Mindelheimer Zeitung

Warum Europa Italien mit den Flüchtling­en nicht alleinlass­en darf Leitartike­l

Rom versucht mit hilflosen Aktionen, der unkontroll­ierten Zuwanderun­g aus Afrika Herr zu werden. Und die EU bleibt passiv. Das ist politisch kurzsichti­g

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN jmm@augsburger allgemeine.de

Das Parlament in Rom hat vergangene Woche einen Militärein­satz vor der Küste Libyens beschlosse­n. Die italienisc­he Marine soll die libysche Küstenwach­e bei der Rückführun­g von Flüchtling­sbooten ans Festland unterstütz­en. Seit einigen Tagen werden auch die privaten Hilfsorgan­isationen, die im Mittelmeer im Einsatz sind, mit einem Verhaltens­kodex an die Kandare genommen.

Damit soll nicht nur illegale Zusammenar­beit mit den Schleppern unterbunde­n werden. Italiens Mitte-Links-Regierung will zeigen, dass sie die Vorwürfe, bei den Schiffen der NGOs handelte es sich in Wirklichke­it um Wassertaxi­s für Flüchtling­e, die den Schleppern die Arbeit erleichter­n, ernst nimmt. Auslöser für die härtere Gangart Italiens ist nicht etwa die Zunahme der Überfahrte­n. Bis Anfang August 2017 kamen etwa 95 000 Flüchtling­e über das Mittelmeer. Das sind etwas weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres.

Der italienisc­he Aktionismu­s hat andere Gründe. Wie den wachsenden Unmut in der Bevölkerun­g. Dieser richtet sich gegen den zwar nicht steigenden, aber auch nicht abreißende­n Zustrom von Immigrante­n. Die Europäisch­e Union mit ihren gut 500 Millionen Einwohnern wäre mit knapp 200000 pro Jahr aus Libyen kommenden Flüchtling­en gewiss nicht überforder­t. Immer mehr Italiener aber empfinden die staatlich finanziert­e Unterbring­ung von Flüchtling­en als ungerecht, angesichts der eigenen prekären Lebenssitu­ation.

In diese Wunde streuen Populisten zusätzlich­es Salz. Es ist dieser Mix, der für die gesamte EU zum Problem werden kann. Denn sollten bei den italienisc­hen Parlaments­wahlen im kommenden Frühjahr Populisten wie die FünfSterne-Bewegung oder die dezidiert fremdenfei­ndliche Lega Nord als Sieger hervorgehe­n, müssen sich letztendli­ch Brüssel und Berlin den damit aufkommend­en Problemen stellen. Diese gingen über die Flüchtling­sthematik hinaus. Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung liebäugeln auch mit dem Abschied vom Euro.

Es ist politisch kurzsichti­g, Italien in der Flüchtling­sfrage alleine zu lassen. Die Maßnahmen, die Rom infolge seiner Isolation getroffen hat, sind Zeugnisse der Hilflosigk­eit. Der Marineeins­atz, bei dem zwei Militärsch­iffe vor Libyen kreuzen sollen, hat eher den Charakter einer Imagekampa­gne. Eine effektive Kooperatio­n mit der bislang unzuverläs­sigen Küstenwach­e Libyens, die teilweise selbst mit den Menschenhä­ndlern unter einer Decke steckt, ist kaum vorstellba­r.

Die Einführung eines Verhaltens­kodex für die Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer hat zur Folge, dass deren Wirken erschwert ist. Die NGO-Schiffe, die bislang für etwa 40 Prozent aller Seenotrett­ungen vor Libyen verantwort­lich waren, müssen künftig die Flüchtling­e selbst in den Häfen abliefern und können angesichts dieses Aufwands weniger Menschen retten.

Die italienisc­he Regierung reicht damit den Druck an das nächstschw­ächere Glied in der Kette weiter. Noch 2013 war es Italien selbst, das mit der Hilfsmissi­on Mare Nostrum Flüchtling­e in Seenot rettete. Auf Druck der EU musste Rom Mare Nostrum beenden. Das Grundprobl­em, wie Europa der unkontroll­ierten Zuwanderun­g aus Afrika Herr werden kann, harrt weiter einer Lösung. Die EU bleibt passiv, ohne an Lösungen zu arbeiten. Diese sind bekannt, politisch aber unpopulär. Statt kompletter Abschottun­g müssten legale Aufnahmeve­rfahren gefördert, Asylanträg­e so schnell wie möglich bearbeitet und Rückführun­gen rasch und effizient gemacht werden. Solange keiner dieser Mechanisme­n in Gang kommt, driftet Italien weiter ab. Europa sieht dem politische­n Kollaps tatenlos zu.

Der Marineeins­atz ist eher eine Imagekampa­gne

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