Adel verpflichtet
Mollys Begegnung mit einer echten Pudel-Diva
Eines Tages besuchte uns eine Freundin meines Sohnes mit ihrem Hund. Er, beziehungsweise sie, hieß Fiora und war ein brauner, riesiger Königspudel mit endlos langen Beinen und einem seidig weichen Fell. Um den Hals hatte das edle Tier ein Schmuckband und um die Schnauze einen etwas hochmütigen Zug. Fiora war ein Rassehund mit einem endlos langen Stammbaum und ihr Kaufwert entsprach dem eines guten Fahrrads. Mein Hund Molly, damals noch sehr jung, war von so viel edler Ausstrahlung sichtlich eingeschüchtert und verkroch sich eilends unter meinem Auto. Die Freundin packte unterdessen ein Hundebett aus und Fiora legte sich artig hinein.
„Sollen wir die Hunde nicht ein wenig im Garten springen lassen, sie hätten sicher viel Spaß“, schlug ich vor. Die Freundin winkte ab, denn ihre Hündin liebe dieses Bett und außerdem sollte sie sich nicht zu viel bewegen, da ihre Fressrationen sehr überschaubar seien. Molly hatte sich mittlerweile der Diva vorsichtig genähert, die aber zeigte an einer näheren Bekanntschaft wenig Interesse. Stunden vergingen und ich erkundigte mich höflich, ob Fiora vielleicht einmal austreten wolle. Der Hund sei total stubenrein und überhaupt ein Vorbild an Sauberkeit und Gepflegtheit, wurde mir erklärt.
Als es ans Abschied nehmen ging, rollte die Freundin das Hundebett wieder ein, Fiora reckte und streckte sich und machte einen unternehmungslustigen Eindruck. Da passierte es. Irgendjemand hatte alle Türen offen stehen lassen, und der Pudel sprang mit wenigen Sätzen in die lang vermisste Freiheit, in den Garten. Molly, auf vergleichsweise kurzen Beinen, jagte kläffend hinterher. „Um Gottes Willen,“rief die Freundin, „wie soll ich den Hund je wieder einfangen?“„Ruf ihn doch einfach“meinte ich boshaft, denn ich ahnte, dass Fiora recht eigenwillig sein könnte. So kam es, dass mehrere Erwachsene schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd durch den Garten rannten, zur Freude der am Zaun stehenden Nachbarn. Die Hatz fand ein jähes Ende, als der Pudel einen olympiareifen Sprung in die Kompostanlage machte und sich heißhungrig über die Küchenabfälle hermachte. Die Freundin konnte den Hund wieder anleinen. Sie verließ uns, süß-sauer lächelnd, mit einem schmutzigen, zerzausten Hund. Molly, noch erschöpft von der wilden Jagd, machte dagegen einen äußerst zufriedenen Eindruck.
„Du siehst“, dozierte ich, „lange Beine, seidige Haare und Schmuck alleine sind noch keine Garantie für ein glückliches Leben.“