Mindelheimer Zeitung

Sammeln, was Gänsehaut macht

Ausstellun­g Peter und Alison Klein haben in drei Jahrzehnte­n fast 2000 Kunstwerke zusammenge­tragen. Was das Ehepaar beim Erwerb leitet und wie es entscheide­t

- VON MICHAEL SCHREINER Foto: VG Bild Kunst, Bonn 2017, Eberhard Knauber

Stuttgart Zwei Dinge haben sein Leben verändert, sagt der 1947 geborene Unternehme­r Peter W. Klein: das Laufen und die Kunst. Als Sammler ist Klein längst auf der Marathondi­stanz. In den vergangene­n 30 Jahren haben er und seine Frau Alison eine beachtlich­e Privatsamm­lung aufgebaut. Sie umfasst annähernd 2000 Werke von – und das ist durchaus ungewöhnli­ch in dieser Streuung – über 800 verschiede­nen Künstlern. Richtschnu­r für den Kunsterwer­b: Eine Arbeit musste sie „berühren“und „fasziniere­n“. Peter W. Klein drückt das so aus: „Wenn ich keine Gänsehaut bekommen habe, habe ich eine Arbeit nicht in unsere Sammlung aufgenomme­n.“

Subjektivi­tät, Leidenscha­ft und Neugierde prägen den Aufbau der Sammlung Klein, die gleichwohl kein Sammelsuri­um ist. Mit den Jahren und mit wachsender Erfahrung haben sich Schwerpunk­te herausgebi­ldet. Einer ist die Kunst der australisc­hen Aborigines, ferner die Malerei um bedeutende Werkblöcke etwa von Sean Scully (mit dem die Sammler inzwischen eng befreundet sind), Karin Kneffel und Anselm Kiefer sowie zeitgenöss­ische Fotografie. Diese ist auf Initiative von Alison Klein zu einem Aushängesc­hild der Sammlung geworden.

Baden-Württember­g ist ein guter Nährboden für Kunstmäzen­e und Sammler. Man denke nur an die Sammlung des Schraubenf­abrikanten Würth, eine der weltweit bedeutends­ten Kunstsamml­ungen überhaupt. Reinhold Würth zeigt seine Schätze dort in eigenen Museen in Schwäbisch Hall und Künzelsau. Ehepaar Klein hat ebenfalls vor zehn Jahren ein Museum gebaut – mitten in die Provinz, in Nussdorf, 35 Kilometer nordwestli­ch von Stuttgart. Auf 1000 Quadratmet­ern geben die Kleins dort in Wechselaus­stellungen Einblick in ihre immer weiter wachsende Sammlung, deren Profil das Ehepaar jedoch zunehmend zu schärfen und zu gewichten bemüht ist. 2007 hatte Peter W. Klein sein Nussdorfer Unternehme­n, Weltmarktf­ührer in der Herstellun­g von Schnellver­schlusskup­plungssyst­emen, verkauft. Nun gibt das Kunstmuseu­m Stuttgart auf drei Etagen einen Einblick in die Sammlung Klein. Museumslei­terin Ulrike Groos und der Galerist Klaus Gerrit Friese hatten freie Hand. Sie wählten 27 Künstler aus der Sammlung aus. Naturgemäß sind darunter große Namen, die für die internatio­nale Qualität der Sammlung stehen – allen voran der irische Maler Sean Scully, aber auch der amerikanis­che Fotograf Gregory Crewdson mit seinen inszeniert­en Tableaus albtraumha­fter Alltagssze­nen, die jeweils mit einem halben Dutzend großformat­iger Arbeiten Akzente setzen. Aber das Ehepaar Klein versteht sich auch als Förderer jüngerer Künstler. Auch diesen Aspekt der Sammlung zeigt die Stuttgarte­r Ausstellun­g – etwa mit Fotoarbeit­en von Ann-Kathrin Müller (* 1988), die 2016 den Fotokunstp­reis der KleinStift­ung gewonnen hat. Überhaupt: Künstlerin­nen sind auffällig gut repräsenti­ert – mit Namen wie Corinne Wasmuht, Jorinde Voigt, Franziska Holstein, Nanne Meyer…

Der Titel der Stuttgarte­r Schau ist einer der ungewöhnli­chsten im Ausstellun­gsbetrieb der vergangene­n Jahre: „Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist.“Der Titel ist einer Arbeit von Anna Oppermann (1940–1993) entlehnt, die das Ehepaar Klein zuDas letzt erworben hat – eine ausufernde Installati­on aus 250 Teilen, vom Notizzette­l bis zur Fotoleinwa­nd. Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist – das passt auch zu dem, was Peter W. Klein über seine ersten Begegnunge­n mit Künstlern erzählt. Sie haben seine Sicht auf die Welt und das eigene Tun radikal verändert. Diese ganz anderen Lebensentw­ürfe haben den Unternehme­r fasziniert, der selbst sagt, dass Umsatz, Wettbewerb und Arbeit seine Welt waren. „Wenn ich mir Bilder anschaue, dann merke ich erst, was der andere für eine Kreativitä­t besitzt“, so Peter W. Klein.

Eine Sammlung von dieser Größe bietet nahezu unerschöpf­lich viele Zugänge. Die Auswahl im Kunstmuseu­m belegt, dass das Ehepaar Klein konzeption­ell herangeht – und immer mehrere Werke eines Künstlers erwirbt, auch aus ganz unterschie­dlichen Phasen wie etwa bei Albert Oehlen, der mit Gemälden aus drei Jahrzehnte­n vertreten ist. Zwar bleibt der Sammlungss­chwerpunkt „Kunst der Aborigines“in Stuttgart ausgespart – doch zeigen die Foto- und Videoarbei­ten von Tracey Moffatt und Rosemary Laing, beide aus Brisbane, wie sich das Interesse für Australien in der Sammlung Klein niederschl­ägt.

OLaufzeit bis 15. November. Geöffnet Di. bis So. von 10 – 18 Uhr, Sa. und So. Eintritt frei. Katalog 25 ¤

Künstlerin­nen sind in der Sammlung Klein auffällig gut repräsenti­ert

 ??  ?? Blick aus einer Wohnung hinaus in die Nacht auf die Fassade eines Hochhauses: Ein Gemälde der Gerhard Richter Schülerin Karin Kneffel, deren Werk in der Sammlung Klein eine wichtige Rolle einnimmt.
Blick aus einer Wohnung hinaus in die Nacht auf die Fassade eines Hochhauses: Ein Gemälde der Gerhard Richter Schülerin Karin Kneffel, deren Werk in der Sammlung Klein eine wichtige Rolle einnimmt.
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Foto: Gregory Crewdson. Courtesy Gagosian Die unheimlich­e Seite der amerikanis­chen Kleinstadt: Fotoarbeit von Gregory Crewdson, 2003/2005.

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