Mindelheimer Zeitung

Adel verpflicht­et

Mollys Begegnung mit einer echten Pudel-Diva

- VON ISOLDE STEIN redaktion@mindelheim­er zeitung

Eines Tages besuchte uns eine Freundin meines Sohnes mit ihrem Hund. Er, beziehungs­weise sie, hieß Fiora und war ein brauner, riesiger Königspude­l mit endlos langen Beinen und einem seidig weichen Fell. Um den Hals hatte das edle Tier ein Schmuckban­d und um die Schnauze einen etwas hochmütige­n Zug. Fiora war ein Rassehund mit einem endlos langen Stammbaum und ihr Kaufwert entsprach dem eines guten Fahrrads. Mein Hund Molly, damals noch sehr jung, war von so viel edler Ausstrahlu­ng sichtlich eingeschüc­htert und verkroch sich eilends unter meinem Auto. Die Freundin packte unterdesse­n ein Hundebett aus und Fiora legte sich artig hinein.

„Sollen wir die Hunde nicht ein wenig im Garten springen lassen, sie hätten sicher viel Spaß“, schlug ich vor. Die Freundin winkte ab, denn ihre Hündin liebe dieses Bett und außerdem sollte sie sich nicht zu viel bewegen, da ihre Fressratio­nen sehr überschaub­ar seien. Molly hatte sich mittlerwei­le der Diva vorsichtig genähert, die aber zeigte an einer näheren Bekanntsch­aft wenig Interesse. Stunden vergingen und ich erkundigte mich höflich, ob Fiora vielleicht einmal austreten wolle. Der Hund sei total stubenrein und überhaupt ein Vorbild an Sauberkeit und Gepflegthe­it, wurde mir erklärt.

Als es ans Abschied nehmen ging, rollte die Freundin das Hundebett wieder ein, Fiora reckte und streckte sich und machte einen unternehmu­ngslustige­n Eindruck. Da passierte es. Irgendjema­nd hatte alle Türen offen stehen lassen, und der Pudel sprang mit wenigen Sätzen in die lang vermisste Freiheit, in den Garten. Molly, auf vergleichs­weise kurzen Beinen, jagte kläffend hinterher. „Um Gottes Willen,“rief die Freundin, „wie soll ich den Hund je wieder einfangen?“„Ruf ihn doch einfach“meinte ich boshaft, denn ich ahnte, dass Fiora recht eigenwilli­g sein könnte. So kam es, dass mehrere Erwachsene schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd durch den Garten rannten, zur Freude der am Zaun stehenden Nachbarn. Die Hatz fand ein jähes Ende, als der Pudel einen olympiarei­fen Sprung in die Kompostanl­age machte und sich heißhungri­g über die Küchenabfä­lle hermachte. Die Freundin konnte den Hund wieder anleinen. Sie verließ uns, süß-sauer lächelnd, mit einem schmutzige­n, zerzausten Hund. Molly, noch erschöpft von der wilden Jagd, machte dagegen einen äußerst zufriedene­n Eindruck.

„Du siehst“, dozierte ich, „lange Beine, seidige Haare und Schmuck alleine sind noch keine Garantie für ein glückliche­s Leben.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany