Mehr als nur der „Wasserdoktor“
Porträt Pfarrer Sebastian Kneipp erlangte für sein ganzheitliches Gesundheitskonzept Ruhm weit über das Allgäu hinaus
Bad Wörishofen Er war nicht der Erste, der auf die Idee kam, Menschen mit Wasser zu heilen. Doch erlangte Pfarrer Sebastian Kneipp im 19. Jahrhundert dafür Ruhm weit über das Allgäu hinaus. Noch heute sind Kneippanlagen allgegenwärtig. Vor allem im Unterallgäu ziehen sein Name und sein Konterfei Touristen an. Kneipp ist eine Art Identitätsstifter. Jemand, auf den die Menschen stolz sind. Der „Wasserdoktor“ist in aller Munde. Dabei greift dieser Name zu kurz. Denn Kneipps Lehre beinhaltet viel mehr als nur die Wassertherapie.
Wer war dieser Mann, der sich zeitlebens für die Armen einsetzte, zahlreiche Bücher veröffentlichte, beim Papst ein- und ausging und Berühmtheiten therapierte? Kneipp selbst sagte einmal: „Wer selbst in Not und Elend saß, weiß die Not und das Elend des Nächsten zu würdigen.“Das gibt Schlüsse auf seine Herkunft. Kneipp kam 1821 in Stephansried bei Ottobeuren (Unterallgäu) als Sohn einer armen Familie zur Welt. Daran erinnert heute in dem kleinen Ort neben einem Denkmal – wie soll es anders sein – eine prominent platzierte Kneippanlage. Schon früh musste er am Webstuhl arbeiten und teilte damit das angeborene Schicksal vieler Zeitgenossen. Aufstiegschancen hingen im 19. Jahrhundert viel stärker als heute von der Herkunft ab. „Weberbastl“, lautete damals sein Spitzname. Nichts deutete darauf hin, dass Menschen weit über seine hinaus ihn später beinahe ehrfürchtig als „Wasserdoktor“betiteln würden. Sogar bis nach Nordamerika würde sein Ruf reichen. Angeblich fiel sein Name den Amerikanern des frühen 20. Jahrhunderts als zweites ein, wenn sie an Deutschland dachten – gleich nach Bismarck.
Der ehrgeizige Junge will mehr
„Kneipps Vater war zwar mittellos, aber klug“, sagt Karin Bendlin. Sie führt Gäste durch seine spätere Wirkstätte, das Sebastian-KneippMuseum im Kloster Bad Wörishofen. Vater Xaver Kneipp unterrichtete seinen Sohn neben der Weberarbeit, unter anderem in Welt- und Theologiegeschichte. Das passte zum ehrgeizigen jungen Sebastian. Er wollte mehr, wollte studieren und Priester werden. Doch seine Versuche, finanzielle Unterstützer zu finden und Geld anzusparen, scheiterten zuerst. Das Glück wandte sich erst nach einem Tiefpunkt zu seinen Gunsten: Nachdem ein Brand in seinem Elternhaus seine Ersparnisse fraß, ging er zum Arbeiten nach Bad Grönenbach.
Dort nahm sich Matthias Merkle, ein entfernter Verwandter, seiner an. Mithilfe des späteren Theologieprofessors und Reichstagsabgeordneten gelang Kneipp schließlich 1844 der Sprung auf das Gymnasium in Dillingen an der Donau. Er war bereits 23 Jahre alt. „In dieser Zeit erfolgte die Initialzündung“, erzählt Bendlin. Kneipp erkrankte an Tuberkulose. „Damals hieß es noch, die Krankheit erledige sich erst mit dem Tod des Patienten“, sagt die Museumsführerin weiter. Doch während seines Theologiestudiums machte er in der Münchener Hofbibliothek eine folgenschwere Entdeckung: das Buch „Unterricht von der wunderbaren Heilkraft des frischen Wassers“von Dr. Johann Sigmund Hahn. Kneipp kurierte sich von da an selbst: Drei- bis viermal wöchentlich tauchte er in die eiskalte Donau ein und legte sich danach ins warme Bett. „Das stärkte sein Immunsystem und heilte seine Krankheit innerhalb von sechs Monaten“, sagt Bendlin.
Der Idealist Kneipp konnte diese für jeden bezahlbare Therapieform nicht für sich behalten. Er half anderen Menschen und erhielt prompt die ersten Anzeigen wegen Kurpfuscherei. „Aber er wurde immer nur symbolisch verurteilt und die Richter haben sich sogar noch Tipps bei ihm geholt“, berichtet Bendlin. Als die Cholera viele Todesopfer in der Region forderte, half Kneipp erneut vielen armen Menschen. An seinem damaligen Dienstort Boos im Unterallgäu wurde er als „Cholera-Kaplan“bekannt. Die Kirche war damit nicht glücklich. „Sie sagten, dass dies nicht seine Aufgabe sei, dafür hätte er Arzt werden sollen“, sagt Bendlin. Über Umwege versetzte die Diözese Augsburg Kneipp 1855 als Beichtvater ins DominikanerHeimat kloster Bad Wörishofen. Dieses hatte schwer unter der Säkularisation gelitten und der Neuankömmling sollte es wirtschaftlich aufpäppeln. Damit, dachten seine Kritiker, sei er beschäftigt. Tatsächlich nahm er diese Aufgabe ernst, sodass seine ersten Bücher nicht etwa von Naturheilverfahren handelten, sondern von Landwirtschaft.
Doch kamen Hilfesuchende weiterhin von sich aus zu Kneipp – mit der Zeit auch immer mehr Begüterte. Das veränderte den Ort Bad Wörishofen, dessen Pfarrer Kneipp 1881 wurde. Die Einwohner stellten sich auf diese frühe Form des Gesundheitstourismus ein: Sie boten Gästezimmer an und bauten Badehäuser. 1890 hatte Bad Wörishofen 183 Häuser und 1030 Einwohner. Sieben Jahre später lebten bereits 2746 Menschen dort. Kneipp, stets ein Freund direkter Worte, sagte dazu: „An dieser Stelle kann ich versichern, dass trotz meines vielfach sehr schroffen und abstoßenden Benehmens das größte Gebäude nicht ausgereicht hätte, all die Kranken und Leidenden, welche ohne Übertreibung nach Tausenden und Zehntausenden zählen, aufzunehmen.“Unter den Patienten fand sich beispielsweise Erzherzog Joseph von Österreich und Ungarn.
Seine Lehre verarbeitete und verewigte Kneipp in seinen Büchern, darunter „Meine Wasserkur“, „So sollt ihr leben“und schließlich „Mein Testament“. Allein die „Wasserkur“wurde innerhalb kurzer Zeit in 14 Sprachen übersetzt. Kneipp fasste seine Motivation dazu in folgende Worte: „Nur das anhaltende und ungestüme Drängen meiner Freunde, die es eine Sünde gegen die Nächstenliebe nennen, wenn meine Erfahrungen mit meinem modernden Körper in die Grube fahren, drücken mir den Schreibgriffel in die widerstrebende, bereits zitternde Hand.“
Vier Audienzen beim Papst
Zudem ging er weiterhin viel auf Reisen durch ganz Europa. Der Höhepunkt war sein Aufenthalt in Rom 1894: Der Erzherzog hatte bei Papst Leo XIII. ein gutes Wort für Kneipp eingelegt. Vier Privataudienzen folgten und Kneipp wurde Päpstlicher Geheimkämmerer, sodass sich schließlich auch die Diözese mit ihm aussöhnte. Der Ehrentitel Geheimkämmerer wird heute als „Kaplan Seiner Heiligkeit“bezeichnet. Wer ihn trägt, wird mit „Monsignore“angesprochen – diese Inschrift trägt heute sein Grab in Bad Wörishofen. Kneipp starb im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Unterleibstumors. Doch sein Vermächtnis lebt weiter: In Form seiner noch heute erhältlichen Bücher, unzähliger Kneippanlagen, sowie des KneippBunds. Unter diesem Dachverband haben sich in Deutschland rund 600 Kneippvereine mit 160 000 Mitgliedern organisiert.