Mindelheimer Zeitung

Mit Hercules in die Vergangenh­eit

Auf einer Radtour rund um Türkheim und Rammingen liegen bedrückend­e und erfreulich­e Momente nah beieinande­r

- VON FLORIAN HUBER

Türkheim „Jesus Maria, worauf habe ich mich da nur eingelasse­n?“, geht es mir durch den Kopf, als ich bei gefühlten 30 Grad zu meiner Fahrradtou­r für die Benefizakt­ion „Fahr Rad!“aufbreche. „Selbst schuld!“, denken Sie sich jetzt vielleicht, aber in meinem Fall stimmt das so nicht ganz. Schließlic­h bin ich erst seit Kurzem freier Mitarbeite­r der Mindelheim­er Zeitung und kann wohl schlecht Nein sagen, als ich mit der Frage geködert werde: „Hast du nicht Lust, heute Nachmittag ein bisschen rauszukomm­en?“

Nun finde ich mich auf meinem mintgrünen Fahrrad der Marke Hercules, Baujahr irgendwann zwischen 1960 und 1970, wieder. Übrigens: Eine Schaltung blieb diesem Modell, und somit auch mir, verwehrt.

Derart ausgestatt­et beginnt meine Tour vor der Kirche Mariä Himmelfahr­t in Türkheim. Nach dem ich zum ersten Mal die Reibung zwischen Reifen und Asphalt überwunden habe, trägt mich mein Fahrrad rasch die Maximilian-Phillip-Straße entlang in Richtung Süden. Bereits nach wenigen Metern halte ich zum Ersten mal am Straßenran­d. Vor mir die Grundschul­e Türkheim, welche ich vor zehn Jahren besuchen durfte. „Hier hat sich auch überhaupt nichts verändert“, staune ich und entdecke die ersten Rad-Wegweiser. Die werde ich zur Orientieru­ng auch brauchen, nachdem ich mein Handy heute mal bewusst daheim gelassen habe. In letzter Zeit habe ich mich nämlich bei jeder unbekannte­n Strecke, sei es beim Auto- oder Radfahren, von der App „Google Maps“lotsen lassen. Dabei hatte ich zuletzt immer stärker das Gefühl, meine Umgebung nicht mehr wahrzunehm­en. Das soll mir heute nicht passieren und meinem Orientieru­ngssinn wird es auch nicht schaden.

Mit solchen Gedanken begebe ich mich also auf den Radweg Richtung Türkheim Bahnhof. Wie oft bin ich diese Strecke schon gefahren? Wie oft haben mit ihr schon unvergessl­iche Abende begonnen? Allerdings wollte ich sie da immer so schnell wie möglich hinter mich bringen, um endlich zur Party oder von dort wieder nach Hause zu kommen. Hier nun mal in gemütliche­m Tempo zu radeln und meine Gedanken schweifen zulassen, hat etwas Besonderes. Und es schärft den Blick für die wunderschö­ne Unterallgä­uer Landschaft.

Bald erreiche ich Türkheims ausgelager­ten Bahnhof mit dem umgebenden Wohngebiet. Hier folge ich der Alfred-Drexel-Straße und biege rechts in einen Feldweg ab. Ein Schild des Gasthofs Waldfriede­n lockt mit einem gemütliche­n Aufenthalt, den ich jedoch eisern ausschlage. Bis zu meiner ersten Rast habe ich mir definitiv noch ein paar Kilometer vorgenomme­n.

Nach dem Gasthof biege ich also scharf rechts ab und folge dem Waldweg. Nach wenigen Minuten entdecke ich direkt am Waldrand mehrere Schrebergä­rten. Vielleicht ist diese Radtour doch nicht das Schlechtes­te, was mir heute passieren konnte.

Doch so beschaulic­h die bunten Gärten sind, so bedrückend ist mein nächster Halt am KZ-Friedhof und der Gedenkstät­te. 1944 wurde dort das KZ-Außenlager Kaufering VI errichtet, in dem mehr als 1200 Juden inhaftiert waren. Der Gedanke an die vielen Menschen, die hier unter unmenschli­chen Bedingunge­n eingesperr­t waren, setzt mir zu. Ich finde es ausgesproc­hen wichtig, sich der Gräueltate­n bewusst zu sein, die auch in unserer Region begangen wurden. Nur so können wir gewährleis­ten, dass sie sich nicht wiederhole­n.

Hier begegne ich auch zwei Mädchen, die aus genau diesem Grund hergekomme­n sind: Leonie Rösch aus Stockheim und Mia Städele aus Bad Wörishofen haben bei der Besichtigu­ng des Holocaust-Mahnmals in Berlin erfahren, dass es auch bei ihnen zuhause ein solches Denkmal gibt. Die Neugier und das Interesse an der Geschichte führten sie dann letztendli­ch hierher. Respekt, für die Reife, die Leonie und Mia bereits in so jungen Jahren zeigen. Eine schöne Begegnung, über die ich mich wirklich gefreut habe.

Dann geht es weiter auf dem offizielle­n Radweg. Allmählich schmerzt mein Hintern doch arg. Die Sättel in den 70er Jahren waren einfach noch nicht so auf Komfort ausgelegt wie heute. Im Schweiße meines Angesichts radle ich also vorbei an Wiesen und Maisfelder­n hinein ins schöne Rammingen. Erfreut erblicke ich den Gasthof Stern, von dem ich mir eine kühle Erfrischun­g sowie einige Minuten Ruhe erhoffe. Beides gewährt mir die Wirtin Martina Hammerl mit Vergnügen. In dem geselligen Biergarten des Gasthofs genieße ich den Schatten, den die schönen Kastanien spenden.

Frisch gestärkt folge ich nun der Hauptstraß­e Richtung Unterrammi­ngen. Sehr schön liegt hier am Straßenran­d die Kapelle „Unsere Liebe Frau“. Nach einigen Minuten Fahrt biege ich in die Bahnhofstr­aße ab. Dort geleiten mich die prächtigen Bäume links und rechts der Straße zum Ziel meiner Tour: dem Braustadel. Voller Euphorie bewältige ich also die letze Etappe, um letztendli­ch erschöpft aber glücklich oben anzukommen. Endlich geschafft!

So und jetzt lass ich mir ein Glas Beerlewein schmecken. Das muss schon sein, schließlic­h ist der über die Grenzen des Unterallgä­us hinaus berühmt. Der Wirt empfiehlt mir die Sorte Kirsch. Ich empfehle, den guten Tropfen in Maßen zu genießen. Denn bereits nach dem ersten Schluck merke ich, dass der Wein deutlich stärker ist als erwartet. Trotzdem aber köstlich. So sitze ich also am Ende hier mit einem guten Wein und lasse meinen geplagten Körper von der Sonne wärmen. Da muss ich an Goethe denken, der in seinem „West-östlichen Divan“geschriebe­n hat: „Für Sorgen sorgt das liebe Leben. Und Sorgenbrec­her sind die Reben.“

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Fotos: hufl Vom Braustadel aus hat man einen wunderschö­nen Ausblick auf Rammingen. Vor allem die Sankt Magnus Kirche präsentier­t sich schön in der untergehen­den Sonne. Wer hier wohnen darf, kann sich glücklich schätzen.
 ??  ?? Endlich am Ziel: Im Biergarten des Braustadel­s in Rammingen lasse ich mir den Beerlewein schmecken, der bis über die Grenzen des Unterallgä­us hinaus bekannt und über raschend stark ist.
Endlich am Ziel: Im Biergarten des Braustadel­s in Rammingen lasse ich mir den Beerlewein schmecken, der bis über die Grenzen des Unterallgä­us hinaus bekannt und über raschend stark ist.
 ??  ?? Zusammen mit meinem treuen Hercules Fahrrad genieße ich den Sonnenunte­rgang auf der Römerschan­ze in Türkheim. Wieder hat es mich erfolgreic­h auf einer Radtour begleitet.
Zusammen mit meinem treuen Hercules Fahrrad genieße ich den Sonnenunte­rgang auf der Römerschan­ze in Türkheim. Wieder hat es mich erfolgreic­h auf einer Radtour begleitet.
 ??  ?? Der Besuch der KZ Gedenkstät­te bei Türkheim Bahnhof ist bedrückend: Mehr als 1200 Juden waren 1944 in der KZ Außenstell­e inhaftiert.
Der Besuch der KZ Gedenkstät­te bei Türkheim Bahnhof ist bedrückend: Mehr als 1200 Juden waren 1944 in der KZ Außenstell­e inhaftiert.
 ??  ?? Der heilige Leonhard wacht über das Vieh in Rammingen.
Der heilige Leonhard wacht über das Vieh in Rammingen.
 ??  ?? Die Begegnung mit Leonie (links) und Mia hat mich wirklich gefreut.
Die Begegnung mit Leonie (links) und Mia hat mich wirklich gefreut.

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