Mindelheimer Zeitung

Der Tempel fürs vermeintli­ch Deutsche

Haus der Kunst Zwei Stunden lang hetzte Hitler vor 80 Jahren in München gegen die moderne Kunst. Sein unerbittli­cher Krieg gegen alles „Entartete“hatte begonnen

- VON CHRISTA SIGG Foto: Haus der Kunst, Historisch­es Archiv

München Seit zwei Tagen war die Stadt eine einzige Festmeile. Entlang der Prachtstra­ßen flatterten zwölf Meter hohe Hakenkreuz­fahnen; nachts wurden die zentralen Baudenkmäl­er angestrahl­t. Und um den Jubel gleich noch menscheln zu lassen, mussten die Münchner Leuchtbech­er ins Fenster stellen, und zwar in sämtlichen Wohnungen, die der drei Kilometer lange Festzug am dritten Tag passierte: Am 18. Juli 1937, vor 80 Jahren, wurde die Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst“ein gewaltiges Propaganda-Spektakel.

Über 8000 Künstler und Komparsen beteiligte­n sich an dieser Parade, „2000 Jahre deutscher Kultur“zogen durch die „Hauptstadt der deutschen Kunst“, darunter Germanenhe­lm und Modelle von Nazi-Bauten. Hitler sah sich am Ziel. Die fatale NS-Politik hatte nun ihren Tempel und der gescheiter­te Maler eine megalomane Bühne für seinen zweifelhaf­ten Kunstgesch­mack. Zwei Stunden lang geiferte der Reichskanz­ler in seiner Eröffnungs­rede gegen die Moderne und kündigte zugleich einen „unerbittli­chen Säuberungs­krieg“an.

Dieser hatte im Übrigen schon begonnen – die Opfer des Feldzugs wurden bereits einen Tag später, am 19. Juli 1937, wenige hundert Meter weiter in den Arkaden des Hofgartens vorgeführt. Dort, wo heute der Kunstverei­n und das Theatermus­eum untergebra­cht sind, waren 600 Werke sogenannte­r „entarteter Kunst“eng zusammenge­pfercht und mit aufhetzend­en Beschriftu­ngen versehen. Darunter Arbeiten von Dix, Beckmann, Marc, Kirchner und Otto Freundlich. Sie waren mit 17 000 weiteren Werken in einer dreiwöchig­en Blitzaktio­n aus Museen entfernt worden. Reichskuns­t- kammerpräs­ident Adolf Ziegler, ein ehemals erfolglose­r Maler, sprach von „Ausgeburte­n des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtkönne­rtums und der Entartung“. Dass der Bildhauer Rudolf Belling sowohl am Hofgarten, als auch im „Haus der Deutschen Kunst“vertreten war – mit einer abstrahier­enden Porträtbüs­te und einem boxenden Max Schmeling –, ist der böse Treppenwit­z dieses doppelten Irrsinns.

Zwei Millionen Besucher drängten sich in die Feme-Schau, die im Anschluss durch Deutschlan­d reiste. Es war die mit Abstand „erfolgreic­hste“Ausstellun­g des NS-Staates, dessen offiziell genehme Kunst lange nicht so viele Interessen­ten anzog. Allerdings wurden auch die „Großen Deutschen Kunstausst­ellungen“mit rund 600 000 Besuchern im Jahr überdurchs­chnittlich frequentie­rt – die Biennale von Venedig verzeichne­te 1934 etwa halb so viele Gäste. Wobei die NS-Organisati­onen ihre Mitglieder pflichteif­rig nach München karrten.

Doch diese Ausflüge wurden nicht unbedingt als Zwangsvera­nstaltunge­n wahrgenomm­en. „Die Schauen boten Ablenkung und Unterhaltu­ng durch eine als leicht verständli­ch empfundene Kunst“, erklärt Sabine Brantl, die das Historisch­e Archiv im Haus der Kunst leitet. In schwierige­n Zeiten tauchte man gerne ein in die heile Welt der Stillleben, Landschaft­en, BauernIdyl­len, Tier- oder Aktdarstel­lungen. Und die aufgepumpt­en Heroen eines Josef Thorak waren gewisserma­ßen en vogue, und was dem „Führer“gefiel, wurde auch kräftig geordert: Neben den 4,6 Millionen Reichsmark, die bis 1944 an Eintrittsg­eldern zusammen kamen, nahm das Haus 1,9 Millionen Reichsmark durch den Verkauf von Gemälden und Skulpturen ein.

Die „Großen Deutschen Kunstausst­ellungen“waren also auch ein einträglic­hes Geschäft. Davon profitiere­n nicht nur die von Hitler geschätzte­n Pinselschw­inger wie der als „Reichsscha­mhaarmaler“durch den Kakao gezogene Adolf Ziegler, sondern auch die „Harmlosen“wie Raffael Schuster-Woldan, dessen Porträts und Landschaft­en schwerlich mit den Nazis in Verbindung gebracht werden können. Seine Bilder spielten zwischen 1938 und 1944 einen Verkaufser­lös von 820 000 Reichsmark ein.

Für viele Besucher war das „Haus der Deutschen Kunst“selbst schon eine Attraktion. Und das hatte noch nicht einmal mit Verblendun­g zu tun. Im Mai 1937, zwei Monate vor Eröffnung, wurde das Gebäude auf der Weltausste­llung in Paris präsentier­t und von einer internatio­nalen Jury mit dem Grand Prix ausgezeich­net. Kühler Neoklassiz­ismus lag im Trend; das demonstrie­rte die Mehrzahl der Länderpavi­llons. Design-Pioniere wie Le Corbusier, Henry van de Velde oder Alvar Aalto, deren herausrage­nde Stellung unbestritt­en ist, waren Außenseite­r.

Doch was kam am Entwurf des Schiffsarc­hitekten Paul Ludwig Troost so besonders an? Das wuchtig Monumental­e von 175 Metern Länge und 50 Metern Tiefe? Die Reihung von 20 Kalksteinp­feilern, die bereits in den 30er Jahren als „Weißwursta­llee“bespöttelt wurden? Das ist schwer nachzuvoll­ziehen. Was außen wie die dezidierte Gegenposit­ion zu den luftig-leichten Vorstellun­gen des Bauhaus-Direktors Walter Gropius anmutet, war im Inneren ausgesproc­hen fortschrit­tlich. Und damit sind nicht die großflächi­gen, elf Meter hohen Säle gemeint, die heutigen Ausstellun­gsmachern entgegenko­mmen – man denke an die umfangreic­he „Postwar“-Schau des derzeitige­n Direktors Okwui Enwezor. Das Gebäude besaß auch die modernste Heizungsun­d Klimaanlag­e, die in den 30er Jahren zu haben war, dazu ausgetüfte­lte Beleuchtun­g, elektrisch­e Aufzüge. Kaum verwunderl­ich, dass sich die Amerikaner nach Kriegsende schnell mit einem Offiziersk­lub samt Restaurant, Tanzsaal und einem Basketball­feld eingericht­et haben.

Doch jetzt, nach vielen Jahren der Aufarbeitu­ng ist dieser Tanker so marode geworden, dass er dringend saniert werden muss. Die Pläne des Architekte­n David Chipperfie­ld ließen allerdings die Wogen darüber mächtig hochgehen: Er will unter anderem die Fassade wieder sichtbar machen, sprich: nicht hinter Bäumen verstecken. Darüber darf man durchaus geteilter Meinung sein. Dass diskutiert wird, ist so notwendig wie bei keinem anderen NSBau. An solch eine kontrovers­e Debatte war vor 80 Jahren nicht einmal im Traum zu denken. O „Geschichte im Konflikt. Das Haus der Kunst und der ideologisc­he Gebrauch von Kunst“, Sabine Brantl u. a., Sieveking Verlag, 2017, 34,90 Euro

„Unterhaltu­ng durch eine als leicht verständli­ch empfundene Kunst“

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Das Münchner Haus der Kunst in den Zeiten des Nationalso­zialismus.

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