Wanderer zwischen Welten
Als Chef der Firma Rapunzel ist Joseph Wilhelm ein Geschäftsmann. Doch manchmal braucht er Abstand
Memmingen Während des Interviews zu seinem bewegten Leben möchte Joseph Wilhelm mal diesen, mal jenen Winkel des Memminger Stadtparks erkunden. Seit der Landesgartenschau war er nicht mehr auf dem Gelände. „Wenn man auf einem Hof lebt, braucht man nicht unbedingt in einen Park zu fahren“, sagt er und zuckt lachend mit den Schultern. Eigentlich lächelt er beim Gang durch das Grün die ganze Zeit. Dabei hat er zwar viel, aber nicht nur Schönes aus seinem Leben zu berichten.
Im Großen und Ganzen, sagt er, sei die Geschichte des Bio-Lebensmittelherstellers Rapunzel auch seine Lebensgeschichte. Noch immer führt er die Geschicke der Firma. Wenngleich er jetzt, mit 63 Jahren daran denkt, kürzerzutreten, will er nicht klassisch in den Ruhestand gehen. Denn die Entscheidung, sein Leben dem Projekt Rapunzel zu widmen, stellte er immer wieder auf den Prüfstand. „Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es das Richtige für mich ist.“
Entscheidend dafür war seine „erste Auszeit“im Jahr 2000, die er im Gespräch oft erwähnt. Im Park fallen ihm Wanderschilder ins Auge. Eines davon zeigt mit der blauen Jakobsmuschel an, dass einer der berühmtesten Pilgerwege durch den Stadtpark verläuft. Auch Wilhelm wanderte während besagter Auszeit rund 1000 Kilometer auf dem Jakobsweg. Anschließend umrundete er die Welt, wobei er viele Ge- schäftspartner von Rapunzel besuchte. „Damals merkte ich ganz deutlich, dass unsere Welt gar nicht so groß ist und dass wir besser auf sie aufpassen müssen“, erinnert er sich.
Damit war das Motto „Eine Welt“geboren. „Wir müssen gemeinsam eine Lösung für unsere Probleme finden“, fasst er den Gedanken dahinter zusammen. Es folgten weitere Auszeiten, die er stets mit langen Wanderungen verband. Diese stellte er unter das Motto „Genfrei gehen“. Dabei ging es von Lübeck nach Lindau, von Berlin nach Brüssel sowie von New York nach Washington.
Sich Auszeiten zu nehmen, sieht er nicht nur als Privileg des Firmenchefs, auch seinen Mitarbeitern ermöglicht er dies. Denn Wilhelm musste im Leben mehrfach schmerzlich lernen, nichts aufzuschieben. Einer seiner Söhne starb mit elf Jahren bei einem Traktorun- fall. Das habe ihn gelehrt, was das Wichtigste im Leben sei: die gemeinsame Zeit mit geliebten Menschen. Einen weiteren Schock erlebte er, als ein Freund aufgrund medizinischer Komplikationen beim Tsunami 2004 in Thailand starb. „Ich habe beschlossen, mein Sozialleben an die erste Stelle zu setzen.“
Sein Blick reicht auch in die Anfangsjahre von Rapunzel zurück. „Da sind wir mit unserer Bio-Idee nicht nur belächelt, sondern ausgelacht worden“, sagt er. Zudem hatten er und seine Mitstreiter weder einen Businessplan noch viel Startkapital. „Dafür waren wir extrem anspruchslos.“Er spricht von einem „hippiemäßigen Lebensstil“. Heute dagegen lässt er sich auch mal im schicken Anzug sehen. „Ich kann an einem Tag mit der Mistgabel arbeiten und am nächsten dem Bundespräsidenten die Hand schütteln.“Auch das hat er bereits getan.