Mindelheimer Zeitung

Kohls Sohn kommt nicht zum Begräbnis

Politbarom­eter Auch der europäisch­e Staatsakt findet breite Zustimmung. Warum Merkel und Schulz mit der Umfrage zufrieden sein können

- VON JOACHIM BOMHARD

Berlin Der älteste Sohn von Altbundesk­anzler Helmut Kohl wird an der Beisetzung seines Vaters in Speyer nicht teilnehmen. „Ich finde die bisherige Entwicklun­g unwürdig, für meinen Vater, für Deutschlan­d und für Europa“, kritisiert­e Walter Kohl in der Zeit. Er halte es für eine falsche Entscheidu­ng, dass sein Vater nicht im Familiengr­ab in Ludwigshaf­en beerdigt werde. Walter Kohl schlägt vor, nach dem Trauerakt in Straßburg anstelle der Zeremonien in Speyer am Brandenbur­ger Tor in Berlin eine Verabschie­dung mit einem Staatsakt, einem ökumenisch­en Requiem und einem Großen Zapfenstre­ich abzuhalten: „Ich bin überzeugt, dass diese Idee bei voller Gesundheit seine Zustimmung gefunden hätte.“

Augsburg Helmut Kohl ist seit einer Woche tot – wie denkt die Bevölkerun­g knapp 20 Jahre nach dem Ende von dessen Kanzlersch­aft über sein politische­s Lebenswerk? Weit überwiegen­d positiv, hat das neue Politbarom­eter des ZDF bei Umfragen Mitte dieser Woche herausgefu­nden. 81 Prozent gaben dem ehemaligen CDU-Politiker eine gute Note, nur elf Prozent sagten, er habe seine Arbeit schlecht gemacht. Die Zustimmung erstreckt sich dabei über die Anhänger aller politische­n Lager. Wobei sie bei CDU/CSU (92 Prozent) und FDP (94) deutlich größer ist als bei Grünen (65) oder Linken (62). Die SPD-Anhänger (75) bewegen sich in der Mitte.

Bleibt die Frage, ob es richtig ist, für Kohl am 1. Juli einen europäisch­en Staatsakt, wie es ihn noch nie gegeben hat, auszuricht­en. Knapp drei von vier Befragten waren dafür, 22 Prozent hielten das für nicht angemessen und fünf Prozent hatten dazu einfach keine Meinung.

Genau drei Monate vor der Bundestags­wahl herrscht unterdesse­n für die Parteien an der Umfragefro­nt relative Ruhe. Im Politbarom­eter gibt es sowohl für CDU/CSU als auch für die SPD weder ein Vor noch ein Zurück. Würde am Sonntag gewählt, bekämen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre Union 39 Prozent – falls die Deutung der Umfrageerg­ebnisse richtig liegt. Herausford­erer Martin Schulz und die Sozialdemo­kraten müssten sich mit 25 Prozent zufriedeng­eben.

Unter den Bundestags­parteien können sich im Vergleich zu Anfang Juni einzig die Grünen, die sich am vergangene­n Wochenende mit ihrem Parteitag in Berlin inhaltlich in Erinnerung gebracht haben, leicht verbessern: von sieben auf acht Prozent. Der Linken geht es wie Union und SPD: Stillstand – in diesem Fall bei neun Prozent. Für FDP (unveränder­t acht Prozent) und AfD (sieben statt bisher acht) stehen nach wie vor die Chancen gut, bald ebenfalls dem Bundestag anzugehöre­n.

Welche politisch denkbaren Koalitione­n sind damit möglich? Natürlich weiter eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD, die sich auch 19 Prozent der Befragten wünschen. Ansonsten nur ein „JamaikaBün­dnis“von Union, Grünen und FDP, das allerdings in den Fantasien der Befragten keine größere Rolle zu spielen scheint. SchwarzGel­b, für das es momentan aber nicht reichen würde, wünschen sich hingegen 18 Prozent.

Auf die Frage, welches Thema im Moment am wichtigste­n ist, antwortet fast jeder Zweite: „Flüchtling­e, Ausländer, Integratio­n“. Mit großem Abstand folgen „Soziales Gefälle“(16 Prozent) „Terror, Krieg und Frieden“(13) sowie Rente und Alterssich­erung (12). Erst an sechster Stelle folgt – noch nach der Bildung (10) – das Thema „Kriminalit­ät und innere Sicherheit“(8). Interessan­t dabei: Die 1261 zufällig ausgewählt­en Wahlberech­tigten hatten keine Vorgaben zur Auswahl, sollten aber bis zu zwei Themen nennen. Nur fünf Prozent sagten übrigens, dass für sie der „Verdruss über Politiker“das wichtigste Problem sei.

Die persönlich­en Werte der zehn wichtigste­n Politiker haben sich in den vergangene­n drei Wochen fast durchgehen­d nach unten entwickelt, einzig SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz bleibt auf der Skala von +5 bis -5 stabil bei 0,8 Punkten. Gefragt wird dabei immer, wie Leistung und Sympathie eines Politikers beurteilt werden. Auf dieser Liste steht Angela Merkel (2,1; -0,1 Punkte) weiter unangefoch­ten an der Spitze vor dem grünen badenwürtt­embergisch­en Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (1,8) und Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble von der CDU (1,7). Schlusslic­hter der Top Ten sind weiterhin Bayerns Ministerpr­äsident und CSU-Chef Horst Seehofer (0,5) und Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU; 0,2).

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Foto: Arno Burgi, dpa Altkanzler Helmut Kohl findet noch viel Zustimmung.

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