Die Kneippstadt feiert sich selbst
950 Jahre Kinder ernten beim Festakt Beifallssturm für ihr Geschichts-Theater. „Wiesn-Pfarrer“Rainer Maria Schießler gibt den Wörishofer einen guten Rat und Pfarrerin Susanne Ohr mahnt angesichts des Dauerstreits in der Stadt
Bad Wörishofen Im Kursaal war es mäuschenstill, die Gäste hielten kurz den Atem an, als die Glocken von St. Justina und der evangelischen Erlöserkirche die Geburtstagsfeier der Stadt einläuteten. 950 Jahre Bad Wörishofen, ein stolzes Jubiläum, das es gebührend zu feiern galt, das aber auch nachdenklich stimmte.
Nach einem ökumenischen Gebet und dem Segen von Pfarrerin Susanne Ohr und Stadtpfarrer Andreas Hartmann reichten sich Bürger, Kurgäste, Stadträte, Schulleiter, Hoteliers Ärzte, Ordens- und Geschäftsleute, wie auch Schulleiter sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik die Hand zum Friedensgruß.
Mehr Frieden in der Kneippstadt wünschte sich Pfarrerin Ohr in der Kneippstadt. Sie sparte in ihrer Ansprache nicht mit deutlichen Worten und zitierte an die Adresse von Stadtrat und Bürgermeister gerichtet den Propheten Jeremia, der schon die Menschen seiner Zeit ermahnte: „Suchet der Stadt Bestes, denn wenn es ihr wohl ergeht, so geht es auch euch wohl“. Die Theologin forderte sie auf, wie bei einem Computer den Resetknopf zu drücken und einen Neustart zu wagen. „Alle Wut, Enttäuschungen, Verletzungen und Frustrationen hinter sich lassen“, schlug sie angesichts er anhaltenden Zwistigkeiten vor und eröffnete die Vorstellung: „Nicht eigene Interessen stehen im Vordergrund, sondern die Neugierde auf eine Fülle von Möglichkeiten“. Es sei nicht wichtig, Position zu beziehen, sondern gemeinsame Wege zu finden, redete Ohr dem Rathauschef und den Stadtratsmitgliedern ins Gewissen. So manches könnte ihrer Meinung nach ausprobiert werden, wenn niemand meckert und alle den guten Willen der anderen sehen.
„Aufstehen, aufeinander zugehen, von einander lernen mit einander umzugehen“gab denn auch ein Projektchor als musikalische Losung aus und alle stimmten mit ein. Für einen furiosen Auftakt der Jubiläumsfeierlichkeiten sorgten außerdem die Blaskapellen der Stadt und ihrer Ortsteile mit der Uraufführung des „Werenshova-Marsches“. Sanni Risch hat ihn, wie sie erzählte, während einer Radtour um Bad Wörishofen im Geiste komponiert und später dazu die Noten geschrieben. Mehrere Kapitel der wechselvollen Geschichte der Stadt und des Klosters schlug Bürgermeister Paul Gruschka in seiner Festrede auf. Besonders erwähnte der Rathauschef die dynamische Entwicklung des Heilbades unter Pfarrer Sebastian Kneipp. Erwähnung fanden auch die „goldenen Jahre der Kur“und die des Strukturwandels angesichts mehrerer Gesundheitsreformen.
Gruschka schwärmte von einem „extrem schnellen Sprung vom Bauerndorf zum Weltbad“und zur Dienstleistungsgesellschaft. „Als familienund innovationsfreudige Stadt hat Bad Wörishofen viel auf den Weg gebracht und ist auch als Wirtschaftsstandort sehr begehrt“, betonte das Stadtoberhaupt. Die Bürger bat er, die Stadt auf ihrem Weg in die Zukunft auch weiterhin zu unterstützen. Diese Bitte nahm
Gruschka auch zum Anlass, um sich bei Hans Kania zu bedanken, der im Einvernehmen mit seiner verstorbenen Frau den Kindern zum Stadtjubiläum einen Verkehrserziehungsgarten spendiert hatte (wir berichteten).
Einen Beifallssturm ernteten die Schüler der Klasse 3b der Pfarrer Kneipp-Grund- und Mittelschule, die spielend die 950-jährige Geschichte der Stadt in Szene setzten. Sie erinnerten an die fromme und kinderlose Adelige Christina von Fronhofen wie auch an Otthalm de Werenshova. Die beiden historischen und an der Gründung der Stadt beteiligten Gestalten sich sehr lebendig und und auch über die Geschehnisse des Wörishofen im 21. Jahrhundert bestens informiert. Sie schwämten unter anderem – „hat ja auch genug gekostet“– von der neuen Dreifachturnhalle und Christina von Fronhofen gab zu: „Beim Festival der Nationen wäre auch ich wegen David Garrett schwach geworden“. Viel Beifall ernteten nicht nur die Kinder sonder auch Thessy Glonner, die das Stück schrieb und Ursula Glanz, die es mit ihnen einstudierte
Das Beste kam wie bei großen Festen zum Schluss. Die Rede ist von den humorvollen Ausführungen des als „Wiesn-Pfarrer“bekannt gewordenen Rainer Maria Schießler. Gleich zu Beginn seiner Festrede outete sich Bayerns bekanntester katholischer Seelsorger – verschmitzt, wie man ihn kennt – als „glühender Verehrer“des Wasserdoktors, „der wie ich ein Sturkopf war.“Kneipp sei aus den Schemata seiner Zeit ausgebrochen, habe dabei Grenzen überschritten und sei gierig nach neuen Erfahrungen gewesen. Und das, so Schießler, als Priester in einer immer und ewig „alles bewahrenden und nur das sichere und geschützte hergeben und nichts Neues ausprobieren wollenden Kirche“. Als Kurpfuscher und Eigenbrötler gescholten, habe sich Kneipp als Naturkundler mit besonderen Gesundheitsideen weithin einen Namen gemacht. Schon zu seinen Lebzeiten sei er in den USA nach Präsident Roosevelt und Bismarck der drittbekannteste Mann gewesen. Unser Leben, sagte Pfarrer Schießler, hänge „an einem seidenen Faden. Damit es gelingt, brauche es oben und unten eine feste Verankerung. Die Kraft von Oben und eine Basis auf der es gründen kann.“Hier brachte Schießler stützende Gemeinschaften wie die Kneipp-Vereine ins Spiel. Die seien keine nostalgischen Restprodukte, sondern im Zeitalter neuer leib-seelischer Krankheiten unverzichtbar. Und schließlich der eindringliche Appell Schießlers: „Liebe Wörishofer, macht’s wie euer Pfarrer Kneip, bewahrt sein Erbe, werdet ganze Menschen, rettet und helft einander und wenns sein muss auch in Badelatschen.“
Und während die Stadtkapelle mit dem Wörishofer Festmarsch den musikalischen Schlusspunkt setzte, kam der Festredner auch mit Landrat Hans-Joachim Weirather und anderen Ehrengästen ins Gespräch.
Von Bürgermeister Gruschka reich beschenkt, fragte Pfarrer Schießler „Ja ist denn schon wieder Weihnachten“.
Gestern ging das Jubiläumsfest am Nachmittag weiter, am Abend mit einem großen Konzert der Singund Musikschule. Darüber berichten wir in der Montagsausgabe. Am heutigen Samstag warten weitere Attraktionen und ein Konzert-Höhepunkt
Bürgermeister Gruschka erinnert an die dynamische Entwicklung der Stadt in der Zeit Kneipps