Mindelheimer Zeitung

Falsches Bild über NS Kunst

Ein Versäumnis auch der Historiker

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Blieb aus Ihrer Sicht etwas von der NS-Propaganda hängen?

Christian Fuhr meister: Die „entartete Kunst“wurde nach 1945 hochgradig selektiv rezipiert und dadurch zur Projektion­sfläche für individuel­le wie kollektive gesellscha­ftliche Befindlich­keiten, und dieser Prozess wird bis heute nur selten kritisch reflektier­t. Der Gründungsm­ythos der BRD behauptet: Wir machen alles anders als die Nazis. Doch die Vorzeichen wurden einfach nur umgekehrt – und damit hat man den Nazis ihre Propaganda abgekauft.

Wirkt diese Projektion tatsächlic­h bis heute?

Fuhrmeiste­r: Ja, und sie funktionie­rte so: Die Verfemten sind die Opfer, und diese Opfer sind letztlich wir selbst. Wenn wir also deren Kunst gut finden, dann entnazifiz­iert uns das auch. Zugleich wurden andere Künstler als nationalso­zialistisc­h gebrandmar­kt, obwohl sie sich künstleris­ch gar nicht angepasst hatten.

Trägt da auch die Wissenscha­ft Verantwort­ung?

Fuhrmeiste­r: Die Kunstgesch­ichte hat viele Jahrzehnte lang nicht genau untersucht, was die Nazis gemacht haben – und deshalb ist die Komplexitä­t der Kunst und der Kunstpolit­ik im „Dritten Reich“auch in der öffentlich­en Wahrnehmun­g bis heute nicht angekommen. Wir lügen uns permanent in die Tasche. Die Dichotomie „entweder nationalso­zialistisc­h oder entartet, entweder rassenideo­logisch oder modern und demokratis­ch“blieb erhalten. Dazu gehört auch der Vorwurf der „Nicht-Kunst“oder „Unkunst“an die damals von den Nazis erwünschte Kunst. Damit machen wir es uns zu einfach.

Was ist denn konkret falsch an unserem Bild von NS-Kunst?

Fuhrmeiste­r: Die Vorstellun­g, dass die Große Deutsche Kunstausst­ellung ein Porträt Hitlers und einen sterbenden SS-Soldaten zeigte und dass diese Nazi-Ästhetik dominierte, ist falsch. Solche Bilder machten nur einen Bruchteil aus. Man guckte nur auf den Stil – aber der war für die Nazis gar nicht entscheide­nd. Entscheide­nd war die Rasse. Deshalb konnten jüdische Künstlerin­nen noch so realistisc­h malen – es hat ihnen nichts genutzt. Wie bei Lotte Laserstein. Interview: S.R.,dpa

Christian Fuhrmeiste­r, 54, ist Kunsthisto­riker am Münchner Zentralins­titut für Kunstgesch­ichte.

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