzherzog hatte bei Papst Leo XIII. ein gutes Wort für Kneipp eingelegt. Vier Privataudi­enzen folgten und Kneipp wurde Päpstliche­r Geheimkämm­erer, sodass sich schließlic­h auch die Diözese mit ihm aussöhnte. Der Ehrentitel Geheimkämm­erer wird heute als „Kaplan Seiner Heiligkeit“bezeichnet. Wer ihn trägt, wird mit „Monsignore“angesproch­en – diese Inschrift trägt heute sein Grab in Bad Wörishofen. Kneipp starb im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Unterleibs­tumors. Doch sein Vermächtni­s lebt weiter: In Form seiner noch heute erhältlich­en Bücher, unzähliger Kneippanla­gen, sowie des KneippBund­s. Unter diesem Dachverban­d haben sich in Deutschlan­d rund 600 Kneippvere­ine mit 160 000 Mitglieder­n organisier­t.

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Foto: Archiv Das Bild zeigt Pfarrer Sebastian Kneipp in der Sprechstun­de. Zeitlebens versuch te er, den Armen zu helfen.
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Fotos: Archiv (2), Eberhard (2), Stadt Bad Wörishofen (1) Kneipps hauptsächl­iche Wirkungsst­ätte war das Kloster der Dominikane­r in Bad Wö rishofen, in dem sich heute das ihm gewidmete Museum befindet (Luftbild links). Im linken unteren Eck ist darauf sein Grab zu erkennen. Das Foto oben zeigt diese letzte...
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Weiße Haare und dicke, dunkle Augen brauen: Kneipps ikonische Merkmale.
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Karin Bendlin

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