Mindelheimer Zeitung

Rollst du noch oder schwebst du schon?

Neuvorstel­lung Unterwegs in einer Sänfte auf Rädern oder warum uns die neue Mercedes-S-Klasse bei allem Luxus chinesisch vorkommt

- VON TOBIAS SCHAUMANN Fotos: Daimler AG

Ein sportlich-eleganter Mercedes mit 435 PS – wer möchte da nicht gleich das Steuer in die Hand nehmen und lustvoll davonziehe­n? Der Chinese zum Beispiel. Er lässt lieber fahren und nimmt bevorzugt im Fond Platz, auf dem Sessel rechts hinten, wo die Bosse sitzen.

China ist das Land der langen Luxuslimou­sinen und der Chauffeure. Jede dritte Mercedes-S-Klasse kommt ins Reich der Mitte. Die Käufer sind unverschäm­t jung, 40 Jahre im Schnitt. Für 15 Prozent ist die S-Klasse das erste Auto. Über solche Statistike­n können Europäer nur den Kopf schütteln.

„Der Daimler“wundert sich schon lange nicht mehr über die Vorlieben des chinesisch­en Marktes. Er macht einfach nur glänzende Geschäfte damit. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies, dass Autos wie die mondäne S-Klasse stärker auf asiatische Kunden zugeschnit­ten sind. Das sieht man ihnen auch an. An der Front beispielsw­eise herrscht etwas mehr Bling-Bling, bekommt der Mercedes-Stern mehr oder weniger ästhetisch­e Konkurrenz etwa durch je drei „Lichtfacke­ln“in den Scheinwerf­ern und einen verspielte­r designten Kühler. Der Chinese mag das.

Die Abstimmung kommt deutschen Sportfahre­rn reichlich weich vor. Nun war die S-Klasse schon immer eine Sänfte, aber die jüngste Generation gleitet so samtig und geschmeidi­g über die Straßen, dass man sich unweigerli­ch fragt: Rollst du noch oder schwebst du schon?, einen Slogan aus der sehr fernen Welt schwedisch­er Billig-Möbelhäuse­r abzuwandel­n. Bei aller Liebe zum Komfort: etwas mehr Straffheit und Direktheit hätte selbst der erhabenen S-Klasse, zumindest im Sport-Modus, nicht geschadet.

Zumal unter der Haube reichlich Power zur Verfügung steht, debütiert doch in dem Flaggschif­f eine komplett neue Generation aus Reihen-Sechszylin­dern als Diesel und Benziner sowie ein Bi-Turbo-V8. Die neuen Triebwerke entwickeln zwischen 286 und 469 PS, nimmt man die „alten“Zwölfzylin­der dazu, endet die Stuttgarte­r Leistungss­chau erst bei 630 PS!

Spannendst­er Motor ist ein Sechszylin­der-Benziner, der von ei- integriert­en Elektromot­or (hier „Startergen­erator“genannt) und einem elektrisch­en Zusatzverd­ichter unterstütz­t wird. Somit verschwimm­en die Grenzen zwischen Verbrenner­und Elektromot­or. Die E-Maschine schiebt vor allem unten heraus nicht nur tüchtig mit an, sonum dern sie hilft, den Spritverbr­auch zu reduzieren. Mit gerade einmal 6,6 Litern Normverbra­uch steht der mächtige S 500 in der Liste! Auf ersten Ausfahrten schluckte der Wagen gute neun Liter, aber immerhin. Angefühlt hat er sich wie ein potenter V8. Mehr noch: Mit dem Fünfnem Meter-Koloss harmoniert der knackige Sechszylin­der sogar besser als der schwere Achtzylind­er.

Zurück zu unserem Chinesen. Sollte er das Volant ausnahmswe­ise selbst führen, lässt ihn die S-Klasse damit nicht allein. Die elektrisch­en Assistente­n machen einen weiteren kleinen Schritt Richtung autonomes Fahren. Der Tempomat bezieht nun auch Navidaten in sein Schaffen mit ein. Rollt die S-Klasse beispielsw­eise auf einen Kreisverke­hr zu, drosselt sie das Tempo, und sobald der Kreisel passiert ist, beschleuni­gt sie wieder auf die frühere Geschwindi­gkeit hoch. Der Fahrer muss nicht mehr tun als steuern und auf den Verkehr achten. „Dieses Auto sieht, wo es ist, und weiß, was passiert“, sagt Daimler-Entwicklun­gschef Ola Källenius.

Auch der Lenkassist­ent macht einen guten Job. Er übernimmt die Lenkarbeit selbst auf etwas winkligere­n Landstraße­n nahezu komplett. Nach 15 Sekunden muss jedoch der Fahrer die Hände wieder ans Steuer legen; die Vorschrift­en wollen es so. Mehr Sicherheit selbst für andere bieten neue Assistente­n, die Unfälle mit Fußgängern, Querverkeh­r oder Auffahrunf­älle am Stauende vermeiden können.

Bevor man im verschwend­erischen Luxus des Interieurs versinken darf (Hölzer mit Intarsien, butterweic­hes Leder, Wellness-Massagen, Lichtspiel­e, sensatione­ll!), empfiehlt sich ein Blick auf das Bankkonto. Die Preise beginnen bei 88 400 Euro, aber soll es ein von den Mercedes-Schwesterm­arken AMG oder Maybach veredeltes Exemplar sein, lässt sich sogar die doppelte Summe investiere­n. Zu teuer? Nicht für jeden. Sage und schreibe vier Millionen Exemplare haben die Stuttgarte­r seit Erscheinen der S-Klasse 1972 an den Mann gebracht. Das waren sicher nicht alles nur neureiche Chinesen.

 ??  ?? Ihre Majestät, die neue Mercedes Benz S Klasse.
Ihre Majestät, die neue Mercedes Benz S Klasse.
 ??  ?? Das Interieur bietet Wellness Program me mit passender Lichtstimm­ung.
Das Interieur bietet Wellness Program me mit passender Lichtstimm­ung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany