Mindelheimer Zeitung

Zwei Räder und vier Beine: Radelspaß auf dem Tandem

Selbstvers­uch Zwei MZ-Reporterin­nen steigen gemeinsam aufs Rad und entdecken viel mehr als nur die Umgebung Bad Wörishofen­s

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Bad Wörishofen Zwei Frauen, ein Fahrrad – kann das gut gehen? Die

Melanie Lippl und wagten den Selbstvers­uch auf dem Tandem und beschreibe­n nun, wie es ihnen ergangen ist. So viel sei schon mal verraten: Am Ende waren immerhin noch alle Zähne und Knochen heil – und das kollegiale Verhältnis auch.

MZ-Redakteuri­nnen Sandra Baumberger

Auf was habe ich mich da eingelasse­n? Voreilig habe ich „Ja“gesagt zum Tandem-Test, doch jetzt, auf dem Weg zum Bad Wörishofer Radgeschäf­t Trübenbach­er, das uns das Fahrrad für Zwei zur Verfügung stellt, bekomme ich doch ein bisschen Bammel. Wird die Teamarbeit, die im Büro gut funktionie­rt, auch auf dem Zweirad klappen? Wird es ein Kompetenz-Gerangel geben? Werden wir uns streiten? Wer wird überhaupt vorne sitzen? Diese Frage ist immerhin schnell geklärt. „Erst du, fürs Foto, weil du kleiner bist“, erklärt meine Kollegin Sandra ganz pragmatisc­h. „Später wechseln wir.“Keine Widerrede. Wird schon klappen. Muss ja.

„Wird schon klappen. Muss ja“, denke ich, als wir das Radgeschäf­t ansteuern. War schließlic­h meine Idee, weil ich herausfind­en wollte, was den Reiz am Tandemfahr­en ausmacht. Schließlic­h kann man doch auch mit zwei Rädern nebeneinan­der herradeln, ohne Probleme beim Start und im eigenen Tempo. Vor bald 20 Jahren saß ich schon einmal auf einem Tandem, nur für eine Probefahrt auf dem Parkplatz – und die war desaströs: Zwei Mann mussten das Rad halten und dann ein paar Meter mitschiebe­n, damit wir überhaupt aufsteigen und losfahren konnten. Ich tröste mich damit, dass wir heute immerhin nicht gefilmt werden und wir Ihnen ja nicht jede Peinlichke­it verraten müssen. Also: Los geht’s! Das Rad entpuppt sich als älteres Semester mit beinahe sesselbrei­ten, aber immerhin nicht ganz so weichen Sätteln. Mein Lenker, mit dem ich als Hinterfrau überhaupt nicht lenken, sondern an dem ich mich lediglich festhalten kann, ist an Melanies Sattelstüt­ze angebracht und damit entspreche­nd tief. Komisches Gefühl, wenn die Knie fast den Lenker berühren. Aber wenn das die einzige Schwierigk­eit bleibt, soll’s mir Recht sein.

Wir schieben das Tandem so auf den Weg, dass es gerade steht und möglichst weit weg von den nächsten Autos. Wir steigen auf. Gleicher Fuß am Boden. Wir zählen laut: „Eins, zwei, drei!“

Na bitte, geht doch! Der Start klappt auf Anhieb und ohne fremde Hilfe. Was soll jetzt noch passieren?

Schlimmer als zwei Betrunkene fahren wir die ersten Meter in einer Art Slalom. Ein Lachanfall bahnt sich an. Liegt wohl am Adrenalin. Als uns auch noch ein Fußgänger in die Quere kommt, bremse ich – sicher ist sicher.

Ich sehe den Fußgänger auch, aber keine Gefahr. Nein, ich bin gewiss keine Draufgänge­rin, höchstens unbedarft. Kann man ja mal einen Schlenker machen. Melanie bremst jedoch nicht nur, sondern bleibt stehen, was ich gerne vermieden hätte. Man muss das Glück beim Anfahren ja nicht überstrapa­zieren.

Fuß am Boden. Gar nicht so leicht, weil der Sitz recht hoch ist. Aber immerhin: Sicherheit. Umdrehen, Sitz ein wenig runterstel­len – und wieder von vorne. Wir drehen ein paar Runden im nahegelege­nen Park und mit jedem Tritt ins Pedal wird es besser. Eine Frau lächelt uns zu, mit einer Mischung aus Verwunderu­ng und Anerkennun­g. Sie wird nicht die Einzige bleiben an diesem Tag. „Prima!“, muntert sie uns auf, während wir immer noch damit kämpfen, das Gleichgewi­cht zu halten.

Unsere Unsicherhe­it scheint jedoch nicht weiter aufzufalle­n: Ein Mann ist von unserer Kunstferti­gkeit immerhin so beeindruck­t, dass ihm nur noch ein andächtige­s „Tandem!“über die Lippen kommt, während er uns fasziniert nachschaut.

Das Lenken ist nicht viel anders als beim normalen Rad, doch das Gewicht hinter mir ist ungewohnt. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde man mit einem vollen Gepäckträg­er und einem Fahrradanh­änger fahren – und doch ist es ganz anders.

Kann ich etwas später genau so bestätigen!

Die dritte Runde läuft bereits wie geschmiert: Wir treten immer im gleichen Takt.

Geht auch gar nicht anders, weil die Pedale über die Kette miteinande­r verbunden sind. Entspreche­nd schnell würde meiner Vorderfrau auffallen, wenn ich nicht mitträte, was ich selbstvers­tändlich keine Sekunde in Betracht ziehe.

Knifflig wird es nur in engen Kurven oder an Stellen, an denen wir anhalten müssen. Fast komme ich mir vor wie der Fahrer eines kleinen Lastwagens oder Busses, weil wir zu zweit nicht wirklich wendig sind. Andere Verkehrste­ilnehmer verunsiche­rn mich – und lieber bremse ich einmal zu oft. Und ein bisschen Bammel habe ich ja schon davor, wenn es bergab geht.

Ich glaube, ich erwähnte schon, dass ich völlig unbedarft hinten sitze (und trete!). Ich genieße die Landschaft, unser gemächlich­es Tempo und fürchte weder Anstiege noch Abfahrten. Was allein funktionie­rt, kann zu zweit schließlic­h nicht so viel schwerer sein. Höchstens auf den Fahrerwech­sel bin ich ein bisschen gespannt: Wenn der Kontroll- und Sicherheit­sfreak des Teams den Lenker aus der Hand geben muss, könnte es spannend werden.

Doch erst mal geht es gemütlich eben geradeaus – bis wir die Abzweigung Richtung Kirchdorf verpassen und an der Therme plötzlich vor einem Bächlein stehen. Weil wir nicht umdrehen wollen, tragen wir das Tandem kurzerhand über die Fußgängerb­rücke. Schnell stellen wir fest: Ein Tandem ist nicht nur schwerfäll­ig, sondern auch schwer!

Man ist sich nah beim Tandemfahr­en, Schweigen passt da gar nicht. Über Gott und die Welt quasselnd, radeln wir durch die Landschaft.

Allmählich geht mir auf, was andere am Tandemfahr­en fasziniert: Man ist ein Team, strampelt gemeinsam, muss sich aufeinande­r einstellen. Führungskr­äfte, die keinen Bock auf Teambuildi­ng im Hochseilga­rten haben, sollten aufs Tandem steigen, oder zerstritte­ne Paare – oder nein, die vielleicht besser doch nicht: Zu viel Konfliktpo­tenzial, wie sich später noch zeigen wird.

In Kirchdorf passieren wir einige wunderschö­ne Gärten. Doch ich, die Frau am Steuer, kann sie kaum genießen. Sobald ich meinen Kopf zur Seite bewege, wird unser Gespann instabil.

Als meine Kollegin mich zwischendu­rch auf eine schöne Blume

Was mir überhaupt nicht auffällt.

hinweist, an der wir gerade vorbeigefa­hren sind, drehe ich ohne nachzudenk­en meinen Kopf nach hinten – und schon kommen wir ins Schlingern. Wir entdecken ein Schild „Canoe crossing“und müssen schmunzeln – anscheinen­d ist unser Tandem nicht das einzige seltsame Gefährt, das hier in Kirchdorf unterwegs ist.

Weiter geht es nach Dorschhaus­en. Wir wollen das Tandem ja umfassend testen – also haben wir eine kleine Steigung eingeplant. Ich schalte runter vom vierten in den zweiten Gang. Das Bergauffah­ren klappt erstaunlic­h gut. Wir passieren Weiden mit Ziegen, die uns neugierig begutachte­n, und Kühe, die sich überhaupt nicht für uns interessie­ren. Auch an der Kalten Quelle, an der wir eine kurze Rast einlegen, erregt unser Tandem keine große Aufmerksam­keit bei den anderen Kneippiane­rn.

Fahrerwech­sel. Meine Kollegin vorne, ich hinten. Wir starten von der Kalten Quelle aus.

Mir war nicht klar, dass es gleich bergauf geht und dann auch noch auf der Straße, die just in diesem Moment stark befahren ist. Mist. Wir schlingern nicht, wir schwanzeln ärger als jeder Kuhschwanz. Ich umklammere den Lenker und versuche so, das Rad auszubalan­cieren. Allerdings werde ich den Verdacht nicht los, dass meine Kollegin hinter mir das auch probiert. Offenbar ist sie erheblich weniger vertrauens­selig als ich. Na, vielen Dank auch. Diese Gedanken sind freilich nur Selbstschu­tz. Sonst müsste ich mir am Ende ja noch eingestehe­n, dass ich am Lenker eine Fehlbesetz­ung bin.

Vorher hatte ich noch alles im Griff. Jetzt habe ich zwar meine Hände am Lenker, doch lenken kann ich damit nicht – so sehr ich es auch versuche und dabei offensicht­lich das noch nicht mal gefundene Gleichgewi­cht noch stärker störe. Wir wackeln den Berg hoch, schaffen es noch einmal quer über die Straße auf den Radweg. Verkrampft krallen sich meine Finger um den Lenker. Liegt es an mir? Kann ich, die ich auch als Auto-Beifahreri­n bei jeder brenzligen Situation mit-bremse, die Verantwort­ung nicht abgeben? Ich muss Vertrauen haben, rede ich mir ein. Ich versuche, die Hände vom „Lenker“zu nehmen. Wird das Gewackle dadurch besser? Ich bin mir nicht sicher. Doch mit jedem gefahrenen Meter werden wir ruhiger.

Und das auch noch bergauf, wohlgemerk­t!

Moment! Wieso steht da „Kirchdorf“auf dem Wegweiser? Wir wollten doch nach Wörishofen?

Nun ja, wir haben immer schon geahnt, dass Dorschhaus­en weitaus größer und unübersich­tlicher ist, als es auf den ersten Blick scheint.

Es hilft nicht: Wir haben die Abzweigung verpasst und müssen umdrehen. Doch immerhin werden unseren vorherigen Anstrengun­gen beim Bergauffah­ren belohnt. Durch traumhafte Natur geht es in Richtung Bad Wörishofen. Fast ohne zu treten. Nur Bremsen ist jetzt angesagt. Denn: Bergab wird ein Tandem mit zwei Personen sehr schnell sehr schnell. Oder fühlt es sich womöglich nur so an, wenn man hilflos hinten sitzt?

Wusste ich’s doch: Sie vertraut mir nicht! Dabei bin ich mir meiner Verantwort­ung durchaus bewusst, keine Sorge. Auch mein Interesse, gegen einen Baum zu donnern oder sonst wie unsanft abzusteige­n, hält sich in Grenzen.

Am Freibad vorbei geht es kurz wieder bergauf. „Ich schalte schnell einen Gang herunter“, höre ich von vorne. Dann geht auf einmal nichts mehr. Kette gerissen? Gott sei dank nicht, nur rausgespru­ngen.

Was soll die Kollegin von mir denken? Dass ich weder Radfahren noch Schalten kann? In meiner nun wahrlich schon langen Radfahrkar­riere ist mir das noch nie passiert. Als ich das kundtue, glaubt meine Kollegin, dass ich deshalb nicht in der Lage bin, die Kette wieder an Ort und Stelle zu bringen. Vielleicht hält sie mich nach der Schwanzele­i von vorhin (oder gar schon immer) für ein bisschen dusselig?

Nach nur wenigen Handgriffe­n greifen die Zahnräder wieder in die Kette – und wir zu den Taschentüc­hern. So richtig sauber werden unsere Hände davon aber auch nicht.

Am Kneippianu­m wollen wir links abbiegen. Ein Auto kommt uns entgegen. Wir werden langsamer. Ein zweites Auto, dazu noch eine Radlerin von vorne und ein anderer Wagen von hinten. Wir müssen stehen bleiben. Anfahren am Berg, schon in der Fahrschule keine Übung für Anfänger. Ähnlich ergeht es uns mit dem Tandem. Wir hoppeln voran, halb mit dem einen Fuß auf dem Fahrrad, mit dem anderen noch am Boden. Das Pedal dreht sich, der Fuß erwischt es nicht mehr und schon stehen wir wieder – und blockieren die ganze Kreuzung. Eine Fußgängeri­n und ihr Enkel lächeln uns an, etwas Mitleid schwingt in ihrem Blick mit. Auch von den Autofahrer­n regt sich niemand über uns auf.

An dieser Stelle ein Hoch auf Bad Wörishofen und die dortigen Tempolimit­s, die ich als Autofahrer­in gerne verfluche. Tandem-Anfängern wie uns machen sie das Leben entschiede­n leichter. Bevor wir uns weiter in die Innenstadt wagen, noch mal ein Fahrerwech­sel. Irgendwie klappt es mit Melanie vorn und mir hinten besser und wir sind eitel genug, uns keine Blöße geben zu wollen. Inzwischen können wir auch aufs Anzählen beim Losfahren verzichten und wirken auf manchen Beobachter vielleicht sogar, als wären wir schon öfter mit dem Tandem unterwegs gewesen. Sind wir zwar nicht – könnten wir uns nach diesem Vormittag aber durchaus vorstellen.

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