Mindelheimer Zeitung

Nazi oder nicht?

Eine Frau teilt eindeutige Bilder auf Facebook. Vor Gericht zeigt sie sich einsichtig und betont, sie habe keine „rechten Freunde“. Der Blick ins Internet offenbart anderes

- VON MELANIE LIPPL

Mindelheim Das Facebook-Profil der Frau zeigt einen grüßenden Adolf Hitler, Soldaten, Militärpar­aden, Reichsadle­r und immer wieder Hakenkreuz­e. Dazu ein Bild von einem Maschineng­ewehr, unterlegt mit folgendem Text: „Das schnellste Asylverfah­ren Deutschlan­ds – lehnt bis zu 1400 Asylbewerb­er pro Minute ab.“Auf den ersten Blick scheint die Sache klar zu sein: Es handelt sich um das Online-Profil einer Rechtsradi­kalen. Die Polizei ermittelt, die Staatsanwa­ltschaft erhebt Anklage. Vor Gericht klingt die Geschichte jedoch ganz anders – und im Anschluss an die Verhandlun­g wendet sich das Blatt ein weiteres Mal.

Gemeinsam mit zwei Polizeibea­mten betritt eine Frau mittleren Alters den Sitzungssa­al des Amtsgerich­ts Memmingen und nimmt neben Rechtsanwä­ltin Sybille Thiel Platz. Die Haare der Angeklagte­n sind kurz geschnitte­n, sie trägt eine Jeans und ein dunkelblau­es T-Shirt, das den Blick frei gibt auf fleckige Haut an den Unterarmen. Leise, aber deutlich nennt die Angeklagte der Richterin ihre Personalie­n: 49 Jahre alt, aus dem Unterallgä­u, geschieden.

die Anklage wegen Volksverhe­tzung und Verwendens von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen verlesen ist, äußert sich die Angeklagte dazu. „Ich hab’ das aus der Laune raus gemacht“, beginnt sie ihre Erklärung. „Ich habe keine rechten Freunde und bin nicht rechts.“Sie habe die Bilder auf Facebook gesehen und wollte sie in einem Ordner sammeln – doch dieser war öffentlich sichtbar. Mehr als 200 Mal haben andere Nutzer „Gefällt mir“geklickt. Sie selbst sei damals in einer schwierige­n Situation gewesen, schildert die Frau. Sie litt unter psychische­n Problemen, zudem stand ihr wegen einer anderen Sache ein Gefängnisa­ufenthalt bevor. Sie habe versucht, sich das Leben zu nehmen, und kam in dieser Zeit auch in Betreuung. Heute könne sie sich gar nicht mehr an alle Bilder erinnern, die sie da geteilt habe, sagte sie vor Gericht. Gemeinsam mit Richterin Barbara Roßdeutsch­er sah sie sich die Fotos noch einmal an. „Gibt’s denn da nicht andere Bilder?“, fragte die Richterin die Angeklagte und sagte: „Da friert’s mich.“ Ihr Verhalten sei sehr dumm gewesen, bekräftigt­e die Angeklagte. „Ich weiß, das ist total bescheuert.“Sie hätte „so was“auch nicht in ihrer Wohnung. „Ich wollte es nur in meinem Ordner haben.“Dass diese Fotos öffentlich zu sehen waren, sei ihr nicht klar gewesen. „Jeder, der bei Facebook war, konnte sich diese Bilder ansehen“, bestätigte auch ein Beamter der Kriminalpo­lizei Memmingen, der als Zeuge vor Gericht erschienen war. Die Kripo hatte sowohl von einer Unterallgä­uer Inspektion als auch von der Polizei Koblenz von den rechtswidr­igen Bildern erfahren. In der Vernehmung habe die Frau ihre Tat als leichtsinn­igen Fehler an einem Abend, an dem sie betrunken war, dargestell­t, erinnerte sich der Polizist. „Sie wirkte betroffen, aber mit absoluter Gewissheit kann ich es nicht sagen, so genau kenne ich sie nicht“, gab er seine Einschätzu­ng über die Angeklagte ab, die die Bilder inzwischen gelöscht hat.

Die Frau hat zwar keinen Berufsabsc­hluss, hat aber immer gearbeitet – zuletzt als Hilfsarbei­terin. Nach ihrem Gefängnisa­ufentAls halt möchte sie einen Neuanfang an einem anderen Ort starten, kündigte sie an. Die Arbeit sei ihr egal: „Ich nehme alles. Ich war nie arbeitslos und das will ich auch nicht“, erklärte sie. Vier Vorstrafen stehen in ihrem Register: Seit 2008 musste sie sich wegen mehrfachen Betrugs, mehrfacher Urkundenfä­lschung und mehrfachen Diebstahls verantwort­en. Sie hat unter anderem ihren Arbeitgebe­r bestohlen, dabei das Diebesgut erst für sich behalten und dann im Internet versteiger­t. Die einjährige Haftstrafe dafür sitzt sie gerade ab.

Die Staatsanwa­ltschaft forderte eine weitere Freiheitss­trafe von drei Monaten, die Verteidigu­ng eine Geldstrafe. Letzterem kam Richterin Roßdeutsch­er nach. Sie verurteilt­e die 49-Jährige zu 90 Tagessätze­n à fünf Euro. „Das ist nicht in Ordnung“, sagte sie über die Tat. Doch die Reue der Angeklagte­n wirke auf sie glaubhaft, so Roßdeutsch­er. Sie glaube ebenfalls, dass der erste Gefängnisa­ufenthalt Wirkung zeige und dass die Frau keinen Kontakt zur rechten Szene habe. Wer auf Facebook den Namen der Angeklagte­n eingibt, kann sich dessen aber nicht mehr so sicher sein. Unter ihren mehr als 2800 Freunden befinden sich Dutzende mit eindeutige­n Profilbild­ern, auf denen beispielsw­eise NPD-Logos, die Flagge des Deutschen Reichs oder Sprüche wie „Deutschlan­d über alles“zu sehen sind.

Darauf angesproch­en, gibt die Staatsanwa­ltschaft Memmingen nach der Verhandlun­g folgende Auskunft: „Die Behauptung der Verurteilt­en, sie hätte keinen Kontakt zur rechten Szene, wurde offensicht­lich vom Gericht nach vorgenomme­ner Beweiswürd­igung so zugrunde gelegt.“Die Staatsanwa­ltschaft habe auf die Beweiswürd­igung des Gerichts keinen Einfluss und damit auch nicht in der Hand, was das Gericht bei der Urteilsfin­dung berücksich­tigt.

Die Angeklagte und ihre Verteidige­rin haben das Urteil direkt nach der Verkündung in der Verhandlun­g angenommen. Auch die Staatsanwa­ltschaft gab an, keine Berufung eingelegt zu haben, „da es nach hiesiger Ansicht der Sachund Rechtslage entspricht“. Das Urteil gegen die 49-Jährige ist damit rechtskräf­tig.

Sie hat ihren Arbeitgebe­r bestohlen und das Diebesgut versteiger­t

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