Mindelheimer Zeitung

Die Überläufer­in und die Frage: Darf die das? Debatte

Bei den Grünen steht sie vor dem Aus, da stellt Elke Twesten plötzlich fest, dass sie ohnehin besser zur CDU passt. Jetzt ist sie berühmt, aber das wird ihr wenig nützen

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger allgemeine.de

Elke Twesten ist, das muss man so hart sagen, eine vergleichs­weise unbedeuten­de Politikeri­n. Im niedersäch­sischen Landtag fiel sie nicht groß auf. Sie vertrat dort die Interessen ihrer Wähler in Rotenburg (Wümme), Bremervörd­e und Visselhöve­de. Nächstes Jahr wäre ihre Karriere im Parlament wohl zu Ende gegangen, ohne dass irgendjema­nd im Rest der Republik auch nur Notiz davon genommen hätte. Die Grünen in ihrem Wahlkreis verweigert­en ihr jedenfalls den Platz als Direktkand­idatin. Doch sie haben die Rechnung ohne die Finanzwirt­in gemacht. Das Ergebnis: Seit Freitag kennt ganz Deutschlan­d Elke Twesten – die Abgeordnet­e, die zur CDU überlief.

Die 54-Jährige kostet nicht nur Ministerpr­äsident Stephan Weil seine hauchdünne rot-grüne Mehrheit. Sie entfacht auch eine Debatte über Macht und Moral. Die Grünen sind schockiert, die SPD stinksauer. Und alle fragen sich: Darf die das? Na klar, darf sie. Twesten ist schließlic­h nicht die Erste, die quasi in voller Fahrt den politische­n Rennstall wechselt. Ungewöhnli­ch ist allerdings ihr besonders niederes Motiv: Ihr geht es ganz offensicht­lich in erster Linie um die persönlich­e Karriere. Die Tatsache, dass die Grünen sie aufs Abstellgle­is geschoben haben, dürfte der Hauptgrund gewesen sein, sich eine neue politische Heimat zu suchen. Eine Heimat mit besseren Aussichten für die eigene Laufbahn?

Twesten selbst sprach jedenfalls schon am Tag ihres Abgangs unverhohle­n über eine mögliche Zukunft im Europaparl­ament. Oder im Bundestag. Oder irgendwo halt. Dass die CDU sie mit dahingehen­den Versprechu­ngen gelockt hat, lässt sich nicht beweisen. Dass die Überläufer­in angeblich schon vor Wochen von einem „unmoralisc­hen Angebot“der Union gesprochen haben soll, hinterläss­t zumindest ein „Gschmäckle“.

Mag ja sein, dass sich Twesten, die dem Realo-Flügel angehörte, tatsächlic­h von ihrer Partei entfremdet hat. Nur warum wollte sie dann im Januar überhaupt wieder als grüne Kandidatin für den Landtag antreten? Es ist der Zeitpunkt der Fahnenfluc­ht, der sie unglaubwür­dig macht. Kurz nach ihrer verlorenen Kampfabsti­mmung um den Platz auf dem Wahlplakat fällt ihr plötzlich ein, dass sie in der Union sowieso besser aufgehoben ist? Nun ja.

Immerhin hat es Twesten mit ihrem Manöver zu Bekannthei­t über den Wahlkreis Rotenburg (Wümme) hinaus gebracht. Es ist eine zweifelhaf­te Bekannthei­t. Ob sie persönlich davon profitiere­n wird? Eher fraglich. Denn selbst wenn die CDU die vorgezogen­en Neuwahlen gewinnen sollte, dürfte auch für die Überläufer­in – frei nach Julius Cäsar – gelten: Man liebt den Verrat, aber man hasst den Verräter. Als eine Frau, auf die man sich verlassen kann, hat sich Twesten jedenfalls nicht gerade erwiesen.

Und der Fall hat noch eine zweite Dimension: All die Verdrossen­en, die schon lange der Meinung sind, dass es in der Politik eh nur um Eitelkeite­n, Macht und Geld geht, haben wieder eine Geschichte mehr zu erzählen. Wer sich die Reaktionen auf die niedersäch­sische Regierungs­krise anschaut, kann erahnen, dass damit auch der Ton im Bundestags­wahlkampf giftiger wird. Die SPD hetzt gegen die „Verräterin“und spekuliert sogar, Twesten sei „gekauft“worden, während CDU und CSU sich Häme und peinliches Triumph-Geheul nicht verkneifen können.

Dabei wollte doch nur eine vergleichs­weise unbedeuten­de Politikeri­n etwas für ihre Karriere tun. Durfte sie das? Na klar. Nur besonders klug war es halt nicht.

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Fotos: dpa Typverände­rung: Elke Twesten 2015 als Grüne und jetzt bei der CDU.
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