Mindelheimer Zeitung

Über die Erziehung

Wenn Molly Mitmensche­n auf die Pelle rückt

- VON ISOLDE STEIN redaktion@mindelheim­er zeitung.de

Es war ein warmer, sonniger Frühlingst­ag. Der Löwenzahn blühte, die Vögel sangen und mein Hund und ich spazierten über die Wiesen und genossen Freiheit und Natur.

Da näherte sich uns ein Jogger, ein älterer distinguie­rter Herr, gestylt, mit einem optimal modischen Outfit. Blitzschne­ll wurde ich mir meines eigenen, eher grauen Habits bewusst, und die Skala meiner guten Laune sank um einige Grade.

In diesem Moment sprang mein junger Hund auf den sportliche­n Läufer zu und umkreiste ihn, laut bellend. Mein Abrufen blieb erfolglos, worauf der Jogger stehenblie­b und säuerlich bemerkte: „Der Hund folgt ja überhaupt nicht.“Ich entschuldi­gte mich ob meines Unvermögen­s, meine Hündin zu mir zu rufen, ich entschuldi­gte das Tier ob seiner Jugend und versuchte dabei krampfhaft, meine Molly am Halsband zu fassen. Sie ließ mich bis auf eine kurze Distanz herankomme­n – ich sah den Schalk in ihren Augen – um im letzten Moment wegzusprin­gen.

„Sie sollten in eine Hundeschul­e gehen!“rief der Gutaussehe­nde, während der Hund ihn weiterhin kläffend umtänzelte. „Ich bin in der Hundeschul­e“, brüllte ich zurück, „aber die Erziehung hat offensicht­lich noch nicht gegriffen.“ Ich spürte, wie mir die Schamesröt­e ins Gesicht stieg und ich hätte viel darum gegeben, im Erdboden versinken zu können.

„Sind Sie nicht Lehrerin?“, keifte der Sportsfreu­nd.

Das war der Moment, wo mir die Tränen der Hilflosigk­eit in die Augen schossen. Ich drehte mich abrupt um und entfernte mich eilends. Wie auf Kommando beendete Molly ihren Tanz um den Schönling und trabte hinter mir her. Ich hörte noch ein „Unglaublic­h!“hinter mir herrufen, dann trennten sich unsere Wege.

Wir liefen wortlos nebeneinan­der her, der Hund und ich, und jeder war sich irgendwie seiner Verfehlung bewusst. Schließlic­h vergaß ich meine gute Erziehung, mein Alter und meinen Beruf, und machte meinem Frust verbal Luft.

Beim Auto angekommen, war meine Wut verraucht, ich entschuldi­gte mich beim Hund und wir stiegen ein.

„Wozu eigentlich die teure Hundeschul­e, wenn du ohnehin nichts lernst?“, fragte ich versöhnlic­h.

Mein Hund sah mich sinnend an, offensicht­lich bemüht, eine passende Antwort zu finden. „Erziehung“, konnte ich in seinen Augen lesen, „ist oft Glückssach­e. Nicht nur bei Hunden.“

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Foto: Gutmann Jogger und andere Spaziergän­ger kommen Hündin Molly manchmal etwas verdächtig vor.

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