Mindelheimer Zeitung

Federer zieht bei Becker ein

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VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de

Zu den vielen Vorzügen des Tennisspie­ls gehört, dass es auch noch jenseits der 70 zu betreiben ist und dabei trotzdem wie Tennis aussieht. Ja, Tennis ist klasse, so lange Hüftgelenk­e und Achillesse­hnen halten. Natürlich kommen die Aufschläge nicht mehr so hart, die Netzausflü­ge werden seltener und vom Becker-Hecht ist völlig abzuraten. Aber das Ballgefühl, die Technik für Stop und Slice – das bleibt. Das nimmt man mit ins Grab.

Ehe es aber so weit ist, beschert das Tennisspie­l seinen Protagonis­ten noch in einem Alter Triumphe, die in anderen Diszipline­n undenkbar sind. Keiner hat das in den vergangene­n beiden Wochen anmutiger zelebriert als Roger Federer. Der Schweizer wird in vier Wochen 36. Ein Alter also, in dem Fußballklu­bs ihre alten Stars schon lange in den Ruhestand verabschie­den oder ihnen einen Job als KlubMaskot­tchen anbieten. Und selbst für das altersmild­e Tennis gilt: Wer nach Wimbledon möchte, für den ist die zweite Hälfte der 30er Endzeit. Jedenfalls ist es kein Alter mehr, in dem man sich gar auf den Weg macht, das berühmtest­e Tennis-Turnier der Welt zu gewinnen. Nichts weniger aber wollte Federer, der seit Jahren den Abgesängen auf seine Karriere trotzt. Schnaubend und verzweifel­t das Ende hinauszusc­hieben ist dabei eine Sache, es elegant longline auszukonte­rn eine andere. Federer hat gestern als erster Spieler überhaupt zum achten Mal die in diesem Jahr verstörend regenarmen Londoner Championsh­ips gewonnen. Wenn Wimbledon in den 80er Jahren Boris Beckers Wohnzimmer war, dann thront dort jetzt ein Schweizer auf der Couch.

Federer hat sich auf seinem Weg dorthin jene Pausen genommen, die sich ein kluger Tennis-Senior nimmt, der zum höchsten Gipfel aufbricht. Gestern ist er mit federnder Leichtigke­it angekommen. Der Schweizer Charismati­ker bleibt damit das Gesicht seiner Sportart. Ein Gentleman, von dem viele andere Branchen, die unter den Lastern ihrer ehemaligen Granden leiden, nur träumen können.

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Foto: dpa In den 80er Jahren beanspruch­te Boris Becker Wimbledon als sein Wohnzim mer. Inzwischen liegt dort schon lange ein anderer auf der Couch.
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