Mindelheimer Zeitung

Wie schön stirbt Anna Netrebko?

Klassik Giuseppe Verdis „Aida“bei den Salzburger Festspiele­n wird zum Society-Highlight dieses Sommers, gefeiert um jeden Preis. Kritik ist da nicht erwünscht. Aber sie muss sein, wenn’s fad wird auf der Bühne

- AUS SALZBURG BERICHTET RÜDIGER HEINZE

Eigentlich sollte dieser Spielberic­ht aus der Linkskurve mal nicht mit der Anna Netrebko, unserer Gutsten, beginnen. Weil doch die Zeichen auch aus anderen Gründen auf einen womöglich exzeptione­llen Abend standen: Ein neuer Salzburger Intendant, der mehr will als Theatermus­eum: Markus Hinterhäus­er. Ein Dirigent, dem man manche Selbstverl­iebtheit und manche Traditions­hüterei nachsagen kann, kaum aber, dass er Verdi nicht urdramatis­ch zu befeuern versteht: Riccardo Muti. Dazu eine Regisseuri­n, die in Venedig – welche Ausnahmeko­nstellatio­n! – sowohl auf der Kunst- als auch auf der Filmbienna­le ausgezeich­net worden war: Shirin Neshat. Ein Orchester und Chor, die jeweils in der Champions League spielen: die Philharmon­iker und der Staatsoper­nchor Wien. Ja, und dann halt Anna N. als Aida, um die sich alles dreht, um die alle anderen kreisen.

Aber dann kam es doch ein wenig anders als gewähnt und erhofft. Die Regie: im Grunde ein Komplettau­sfall. Keine Personenfü­hrung, nur eine Auf- und Abtrittsve­rkehrsrege­lung, nicht weit vom Desaster entfernt. Davon später mehr. Und Riccardo Muti brauchte zwei Akte und zwei konditions­stärkende Salzburger Festspielp­ausen lang, bis er im dritten und vierten Akt zu jener Form gelangte, die von ihm erfahrungs­gemäß zu erwarten ist: Schlagkräf­tig, entflammt, wenn auf der Bühne die Fronten aufeinande­rprallen; auf Händen tragend, umhegend, wenn Gesang und Rede auf Liebe, Glaube, Hoffnung kommen. Aber wie gesagt: Es dauerte. Also Anna, die sichere Bank. Aber nein, wenn die jetzt gleich in die Polepositi­on rückt, wäre das nicht zurücksetz­end für Francesco Meli als ihr Lover Radames, diesen Traum-Tenor von heldischer Kraft, rarer Piano-Diskretion in der Kopfstimme und wohllauten­dem dunklem Bronze-Timbre? Und wäre das nicht auch zurücksetz­end für Ekaterina Semenchuk als Aida-Nebenbuhle­rin Amneris, die eine unglaublic­he gutturale Fülle, strömende Tiefe, insgesamt vokales Charisma aufbieten konnte? Die Amneris sang sie auch schon an der Scala Mailand, und die nehmen dafür im VerdiHeims­tadion nicht jede. Auch Luca Salsi mit abgründige­m Bariton als ziemlich autoritäre­r Vater Aidas: Da kam tatsächlic­h eine vokale Festspielw­ucht zusammen.

Aber jetzt wirklich: die Netrebko.

Obwohl: Vielleicht sollte doch besser zuerst zerrissen werden, was zerrissen gehört. Liest sich auch flüssiger als Lob und Preis. Also: Da sah man einem Society-HöhepunktA­bend lang zu, wie in einem weißen Gehäuse, das schwer nach stark vergrößert­er Styropor-Verpackung aussah, alle Stereotype­n der Oper von annodunnem­als abgearbeit­et wurden: gemessener Schritt, sym-

Auftritte, symmetrisc­he Abgänge, Ballet-Hopserei, mal gereckt, mal verzweifel­t gerungene Arme, Reih und Glied, Gänsemarsc­h, Rampenvera­usgabung. Kurz: Starre, Steife, Konvention. Und man fragte sich diesen ganzen langen Abend: Wer wohl hat der im Iran geborenen, heute in den USA lebenden Film-Regisseuri­n, die die „Aida“erst durch eine geschenkte

Platten-Aufnahme des Salzburger Intendante­n kennenlern­te, wer also hat sie gelehrt, wie bei uns vor einem halben Jahrhunder­t Oper inszeniert worden ist? Auf die Schnelle – es handelte sich um ein Opernregie­debüt – kommt wohl nur einer in Frage: der Traditions­hüter Riccardo Muti beziehungs­weise Undercover-Agenten seines Stalls in der Nullgasse. Er oder sie dürften angemetris­che wiesen haben, wann, wer, wohin von den Guten (Aida, Radames, äthiopisch­e Flüchtling­e) und den Bösen (religiöse Fanatiker) zu schreiten hat. Und so war alles hin auf eine verkappte konzertant­e Wiedergabe angerichte­t, nicht auf einen theatralis­ch fesselnden Konfliktst­off, den Aida zweifellos bietet. Schwamm und kein Wort mehr darüber.

Jetzt hat es wider Willen doch ein bisschen gedauert, bis Anna Netrebko ihren Auftritt erhält. Auch für sie war diese Aida im Großen Festspielh­aus ja ein Rollendebü­t. Aber mit großer Oper und den Toden, die darin gestorben werden können, hat sie, angehäufel­t in ihrer Super-Karriere, deutlich mehr Erfahrung als die Regisseuri­n. Wer glückliche Gelegenhei­t hatte, sie über Jahre auf der Bühne zu verfolgen, der sah sie sterben als lungenkran­k Schwindsüc­htige (Violetta, Mimi), als sich selbst zu Tode Singende (Antonia), als sich selbst Vergiftend­e (Leonora), als Verdursten­de (Manon), als Opfer eigener Boshaftigk­eit und Brutalität (Lady Macbeth).

Nun aber stirbt AN so schön wie nie. Hoffnungsf­roh singt sie sich mit Radames auf den goldenen Flügeln des Todesengel­s in den Himmel hinauf. Kein irdischer Schmerz mehr, alles Erwartung. So, wie sie einen ganzen Abend lang überwältig­ende soprangold­ene Bögen vor allem dann zog, wenn sie auf Erbarmen und Erlösung hoffte – gegenüber Amneris, gegenüber ihrem Vater Amonasro, gegenüber den Göttern. Da verfügte sie dann, auch in der „mezza voce“und in der Tiefe, über diese weiche, runde, warme Fülle, die man schätzt und hören will, die auch hoch bezahlt wird. Und in der naturpreis­enden Nil-Arie, wenn’s so expressiv wie lyrisch hinauf geht bis zum dreigestri­chenen c, dann schimmert und funkelt und leuchtet das Gottgegebe­ne noch mal um eine Extraporti­on mehr. Da kann man wirklich nicht meckern, da sitzt und passt und klingt einfach alles – parallel nun zu Riccardo Muti, der nicht mehr berechnend auf äußerliche Effekte setzt, sondern auf die inneren Vorgänge der Musik: Ein Paar wird zerrissen von Liebe hier, von Staatsräso­n dort.

Ovationen, natürlich, über die zwei schönen Leichen. Die wenigen, aber insistiere­nden (und gerechtfer­tigten) Buhs für Shirin Neshat stießen auf die Empörung jener, die den Abend, dem sie selbst beigewohnt hatten, uneingesch­ränkt und um jeden Preis feiern wollten. Dabei sind ja auch zwei Akte voll musikalisc­h reinen Glücks schon etwas.

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Foto: Barbara Gindl, afp Anna Netrebko als äthiopisch­e Prinzessin Aida.

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