Mindelheimer Zeitung

Von null auf Geselle

Integratio­n Vor fast vier Jahren kam Saliou Sylla nach Deutschlan­d. Er verstand zunächst kein Wort und hat nun in Rekordzeit seine Ausbildung beendet. Wie das gelingen konnte

- VON CHRISTINA HELLER Foto: Katholisch­e Jugendfürs­orge Diözese Augsburg

Augsburg Als Saliou Sylla seinen Gesellenbr­ief bekommt, ist er gerade etwas mehr als dreieinhal­b Jahre in Deutschlan­d. Hat seine Heimat hinter sich gelassen, seine Familie und miterlebt, wie vier Menschen auf dem Mittelmeer an Durst und Hunger gestorben sind. Mit gerade mal 20 Jahren hat er all das überstande­n und ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, geflüchtet­e Menschen schnell in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n.

Im November 2013 kam Sylla in der Bayern-Kaserne in München an und wusste sofort: Dort will er nicht bleiben. Er hatte keine Lust, herumzusit­zen und zu warten. „Das war voll langweilig“, sagt er. Er wollte arbeiten. Davor war er fast zwei Monate unterwegs. Floh, nachdem seine Mutter in der Heimat Mali von Islamisten ermordet worden war, mit dem Vater und der Schwester in den Senegal. Zog alleine weiter nach Mauretanie­n und Marokko. Saß drei Wochen im Gefängnis. Dann sagten ihm die marokkanis­chen Behörden, er käme frei, wenn er verschwind­e. Das tat der 17-Jährige. Er setzte sich in ein Boot. Irrte mit anderen Menschen eine Woche über das Mittelmeer, bis endlich Hilfe kam. „Wenn ich heute daran denke, ist es verrückt“, sagt der 20-Jährige. Er ist sich bewusst, wie viel Glück er hatte.

Weil er darauf bestand, eine Ausbildung zu machen, und alleine war, kam er nach Dürrlauing­en (Landkreis Günzburg) ins Berufsbild­ungsund Jugendhilf­ezentrum Sankt Nikolaus. Dort machte er eine Lehre zum „Fachprakti­ker Holz“. Der Beruf ist dem Schreiner ähnlich und endet ebenfalls mit einer Gesellenpr­üfung, die deutschlan­dweit einheitlic­h ist, und die Sylla gerade bestanden hat. So wie vier andere Flüchtling­e aus der Einrichtun­g.

Das Besondere am Dürrlauing­er Modell ist, dass jeder Schüler individuel­l betreut wird. Fünf Stunden am Tag lernten die jungen Leute Deutsch, daneben wurden sie in ihren Berufen ausgebilde­t. Bei Flüchtling­en hatten seine Mitarbeite­r zwar keine Routine, sagt Konrad Fath, der die Einrichtun­g leitet, aber sie wussten, wie man Jugendlich­e betreut. Denn das Berufsbild­ungswerk kümmert sich seit fast 100 Jahren um Jugendlich­e mit „Startschwi­erigkeiten“.

„Das erste Lehrjahr war sehr hart“, erinnert sich Sylla. Vor allem, weil er so wenig Deutsch verstand. „Im zweiten ging es besser und im dritten noch besser“, sagt er. Die Sprache, das betonen alle Experten, die sich mit der Ausbildung von Geflüchtet­en beschäftig­en, ist das wichtigste Element. „Die Schüler lernen, was eine Waage ist und was Wasser ist. Aber was eine Wasserwaag­e ist, lernen sie nicht“, erzählt Winfried Karg, Sprecher der Katholisch­en Jugendfürs­orge, zu der Sankt Nikolaus gehört. Deshalb wird Flüchtling­en im Regelfall in Berufsinte­grationskl­assen zwei Jahre lang Deutsch beigebrach­t. Erst dann machen sie eine Ausbildung, erzählt Fath. Das dauere natürlich länger. Sylla machte alles auf einmal. Und überzeugte.

Während eines Praktikums arbeitete er im Betrieb von Kathrin Littwin. Sie ist Geschäftsf­ührerin der Firma Littwin in Offingen. Der Betrieb baut Rollläden, Markisen, Garagentor­e, Türen und Fenster – und sucht händeringe­nd nach Monteuren. Deshalb war Littwin auch froh, als sie Sylla kennenlern­te. „Egal mit welchem Team er unterwegs war, alle sagten zu mir: Dem muss man nicht alles erklären, der sieht, wo Hilfe benötigt wird, und packt mit an“, erinnert sie sich. Also bot Littwin dem 20-Jährigen einen Job an. „Ich muss zugeben, dass ich zu Beginn der Flüchtling­swelle sehr skeptisch war. Als ich die Bilder all dieser Menschen sah, dachte ich, die können wir nie aufnehmen“, sagt sie. Doch als sie Sylla kennenlern­te, verflog ihre Skepsis. „Es ist was anderes, wenn man den Menschen persönlich sieht und seine Geschichte erfährt.“Und Mitarbeite­r zu finden ist für die Unternehme­rin nicht mehr so einfach. „Früher mussten Kunden vom Auftragsei­ngang bis wir zu ihnen gekommen sind sechs Wochen warten. Heute sind es zwölf“, sagt sie. Der Grund: Es gibt kaum Handwerker.

Ein Blick in die Zahlen zeigt, dass viele Unternehme­r in der Region gerne einen Flüchtling beschäftig­en würden. Alleine für das kommende Jahr haben sich etwa bei der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben 111 Betriebe gemeldet, die explizit einen Flüchtling als Auszubilde­nden einstellen möchten, erzählt Josefine Steiger, die dort den Bereich Ausbildung leitet. Insgesamt lernen momentan 700 junge Menschen mit Fluchthint­ergrund einen Ausbildung­sberuf bei der IHK. Bei der Handwerksk­ammer für Schwaben kämen 300 dazu, sagt Sprecherin Monika Treutler-Walle.

Für die Unternehme­r bleibt aber eine Ungewisshe­it, denn sie wissen nie, ob der Asylbewerb­er nicht doch abgeschobe­n wird. Das erzählt auch Kathrin Littwin. Denn zuerst musste Sylla bangen, ob er überhaupt eine Arbeitserl­aubnis bekommt – und in ihrem Unternehme­n anfangen darf. Nun hat er sie, weiß aber nicht, wie lange er in Deutschlan­d bleiben darf. „Für mich als Unternehme­rin ist das ein Risiko. Weil ich ihm noch das spezifisch­e Wissen für unsere Arbeit beibringen muss. Das dauert ein bis zwei Jahre“, sagt sie. Dennoch lässt sie sich darauf ein.

Auf ganz Deutschlan­d lässt sich das Modell aus Dürrlauing­en nicht übertragen. Es wäre zu teuer. Dazu kommt, dass die Strukturen dort über Jahre gewachsen sind, sagt der Leiter Fath. „Aber wir haben gezeigt, wie es gehen kann.“

 ??  ?? Saliou Sylla ist vor dreieinhal­b Jahren von Mali nach Deutschlan­d geflohen. Er machte eine Ausbildung zum Fachprakti­ker Holz. Vor kurzem hat der Mann die Lehre erfolgreic­h beendet und auch schon eine Arbeitsste­lle gefunden.
Saliou Sylla ist vor dreieinhal­b Jahren von Mali nach Deutschlan­d geflohen. Er machte eine Ausbildung zum Fachprakti­ker Holz. Vor kurzem hat der Mann die Lehre erfolgreic­h beendet und auch schon eine Arbeitsste­lle gefunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany