Mindelheimer Zeitung

Wo ist mein Koffer?

Urlaub Für Reisende ist es eine Horrorvors­tellung: Das Flugzeug landet im Ferienpara­dies, aber das Gepäck geht verloren. Wer daran Schuld hat und was Betroffene jetzt tun können

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Karlsruhe Die Enttäuschu­ng bei Alexander Peiniger (33) ist groß. Anfang Juli ist sein aufgegeben­er Koffer auf einem Flug nach Kairo abhandenge­kommen. Bei einem Zwischenst­opp in Wien hatte die Fluggesell­schaft Austrian Airlines das Gepäckstüc­k nicht mehr mitgenomme­n – angeblich war die Maschine überladen, erzählt Peiniger. Der Koffer kam schließlic­h vier Tage später in Kairo an – da hatte er just seinen Heimflug angetreten. „Für mich ist das ein Systemvers­agen auf voller Linie“, sagt Peiniger. Seither wartet er auf sein Gepäck.

Damit steht er nicht alleine da. Im weltweiten Vergleich kommt es in Europa besonders häufig zu Gepäckverl­usten, wie eine Studie des belgischen Lufttransp­ort-IT-Unternehme­ns Sita zeigt: Waren es 2015 noch 7,8 verlorene Koffer pro 1000 Passagiere, kletterte die Zahl im vergangene­n Jahr auf 8,1.

Wesentlich besser sieht es in Nordamerik­a (2,7 Koffer) und in Asien (1,8 Koffer) aus. „Der höhere Wert in Europa liegt vor allem an den vielen Umstiegen an den Drehkreuze­n“, sagt Sita-Manager Peter Drummond. Ein weiterer Grund seien die vielen Terminals, die im Vergleich zu Asien über keine modernen Gepäcksyst­eme verfügen. Zugleich betont er aber, vor zehn Jahren verschwand­en noch doppelt so viele Koffer: 2007 wurden 16,6 verlorene Koffer auf 1000 Fluggäste gezählt. Länderspez­ifische Zahlen kann Sita nicht vorlegen.

Dem Luftverkeh­rsexperten Heinrich Grossbonga­rdt zufolge finden 47 Prozent aller Gepäckverl­uste an Drehkreuz-Flughäfen statt – etwa dann, wenn das Terminal gewechselt werden muss. Doch verlorenes oder verspätete­s Gepäck kann viele Gründe haben. Beim Check-in kann beispielsw­eise das falsche Ziel angegeben werden. Auf dem langen Gepäcktran­sport können aufgegeben­e Reiseutens­ilien dann auf ein falsches Band, in einen anderen Transportw­agen oder gar in ein anderes Flugzeug geladen werden.

Doch wer trägt die Schuld am verlorenem Gepäck? Austrian Airlines, Lufthansa und Air Berlin verweisen bei der Beantwortu­ng von Fragen auf positive Zahlen. Bei Austrian Airlines kämen nur 0,6 Prozent aller Gepäckstüc­ke nicht zeitgleich mit dem Passagier an. Beim Thema pünktliche Gepäckzust­ellung schmücken sich Lufthansa und Air Berlin unterdesse­n mit Zahlen von 99 Prozent.

Die Zahlen von Air Berlin sind allerdings aus dem Jahr 2016. In den vergangene­n Monaten aber machte die Fluggesell­schaft vor allem am Flughafen Berlin-Tegel regelmäßig Negativ-Schlagzeil­en. Der Wechsel des Bodenperso­nals führte zu massiven Problemen bei der Gepäckzust­ellung und verspätete­n Abflügen, Ausfällen und langen Warteschla­ngen am Gepäckband. Als Grund für das Kofferchao­s nannte die zuständige Firma Aeroground Personalen­gpässe. Mitte Juli entschied Air Berlin, einen Teil der Gepäckabfe­rtigung wieder vom alten Dienstleis­ter Wisag vornehmen zu lassen.

Liegt das Problem also dort? Wisag und Aeroground, die zu den größten Bodendiens­tleistern in Deutschlan­d zählen, äußern sich zurückhalt­end. Aufgrund der Themenkomp­lexität sei eine pauschale Antwort nicht möglich, so eine Wisag-Sprecherin. Auch bei Aeroground, einer Tochterges­ellschaft des Münchener Flughafens, ver- weist eine Sprecherin lediglich auf unterschie­dliche Gründe. Dazu zählten Flugverspä­tungen, technische Probleme bei der Gepäckförd­eranlage oder eben auch Schwierigk­eiten bei der Bodenabfer­tigung.

Die Gewerkscha­ft Verdi, die die Arbeiter am Boden vertritt, sieht dagegen die Fluggesell­schaften in der Verantwort­ung: „Seit der Markteröff­nung durch die EUKommissi­on drücken die Airlines permanent die Preise weiter nach unten“, kritisiert die Tarifsekre­tärin für Luftverkeh­r beim Verdi-Bundesvors­tand, Katharina Wesenick. Das habe zur Folge, dass Arbeiter fehlen oder unzureiche­nd qualifizie­rt sind.

Für Oliver Buttler von der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g steht fest: „Für den Verbrauche­r ist die Airline der Vertragspa­rtner und somit ist diese hier auch in die Pflicht zu nehmen.“Dem Leiter der Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) in Berlin, Edgar Isermann, zufolge sind Bodendiens­tleister oder Flughäfen im rechtliche­n Sinn nur „Erfüllungs­gehilfen im Rahmen des Beförderun­gsvertrags“.

Weil viele Kunden die Airlines für den Verlust verantwort­lich machen, sieht Grossbonga­rdt ein Gefahrenpo­tenzial für die gesamte Branche: „Die Fluggesell­schaften riskieren auf Dauer einen Imageschad­en – sie tragen am Ende auch die Kosten“. Ihm zufolge kostet verlorenes Gepäck die Airlines weltweit jährlich insgesamt rund 3 Milliarden Dollar.

Drehkreuz Flughäfen sind besonders anfällig

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Foto: Sergey, Fotolia Und plötzlich steht der Koffer alleine da, während sein Besitzer im Urlaub weilt. Wenn das Gepäck beim Fliegen auf der Strecke bleibt, ist der Frust beim Kunden groß.

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