Stockheim, der Nabel der Welt?
Begegnungen Ein Weltreisender strandet mit seinem Geländewagen in dem Ort, kurze Zeit später folgen zwei Männer auf großer Mission
Stockheim Wer auf große Reisen geht, landet nicht unweigerlich in Stockheim – oder doch? Gerade erst strandete dort Hauwke Setjodiningrat aus Indonesien auf seiner Fahrt um die Welt. Sein voll bepackter schwarzer Toyota Land Cruiser hatte eine Kur nötig. Die KfZ–Werkstatt von Tobias Rösch machte den Weltreisenden wieder flott. Nur kurze Zeit später tauchten zwei Franzosen in dem kleinen Ort auf. Sie wollen zwar nicht um die Welt, sondern „nur“quer durch Europa – dafür aber zu Fuß. Antoine Guillon und Antoine Stammose aus der Picardie, etwa eine Stunde nördlich von Paris, haben sich ein ehrgeiziges Ziel vorgenommen: Sie wollen die Strecke von Paris nach Istanbul auf Schusters Rappen bewältigen, insgesamt vielleicht 3000 Kilometer.
Unterwegs treffen sie immer wieder auf Menschen wie Irene und Stephan Miller aus Stockheim, die sie spontan auf eine Brotzeit einladen oder ihnen ein Nachtlager anbieten, praktisch direkt auf dem 48. Breitengrad, der unmittelbar am Haus verläuft. Die beiden Antoines revanchieren sich mit der Geschichte ihrer Reise. Ihre Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch sind dabei sehr hilfreich. „Wir haben fünf Monate Zeit“, erzählt einer der beiden und fährt fort: „Wir sind am 17. Juni losgegangen. Im November wollen wir wieder zu Hause sein.“Der Weg führte sie über Colmar nach Freiburg, wo sie eine zweitägige Pause eingelegt haben. Dann ging es weiter über Pfullendorf ins Unterallgäu. Meist übernachten die beiden 24-Jährigen im Zelt, doch in Wipfel kamen sie in den Genuss bequemer Betten: „Wir haben einen Mann nach Wasser gefragt, und er hat uns eingeladen, in seinem Haus zu schlafen.“Sie haben den Eindruck, in Deutschland seien die Leute offener für solche Begegnungen als in Frankreich. „In Frankreich schauen die Leute zu viel Fernsehen, und dann haben sie Angst vor Fremden,“mutmaßt einer.
Die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland bieten reichlich Stoff für Unterhaltung. Antoine Stammose sind die riesigen Maisfelder aufgefallen, die hierzulande zur Energiegewinnung angepflanzt werden: „In Frankreich geht das nicht, Pflanzen für die Biogasanlage anzubauen. In den Biogasanlagen werden Reste und Abfälle ver- wertet.“Gestärkt von Tee und Brotzeit im Hause Miller in Stockheim zogen sie weiter, nach Landsberg am Lech. „Heute Abend machen wir tausend Kilometer“, erzählt einer der beiden stolz. Um ihr Gepäck möglichst leicht zu halten, haben sie nur Landkarten bis Salzburg dabei. Die Karten für den nächsten Abschnitt schickt die Familie postlagernd nach Salzburg. Von dort aus geht es weiter an den Plattensee in Ungarn und über Serbien und Bulgarien in die Türkei. Und zurück mit dem Flugzeug? „Nein!“, protestiert Antoine Stammose, „nach fünf Monaten Wanderung in drei Stunden nach Hause fliegen, das ist zu einfach.“Außerdem wäre das nicht umweltfreundlich. Vielleicht per Anhalter, oder mit der Fähre über das Mittelmeer, alle Möglichkeiten sind noch offen. In Stockheim bleibt von den netten Franzosen ein Gruß in Irene Millers Gästebuch, frei zitiert nach Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond: „Un petit thé pour l’homme, un grand thé pour les relations humaines!“