Mindelheimer Zeitung

Seenotrett­er unter Verdacht

Migration Tausende von Flüchtling­en nehmen Kurs auf Europa. Jetzt wirft der deutsche Innenminis­ter nicht staatliche­n Helfern vor, mit Menschensc­hmugglern zu kooperiere­n

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Gutes Wetter, ruhige See, warmes Wasser – derzeit nehmen so viele Flüchtling­e von Libyen aus übers Mittelmeer Kurs auf Europa, wie kaum jemals zuvor. Die italienisc­he Küstenwach­e etwa berichtet, innerhalb von 24 Stunden mehr als 4000 Migranten aus Seenot gerettet zu haben. In Italien sind in diesem Jahr nach UN-Angaben bereits rund 93 000 Flüchtling­e angekommen, mehr als 20 Prozent mehr als im Rekordjahr 2016.

Das nordafrika­nische Libyen – in mehrere, von rivalisier­enden Milizen beherrscht­e Landesteil­e gespalten – ist ein Paradies für die Schleuserb­anden. Sie haben ein zynisches Geschäftsm­odell entwickelt, in dem internatio­nale Hilfsorgan­isationen eine entscheide­nde Rolle spielen. Gezielt setzen die Banden darauf, dass die Besatzunge­n der Rettungssc­hiffe von Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), die vor Libyen kreuzen, die Flüchtling­e von den vollgepack­ten und meist nicht seetauglic­hen Schlauchbo­oten retten. Und die Geretteten anschließe­nd in italienisc­he Häfen und damit in die Europäisch­e Union bringen.

Die Rolle dieser privaten Seenotrett­er gerät immer mehr in die Kritik. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) sagt: „Die Italiener untersuche­n Vorwürfe gegen NGOs. Zum Beispiel, dass Schiffe ihre Transponde­r regelwidri­g abstellen, nicht zu orten sind und so ihre Position verschleie­rn.“Das löse kein Vertrauen aus. Und er sagt weiter: „Mein italienisc­her Kollege sagt mir auch, dass es Schiffe gibt, die in libysche Gewässer fahren und vor dem Strand einen Scheinwerf­er einschalte­n, um den Rettungssc­hiffen der Schlepper schon mal ein Ziel vorzugeben.“De Maizière wörtlich: „Im Moment ist die Instanz, die entscheide­t, wer nach Europa kommen darf, eine kriminelle Organisati­on: die Schlepper. Und das Auswahlkri­terium ist das Portemonna­ie des Flüchtling­s.“Dies sei die „inhumanste Konstellat­ion“.

Bei den Menschen, die derzeit übers Mittelmeer kommen, handelt es sich laut de Maizière vermehrt nicht um vom Bürgerkrie­g verfolgte Syrer oder Iraker, „sondern um Afrikaner, insbesonde­re Westafrika­ner, die aus wirtschaft­lichen Motiven nach Europa wollen“. Sprecher verschiede­ner Seenotrett­ungsorgani­sationen wiesen die Vorwürfe des Innenminis­ters als „absurd“und „völlig haltlos“zurück.

In der Europäisch­en Union sorgen die steigenden Flüchtling­szahlen für massive Verwerfung­en. Italien fühlt sich von den europäisch­en Partnern alleingela­ssen, wehrt sich gegen die Zuweisung weiterer Flüchtling­e und droht damit, die geplante Verlängeru­ng der EU-Überwachun­gsund Rettungsmi­ssion „Sophia“vor der libyschen Küste platzen zu lassen. Die einzige europäisch­e Hoffnung, das perfide Geschäftsm­odell der Schlepper irgendwie zu durchkreuz­en, hängt derzeit an der von der EU unterstütz­ten libyschen Küstenwach­e, die viele Beobachter für eine dubiose Söldnertru­ppe halten. Von ihr will kein Flüchtling gerettet werden. Denn dann wird er auf libyschen Boden zurückgebr­acht.

Beim Treffen der EU-Außenminis­ter am Montag in Brüssel wurde betont, die libysche Küstenwach­e weiter zu unterstütz­en. Außerdem wurde beschlosse­n, den Export von Schlauchbo­oten und Außenbordm­otoren nach Libyen zu verbieten.

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Foto: Imago/Rene Traut Viele Flüchtling­e versuchen in teilweise überladene­n Schlauchbo­oten von Libyen nach Europa zu gelangen.

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