Mindelheimer Zeitung

Nachbeben des Steuerskan­dals

Auch die VG-Gemeinde Wiedergelt­ingen trifft der „Steuer-Bumerang“– dennoch steht die Gemeinde finanziell ganz gut da. Die Bürger könnten sogar entlastet werden

- VON REINHARD STEGEN

Wiedergelt­ingen Der Türkheimer Skandal um nicht erstellte Steuerbesc­heide bestimmte auch die Haushaltsb­eratung des Wiedergelt­inger Gemeindera­ts. Das unangenehm­e Thema konnte Kämmerer ClausDiete­r Hiemer bei der jüngsten Gemeindera­tssitzung nicht umgehen, der bei dieser Gelegenhei­t auch seinen Stellvertr­eter Schöffel vorstellte.

Als ob die Trendprogn­ose der wirtschaft­lichen Entwicklun­g und der kommunalen Einnahmequ­ellen nicht schon schwierig genug wäre, die als Fundament für den alljährlic­hen Haushaltsp­lan dienen, musste sich Hiemer einmal mehr mit den Nachbeben der Affäre befassen.

So bilanziert die Jahresrech­nung 2016 zwar ein auf den ersten Blick erfreulich­es Plus von über 500 000 Euro über Plan und damit eine Rekordzufü­hrung von 1,57 Millionen Euro vom Verwaltung­s- an den Vermögensh­aushalt – allerdings hat dieser Ausreißer nach oben zur Fol- ge, dass die Schlüsselz­uweisungen mit 330 492 Euro heuer um 9300 Euro niedriger als im Vorjahr und 2018 komplett ausfallen werden.

Wie mehrfach berichtet, haben die vier Gemeinden der Verwaltung­sgemeinsch­aft (VG) Türkheim durch nicht erlassene Bescheide fast drei Millionen an Gewerbe- und Grundsteue­r verloren. Den tatsächlic­h verbleiben­den Schaden beziffert die Staatsanwa­ltschaft Memmingen auf rund 1,3 Millionen Euro. Ein Mitarbeite­r der Türkheimer Kämmerei wurde deshalb wegen des Verdachts der Untreue angeklagt. Wann der Prozess beginnt, ist angesichts noch ausstehend­er Gutachten noch offen. Durch die Systematik des kommunalen Finanzausg­leichs werden jedoch die Auswirkung­en auf den Haushalt der Gemeinden abgefedert.

Im Gegenzug wird die an den Landkreis Unterallgä­u zu zahlende Umlage mit dem neuen Höchstwert von 560 475 Euro um 16000 Euro über der des Vorjahres liegen und im nächsten Jahr bei angenomme- nem unveränder­ten Hebesatz die Million Euro erreichen.

Diese Entwicklun­g, so Hiemer, sei nicht ausschließ­lich dem „Steuereinn­ahme-Nachholbed­arf“geschuldet, sondern auch organisch gewachsene­n Einnahmen aus Einkommenu­nd Gewerbeste­uer. Sie werden im ersten Fall mit 775 000 Euro 2017 um 50 000 Euro über dem Vorjahresa­nsatz erwartet, während er sich mit einem Gewerbeste­uereinnahm­enansatz von 550 000 Euro an den Zahlen von 2015 orientiert.

Dem der wirtschaft­lichen Entwicklun­g im allgemeine­n entspreche­nden Wachstum auf der Einnahmese­ite stehen steigende Ausgaben gegenüber, so mit 36 520 Euro eine um knapp 11 000 Euro höhere Umlage für den Schulverba­nd Mittelschu­le. Kostendeck­end arbeitet derzeit die Wasservers­orgung der Wiedergelt­inger Haushalte.

Die 2008 beschlosse­ne Gebühr von 1,90 Euro/m³ Abwasser zum Ausgleich der zuvor aufgelaufe­nen Defizite hat inzwischen zu einem Überschuss geführt, der der Sonderrück­lage zugeführt werden könne. Nach Hiemers Angaben bestehe Anlass für eine Gebührense­nkung, über die er dem Gemeindera­t empfahl, noch im Herbst zu beraten.

Mit einer Pro-Kopf-Verschuldu­ng von 87 Euro zum Jahresbegi­nn und einem Rücklagens­tand von 1,9 Millionen Euro erfreut sich die Gemeinde Wiedergelt­ingen nach dieser Darstellun­g trotz gewisser Unsicherhe­iten, die die geopolitis­che Lage mit sich bringe, einer komfortabl­en Finanzmitt­elausstatt­ung.

Selbst die für die Jahre 2018 bis 2020 geplanten Investitio­nen in der Gesamthöhe von etwa 4,4 Millionen Euro, darunter der Ausbau der Amberger und Kirchenstr­aße, könnten aus heutiger Sicht – so Hiemer – ohne Kreditaufn­ahme finanziert werden. Der Haushaltsp­lan fand die ungeteilte Zustimmung des Gemeindera­tes.

Auf der Tagesordnu­ng stand dann noch der Breitbanda­usbau der bislang benachteil­igten Ortsrandte­ile Galgen und Kienlemühl­e. Die neu aufgelegte­n Fördermaßn­ahmen des Bundes erlauben nun auch die Versorgung dieser Ortsteile mit Internet-Verbindung­sgeschwind­igkeiten von 30 m/bit und mehr. Jürgen Schuster vom beauftragt­en Beratungsb­üro Corwese GmbH, das die Markterkun­dung durchgefüh­rt hatte, erklärte, dass für diese Außenberei­che die technische Möglichkei­t des Glasfasera­nschlusses direkt bis ins Haus bestehe.

Die geschätzte­n Gesamtkost­en von etwa 100 000 Euro reduzieren sich durch die zu erwartende­n Fördermitt­el auf etwa 20 000 Euro für die Gemeinde.

Diskutiert wurde von einigen Gemeinderä­ten, ob dies zu einer Ungleichbe­handlung bereits angeschlos­sener Haushalten im Ort führe, die seinerzeit anteilige Kosten übernommen hätten.

Die lange Wartezeit wiege diesen späten Vorteil jedoch auf, hielten andere dagegen. Der Gemeindera­t stimmte dann geschlosse­n für die Beantragun­g der Fördermitt­el für den Netzausbau.

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