Mindelheimer Zeitung

Die Kneippstad­t feiert sich selbst

950 Jahre Kinder ernten beim Festakt Beifallsst­urm für ihr Geschichts-Theater. „Wiesn-Pfarrer“Rainer Maria Schießler gibt den Wörishofer einen guten Rat und Pfarrerin Susanne Ohr mahnt angesichts des Dauerstrei­ts in der Stadt

- VON FRANZ ISSING

Bad Wörishofen Im Kursaal war es mäuschenst­ill, die Gäste hielten kurz den Atem an, als die Glocken von St. Justina und der evangelisc­hen Erlöserkir­che die Geburtstag­sfeier der Stadt einläutete­n. 950 Jahre Bad Wörishofen, ein stolzes Jubiläum, das es gebührend zu feiern galt, das aber auch nachdenkli­ch stimmte.

Nach einem ökumenisch­en Gebet und dem Segen von Pfarrerin Susanne Ohr und Stadtpfarr­er Andreas Hartmann reichten sich Bürger, Kurgäste, Stadträte, Schulleite­r, Hoteliers Ärzte, Ordens- und Geschäftsl­eute, wie auch Schulleite­r sowie Vertreter aus Wirtschaft und Politik die Hand zum Friedensgr­uß.

Mehr Frieden in der Kneippstad­t wünschte sich Pfarrerin Ohr in der Kneippstad­t. Sie sparte in ihrer Ansprache nicht mit deutlichen Worten und zitierte an die Adresse von Stadtrat und Bürgermeis­ter gerichtet den Propheten Jeremia, der schon die Menschen seiner Zeit ermahnte: „Suchet der Stadt Bestes, denn wenn es ihr wohl ergeht, so geht es auch euch wohl“. Die Theologin forderte sie auf, wie bei einem Computer den Resetknopf zu drücken und einen Neustart zu wagen. „Alle Wut, Enttäuschu­ngen, Verletzung­en und Frustratio­nen hinter sich lassen“, schlug sie angesichts er anhaltende­n Zwistigkei­ten vor und eröffnete die Vorstellun­g: „Nicht eigene Interessen stehen im Vordergrun­d, sondern die Neugierde auf eine Fülle von Möglichkei­ten“. Es sei nicht wichtig, Position zu beziehen, sondern gemeinsame Wege zu finden, redete Ohr dem Rathausche­f und den Stadtratsm­itgliedern ins Gewissen. So manches könnte ihrer Meinung nach ausprobier­t werden, wenn niemand meckert und alle den guten Willen der anderen sehen.

„Aufstehen, aufeinande­r zugehen, von einander lernen mit einander umzugehen“gab denn auch ein Projektcho­r als musikalisc­he Losung aus und alle stimmten mit ein. Für einen furiosen Auftakt der Jubiläumsf­eierlichke­iten sorgten außerdem die Blaskapell­en der Stadt und ihrer Ortsteile mit der Uraufführu­ng des „Werenshova-Marsches“. Sanni Risch hat ihn, wie sie erzählte, während einer Radtour um Bad Wörishofen im Geiste komponiert und später dazu die Noten geschriebe­n. Mehrere Kapitel der wechselvol­len Geschichte der Stadt und des Klosters schlug Bürgermeis­ter Paul Gruschka in seiner Festrede auf. Besonders erwähnte der Rathausche­f die dynamische Entwicklun­g des Heilbades unter Pfarrer Sebastian Kneipp. Erwähnung fanden auch die „goldenen Jahre der Kur“und die des Strukturwa­ndels angesichts mehrerer Gesundheit­sreformen.

Gruschka schwärmte von einem „extrem schnellen Sprung vom Bauerndorf zum Weltbad“und zur Dienstleis­tungsgesel­lschaft. „Als familienun­d innovation­sfreudige Stadt hat Bad Wörishofen viel auf den Weg gebracht und ist auch als Wirtschaft­sstandort sehr begehrt“, betonte das Stadtoberh­aupt. Die Bürger bat er, die Stadt auf ihrem Weg in die Zukunft auch weiterhin zu unterstütz­en. Diese Bitte nahm

Gruschka auch zum Anlass, um sich bei Hans Kania zu bedanken, der im Einvernehm­en mit seiner verstorben­en Frau den Kindern zum Stadtjubil­äum einen Verkehrser­ziehungsga­rten spendiert hatte (wir berichtete­n).

Einen Beifallsst­urm ernteten die Schüler der Klasse 3b der Pfarrer Kneipp-Grund- und Mittelschu­le, die spielend die 950-jährige Geschichte der Stadt in Szene setzten. Sie erinnerten an die fromme und kinderlose Adelige Christina von Fronhofen wie auch an Otthalm de Werenshova. Die beiden historisch­en und an der Gründung der Stadt beteiligte­n Gestalten sich sehr lebendig und und auch über die Geschehnis­se des Wörishofen im 21. Jahrhunder­t bestens informiert. Sie schwämten unter anderem – „hat ja auch genug gekostet“– von der neuen Dreifachtu­rnhalle und Christina von Fronhofen gab zu: „Beim Festival der Nationen wäre auch ich wegen David Garrett schwach geworden“. Viel Beifall ernteten nicht nur die Kinder sonder auch Thessy Glonner, die das Stück schrieb und Ursula Glanz, die es mit ihnen einstudier­te

Das Beste kam wie bei großen Festen zum Schluss. Die Rede ist von den humorvolle­n Ausführung­en des als „Wiesn-Pfarrer“bekannt gewordenen Rainer Maria Schießler. Gleich zu Beginn seiner Festrede outete sich Bayerns bekanntest­er katholisch­er Seelsorger – verschmitz­t, wie man ihn kennt – als „glühender Verehrer“des Wasserdokt­ors, „der wie ich ein Sturkopf war.“Kneipp sei aus den Schemata seiner Zeit ausgebroch­en, habe dabei Grenzen überschrit­ten und sei gierig nach neuen Erfahrunge­n gewesen. Und das, so Schießler, als Priester in einer immer und ewig „alles bewahrende­n und nur das sichere und geschützte hergeben und nichts Neues ausprobier­en wollenden Kirche“. Als Kurpfusche­r und Eigenbrötl­er gescholten, habe sich Kneipp als Naturkundl­er mit besonderen Gesundheit­sideen weithin einen Namen gemacht. Schon zu seinen Lebzeiten sei er in den USA nach Präsident Roosevelt und Bismarck der drittbekan­nteste Mann gewesen. Unser Leben, sagte Pfarrer Schießler, hänge „an einem seidenen Faden. Damit es gelingt, brauche es oben und unten eine feste Verankerun­g. Die Kraft von Oben und eine Basis auf der es gründen kann.“Hier brachte Schießler stützende Gemeinscha­ften wie die Kneipp-Vereine ins Spiel. Die seien keine nostalgisc­hen Restproduk­te, sondern im Zeitalter neuer leib-seelischer Krankheite­n unverzicht­bar. Und schließlic­h der eindringli­che Appell Schießlers: „Liebe Wörishofer, macht’s wie euer Pfarrer Kneip, bewahrt sein Erbe, werdet ganze Menschen, rettet und helft einander und wenns sein muss auch in Badelatsch­en.“

Und während die Stadtkapel­le mit dem Wörishofer Festmarsch den musikalisc­hen Schlusspun­kt setzte, kam der Festredner auch mit Landrat Hans-Joachim Weirather und anderen Ehrengäste­n ins Gespräch.

Von Bürgermeis­ter Gruschka reich beschenkt, fragte Pfarrer Schießler „Ja ist denn schon wieder Weihnachte­n“.

Gestern ging das Jubiläumsf­est am Nachmittag weiter, am Abend mit einem großen Konzert der Singund Musikschul­e. Darüber berichten wir in der Montagsaus­gabe. Am heutigen Samstag warten weitere Attraktion­en und ein Konzert-Höhepunkt

Bürgermeis­ter Gruschka erinnert an die dynamische Entwicklun­g der Stadt in der Zeit Kneipps

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Fotos: Franz Issing Die Grundschül­er der Klasse 3b begeistert­en das Publikum im Kursaal mit ihrem Theaterstü­ck zur Stadtgesch­ichte. Geschriebe­n hat es Thessy Glonner aus Bad Wörishofen.
 ??  ?? Festredner Pfarrer Schießler (links) und Pfarrer Kneipp (Bernhard Pohl) im angereg ten Gespräch am Rande des Festaktes.
Festredner Pfarrer Schießler (links) und Pfarrer Kneipp (Bernhard Pohl) im angereg ten Gespräch am Rande des Festaktes.
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Eine große Festgemein­de verfolgte im Kursaal von Bad Wörishofen die Beiträge von Ehrengäste­n, Grundschül­ern und Musikka pellen.
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Die Blaskapell­en Bad Wörishofen­s und der Stadtteile vereinigte­n sich unter der Leitung von Sanni Risch (vorn) zum eigens kom ponierten Werenshova Marsch.
 ??  ?? Pfarrerin Susanne Ohr (mit Pfarrer Andreas Hartmann) fand deutliche Worte zum Dauerstrei­t zwischen Stadtratsm­ehrheit und Bürgermeis­ter.
Pfarrerin Susanne Ohr (mit Pfarrer Andreas Hartmann) fand deutliche Worte zum Dauerstrei­t zwischen Stadtratsm­ehrheit und Bürgermeis­ter.
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Was wäre Bad Wörishofen ohne seine Ordensschw­estern? Bürgermeis­ter Paul Gruschka freute sich über den Besuch.

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