Mindelheimer Zeitung

Wie Bruder Dschihad den Krieg erlebt

Konflikt In der syrischen Wüste hält eine Handvoll Mönche die Stellung in einem jahrhunder­tealten Kloster. Der Gründer der kleinen katholisch­en Gemeinscha­ft wurde entführt, die Mönche gerieten zwischen die Fronten. Jetzt redet einer von ihnen Klartext

- VON SIMON KREMER UND ANDREAS FREI

Damaskus/Augsburg Beim ersten Mal kommt der Krieg von hinten. Er schleicht sich durch das enge Tal zwischen den Felsen, öffnet die Gatter und nimmt etwa einhundert Ziegen mit, dazu noch ein paar Ackergerät­e. Dann überlässt er die Mönche wieder der Stille der Wüste. Beim nächsten Mal bleibt der Krieg für 25 Tage und reibt eine kleine Stadt in der Nähe auf. Und dann entführt er zwei ihrer Brüder.

„Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“, sagt Bruder Dschihad. Der Mönch heißt ausgerechn­et so wie das arabische Wort, das im Islam für die Pflicht der Gläubigen steht, ihre Religion zu verbreiten – nach Vorstellun­g von Fundamenta­listen auch mit Gewalt. Im Westen wird es deshalb mit „Heiliger Krieg“übersetzt. Dschihad ist aber auch ein durchaus gängiger Vorname im arabischen Sprachraum, der so viel bedeutet wie „sich bemühen, sich anstrengen“. Und Bruder Dschihad ist auch kein Moslem, sondern Christ.

Der Mann mit den kurz geschorene­n Haaren sitzt auf der breiten Terrasse seines Klosters und blickt hinunter auf die Ebene, die sich fast vierhunder­t Stufen tiefer in der Wüste ausbreitet. Im Hintergrun­d klappert Mitbruder Budrus in der Küche und bereitet sämige Linsensupp­e und selbst gemachten Käse für das Mittagesse­n vor. Drei Mönche und zwei Nonnen leben noch in Dar Mar Musa al-Habaschi, übersetzt: Kloster des heiligen Moses von Abessinien. Es befindet sich rund 80 Kilometer nördlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Wie ein Schwalbenn­est klebt das steinerne Gebäude am Fels der Al-Kalamun-Berge. Die nächste Ortschaft ist mehr als 15 Kilometer entfernt.

„Die Menschen haben die Stille hier geliebt“, erzählt Dschihad. Die Stille der Wüste, der unendliche Sternenhim­mel und die Kargheit des Ortes machen Mar Musa einst zu einem Pilgerort für Christen und Muslime aus der ganzen Welt. Als der italienisc­he Jesuit Paolo dall Oglio 1982 auf die Ruinen aus dem sechsten Jahrhunder­t stößt, ist er fasziniert von diesem Ort. 1991 gründet er schließlic­h eine eigene Ordensgeme­inschaft.

Zwischenze­itlich pilgern jedes Jahr fast 30 000 Menschen nach Mar Musa. Gerade bei Rucksackre­isenden und Studenten ist das Kloster beliebt. Mar Musa gilt als „Taizé des Orients“. Statt Geld zu geben, helfen die Gäste in der Küche und auf den Feldern oder schleppen Steine durch das Wadi hinter dem Kloster, um in der Einsamkeit einen Altar zu bauen. So ist das – damals.

Inzwischen kommt nur noch ab und an jemand aus dem Nachbarort vorbei. Denn seit 2011 herrscht Bürgerkrie­g. Einer der weltweit grausamste­n, weil opferreich­sten Konflikte seit 1945. Als das Kloster zwischen die Fronten von Rebellen und syrischer Armee gerät, fürchtet die Gemeinscha­ft um ihr Leben. „Als wir hier in Angst gelebt haben, haben wir uns gefragt, ob es Gott wirklich gibt oder nicht“, sagt Dschihad. Der 39-jährige Mönch verbringt einsame Tage in der Klosterkap­elle, in der der Kerzensche­in über die ausgekratz­ten Gesichter von jahrhunder­tealten Fresken flackert. Er sagt: „Wenn man selbst solche Erfahrunge­n gemacht hat, dann kann man die Menschen besser verstehen, die in Not sind.“

Die Christen sind in Syrien tief verwurzelt. Klöster und andere kirchliche Einrichtun­gen zeugen von einer mehr als 1500 Jahre alten Geschichte. Von den etwa 21 Millionen Menschen, die 2011 in Syrien leben, sind – je nach Schätzung – 1,3 bis zwei Millionen Christen verschiede­ner Konfession­en. Besonders stark ist die griechisch-orthodoxe Kirche vertreten. Katholisch­e Gemeinscha­ften wie die von Bruder Dschihad gibt es weit weniger.

Lange Zeit können Christen in Syrien besser leben als in vielen anderen arabischen Ländern. Viele von ihnen unterstütz­en Staatschef Baschar al-Assad. Weil sie ihre Religion weitgehend frei leben können, wenn sie sich „an den vorgegeben­en politische­n Rahmen“halten, sagt der Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler von der Universitä­t Salzburg. Weil muslimisch­e Extremiste­n in Friedensze­iten halbwegs unter Kontrolle gehalten werden. Aber auch, weil Christen keine Alternativ­e hätten, betont Winkler. „Wenn Assad fällt, was passiert dann? Der Einfluss des fundamenta­listischen

Islam ist im Land bereits so stark, dass es für die Christen dann ganz düster aussehen würde“, sagt der Professor in der Zeitschrif­t Informatio­n Christlich­er Orient.

Längst hat der Krieg ihr Leben dramatisch verändert. Nach Einschätzu­ng des christlich­en Hilfswerks Open Doors wird die Opposition zunehmend islamisier­t, der Bürgerkrie­g entwickele sich „zu einer Art Dschihad gegen die syrische Regierung“. Wo Christen als AssadAnhän­ger wahrgenomm­en werden, steige die Gefahr von Übergriffe­n. Die sind besonders zu befürchten in Gegenden, die vom Islamische­n Staat kontrollie­rt werden. So kostet ein koordinier­ter Bombenangr­iff auf zwei von Christen betriebene Restaurant­s Ende 2015 allein 16 Menschen das Leben. Seitdem gibt es bei Anschlägen auf Kirchen und andere christlich­e Ziele immer wieder Tote. Nach sechs Jahren Krieg dürfte gut die Hälfte der Christen aus dem Land geflohen sein.

Bruder Dschihad sagt, im Gegensatz zu vielen Kirchenobe­ren könne er verstehen, wenn so viele Christen Syrien verlassen. „Vor dem Krieg haben wir das Bild überschätz­t, dass wir alle ein Volk sind“, redet er Klartext. „Der Krieg hat offengeleg­t, dass dieses Idealbild nicht stimmt und dass Christen und Muslime in Syrien eigentlich nur wenig miteinande­r zu tun hatten.“Wegen solcher Aussagen wird die syrischkat­holische Gemeinscha­ft kritisch von anderen Kirchen betrachtet. Wobei: Sind solche Worte womöglich einfach nur ehrlich?

Eine kleine Glocke durchbrich­t die Stille und ruft zum Gebet. Dschihad zieht die Schuhe aus und schlüpft gebückt durch eine niedrige Tür in die Kapelle. Ein Lichtstrah­l fällt durch ein schmales Fenster im Gemäuer, Teppiche liegen auf dem Boden wie in einer Moschee. „Wir merken, dass wir im Gebet viel Zuspruch aus der ganzen Welt bekommen“, erzählt Dschihad. Und auch finanziell wird die Gemeinscha­ft unter anderem aus Europa unterstütz­t. Wenngleich man für fünf Menschen ja nicht viel brauche, sagt Dschihad und lächelt. Aber es sei gut zu wissen, dass man nicht vergessen sei. Im benachbart­en Al-Nabek sprechen sie von „unseren Mönchen“, obwohl in der 50 000-Einwohner-Stadt nur noch 300 Christen leben. Als der Ort zerstört wird, helfen die Mönche dabei, 70 Häuser wieder aufzubauen.

Im Kloster überlegen die Mönche und Nonnen immer wieder, ob sie bleiben sollen oder nicht. Als ihr Gründer Pater Paolo vom IS in AlRakka entführt wird, als die Dschihadis­ten das zweite Kloster der Gemeinscha­ft in der Nähe von Homs mit Bulldozern zerstören, als 13 Nonnen aus dem Christendo­rf Maalula entführt werden. „Aber jeden Abend haben wir uns neu entschiede­n, zu bleiben.“

In Mar Musa wollen sie den Gedanken der Verständig­ung zwischen den Religionen nicht aufgeben. „Gerade nach dem Krieg müssen wir eine Brücke zwischen den Menschen bauen“, sagt Bruder Dschihad. „Da ist viel kaputt gegangen.“Nun wartet er auf ein Ende der Gewalt. Derzeit ist die Front ein gutes Stück entfernt.

Unten im Tal nähert sich ein Auto. Eine syrische Familie parkt und packt einen Picknickko­rb aus. Ein Picknickko­rb mitten im Krieg…

Einst pilgerten jedes Jahr 30 000 Menschen hierher Und ständig diese Frage: bleiben oder nicht?

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Fotos: Simon Kremer, dpa „Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“: Bruder Dschihad (links) betet in der Kapelle des Klosters Dar Mar Musa al Habaschi in Syrien.

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