„Jeder Mensch ist musikalisch“
Auszeichnung Christoph Löcherbach muss es wissen. Immerhin hielten ihn seine Klavierlehrer für völlig untalentiert – und wurde jetzt trotzdem vom Bezirk Schwaben für sein Lebenswerk geehrt, in dem Musik die erste Geige spielt
Markt Wald Hätte Christoph Löcherbachs Oma der Familie kein Klavier hinterlassen, sondern eine Geige, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Vielleicht gäbe es dann keine Klangwerkstatt in Markt Wald und keine Instrumentenbaukurse, keine Musikantenstammtische und keine Konzerte und auch nicht die vielen Preise, mit denen Christoph Löcherbach in den vergangenen Jahren für sein Engagement rund um die Musik ausgezeichnet wurde. Gerade ist eine neue Trophäe hinzugekommen: Der Bezirk Schwaben hat ihm für sein Lebenswerk die „Schwäbische Nachtigall“verliehen.
So gesehen muss man wirklich froh sein, dass es eben doch ein Klavier war, das Christoph Löcherbach vom ersten Moment an gehasst hat und das – was damals freilich keiner ahnte – den Beginn eines bemerkenswerten Um- und Lebenswegs markierte. „Ich habe drei, vier Klavierlehrer verschlissen, die alle sagten: ,Das hat keinen Wert.’“, erzählt er und auch, wie sehr es ihn wurmte, dass alle anderen in der Familie so ungemein musikalisch waren. Ein Fest ohne handgemachte Musik war undenkbar, jeder spielte mindestens ein Instrument, jeder außer Christoph Löcherbach, der die Blockflöte nicht gelten lässt. Er wollte nicht Klavier, sondern Geige spielen, die sich die Familie jedoch nicht leisten konnte. „Mein Traum war immer: Ich mache Musik und die Leute tanzen dazu.“
Dass dieser Traum Jahre später Wirklichkeit wurde, hängt mit seinem handwerklichen Geschick, aber auch mit viel Mut und Idealismus zusammen: Der Arzt verbrachte bald jede freie Minute damit, in seiner kleinen Werkstatt im Nord- schwarzwald Instrumente zu bauen und neue zu erfinden. Er durchstöberte Flohmärkte und Bücher nach Vorbildern, besuchte Museen, verschlang die Fachliteratur. „Wenn man ein Instrument baut, will man’s auch spielen. Das war mein Umweg, um zur Musik zu finden.“
Und weil er den auch anderen ermöglichen wollte, bot er 1978 die ersten Baukurse für Instrumente an, die man leicht spielen und mitnehmen kann: Leiern, Fideln, kleine Harfen, Hackbretter und Psalterien zum Beispiel. Mitmachen konnte und kann in der Klangwerkstatt, die inzwischen seit bald 15 Jahren André Schubert leitet, jeder. Ausreden wie einen Mangel an handwerklichem Geschick oder Musikalität lässt Löcherbach nicht gelten. „Das gibt’s nicht. Jeder Mensch ist musikalisch. Das ist eine originäre Fähigkeit – die man allerdings brachliegen und verkümmern lassen kann.“Außerdem ist der 74-Jährige fest überzeugt: „Musik ist zu schade und zu kostbar, um sie nur Profis zu überlassen. Sie gehört in den Alltag, nicht nur passiv, sondern aktiv.“
Das hat er in den vergangenen Jahrzehnten gelebt: Nicht wenige halten ihn für verrückt, als er 1984, verheiratet und Vater einer Tochter, seinen gutbezahlten Beruf aufgibt, um künftig nicht nur für, sondern von der Musik zu leben und seine Begeisterung weiterzugeben. Aber das taten sie wahrscheinlich vorher schon, als er einmal im Monat nachmittags aus der Praxis hastete, um spät am Abend beim Musikanten-Stammtisch in Wien dabei zu sein – und am nächsten Tag wieder daheim bei den Patienten.
Rund zehn Jahre später, nach dem Tod seiner Frau, ist dann Markt Wald sein Zuhause geworden. Ein Neuanfang, von dem wohl die ganze musikalisch irgendwie in- teressierte Umgebung profitiert hat. Zwar ist Löcherbach bescheiden genug, um darauf zu beharren, dass er nichts hierher gebracht habe, dass das alles in den Leuten schon da gewesen sei, aber an dieses Potenzial gerührt und es geweckt hat eben doch auch er.
Dass er dafür nun mit der Schwäbischen Nachtigall, dem Volksmusikpreis des Bezirks Schwaben, ausgezeichnet wurde, freut ihn. Schließlich wird sie üblicherweise an Gruppen verliehen, die sich der Stubenmusik widmen. Er dagegen, ein Instrumentenbauer, bekommt den Preis allein, und das auch noch als Auswärtiger, der er nach all den Jahren immer noch ist. „Das zeigt schon, dass die Bayern tolerant sind und genau hinschauen“, sagt er schmunzelnd und dass er jetzt endlich wisse, warum der Empfänger Preisträger heiße. Die bronzene Nachtigall ist nämlich ganz schön gewichtig. Nur die Sache mit dem Lebenswerk ist ihm nicht ganz geheuer. „Da fühle ich mich immer so alt. Das klingt wie ein Nachruf. Dabei habe ich schon noch ein bisschen was vor.“
Derzeit ist er zwar gesundheitlich angeschlagen, sagt aber trotzdem: „So lange die Lust und die Freude für eine Sache da sind, so lange ist auch die Energie dafür da.“Er ist gealtert, milder geworden. „Je älter ich werde, desto mehr empfinde ich es so, dass das eigentlich wirklich Wertvolle nicht einmal die Musik ist, sondern die unzähligen Begegnungen, die daraus entstanden sind.“Gerade hat er sie Teilnehmern eines Kurses in Estland ermöglicht, in Kürze bricht er nach Schottland auf. Nein, es ist wirklich gut, dass es mit dem Klavier nichts geworden ist. Das hätte er schließlich unmöglich zu all den Reisen mitnehmen können.