Über die Erziehung
Wenn Molly Mitmenschen auf die Pelle rückt
Es war ein warmer, sonniger Frühlingstag. Der Löwenzahn blühte, die Vögel sangen und mein Hund und ich spazierten über die Wiesen und genossen Freiheit und Natur.
Da näherte sich uns ein Jogger, ein älterer distinguierter Herr, gestylt, mit einem optimal modischen Outfit. Blitzschnell wurde ich mir meines eigenen, eher grauen Habits bewusst, und die Skala meiner guten Laune sank um einige Grade.
In diesem Moment sprang mein junger Hund auf den sportlichen Läufer zu und umkreiste ihn, laut bellend. Mein Abrufen blieb erfolglos, worauf der Jogger stehenblieb und säuerlich bemerkte: „Der Hund folgt ja überhaupt nicht.“Ich entschuldigte mich ob meines Unvermögens, meine Hündin zu mir zu rufen, ich entschuldigte das Tier ob seiner Jugend und versuchte dabei krampfhaft, meine Molly am Halsband zu fassen. Sie ließ mich bis auf eine kurze Distanz herankommen – ich sah den Schalk in ihren Augen – um im letzten Moment wegzuspringen.
„Sie sollten in eine Hundeschule gehen!“rief der Gutaussehende, während der Hund ihn weiterhin kläffend umtänzelte. „Ich bin in der Hundeschule“, brüllte ich zurück, „aber die Erziehung hat offensichtlich noch nicht gegriffen.“ Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg und ich hätte viel darum gegeben, im Erdboden versinken zu können.
„Sind Sie nicht Lehrerin?“, keifte der Sportsfreund.
Das war der Moment, wo mir die Tränen der Hilflosigkeit in die Augen schossen. Ich drehte mich abrupt um und entfernte mich eilends. Wie auf Kommando beendete Molly ihren Tanz um den Schönling und trabte hinter mir her. Ich hörte noch ein „Unglaublich!“hinter mir herrufen, dann trennten sich unsere Wege.
Wir liefen wortlos nebeneinander her, der Hund und ich, und jeder war sich irgendwie seiner Verfehlung bewusst. Schließlich vergaß ich meine gute Erziehung, mein Alter und meinen Beruf, und machte meinem Frust verbal Luft.
Beim Auto angekommen, war meine Wut verraucht, ich entschuldigte mich beim Hund und wir stiegen ein.
„Wozu eigentlich die teure Hundeschule, wenn du ohnehin nichts lernst?“, fragte ich versöhnlich.
Mein Hund sah mich sinnend an, offensichtlich bemüht, eine passende Antwort zu finden. „Erziehung“, konnte ich in seinen Augen lesen, „ist oft Glückssache. Nicht nur bei Hunden.“