Mindelheimer Zeitung

Kein Lautsprech­er, ein Macher

Das Berliner Ensemble, Brechts ehemaliges Theaterhau­s, hat einen neuen Intendante­n: Oliver Reese. Dessen Karriere startete in der Region

- Richard Mayr

Berlin hält die Theatersze­ne in diesem Jahr durch den Intendante­nwechsel an gleich zwei großen Häusern in Atem: maximal laut an der Berliner Volksbühne

mittlerwei­le ruhig am Berliner Ensemble, das Bertolt Brecht nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hat. Dort, im Theater am Schiffbaue­rdamm, endete im Sommer die Ära von Claus Peymann.

All dessen Versuche, daraus eine Schlammsch­lacht zu machen, widerstand der Nachfolger Oliver Reese erfolgreic­h. Denn immer wieder trat Peymann auf Reese verbal ein. Ein Zwerg werde ans Haus geholt, so Peymann. Aber Reese konterte nie, ließ sich auf dieses Spiel nicht ein. Nun, wenn am heutigen Donnerstag die erste Premiere am Haus ansteht – Albert Camus’ „Caligula“–, kann man sich schon die Frage stellen, wer dieser Mann ist, der so gelassen mit den ständigen Provokatio­nen umgeht.

Anders als bei Peymann, wo der Intendant der größte Star der Bühne war, richtet Reese seinen Fokus konsequent auf die Schauspiel­er. Das hat er schon bei seiner letzten Station so gemacht, dem Schauspiel Frankfurt, das Reese von 2009 bis 2017 geleitet hat. Wunderbare Akteure schafften es dort, die Bühne zu immer neuen Publikumsr­ekorden zu führen. Und manche Schauspiel­er entwickelt­en sich zu Stars, deren Mitwirken genügte, um die Zuschauer zu locken. Am Berliner Ensemble hat Reese nun einige hochkaräti­ge Darsteller versammelt: Constanze Becker, Stephanie Eidt, Corinna Kirchhoff, Josefin Platt, Stefanie Reinsperge­r – alles Darsteller­innen, die einen Abend problemlos allein tragen können.

Reese, der 1964 in Schloss Neuhaus bei Paderborn geboren ist, hat am Anfang seiner Theaterkar­riere in unserer Region gearbeitet. Unter dem Intendante­n Bernd Wilms war er von 1991 bis 1994 Chefdramat­urg in Ulm. Mit Wilms zusammen wechselte er 1994 an das Berliner Maxim-Gorki-Theater und 2001 von dort an das Deutsche Theater Berlin – jeweils als Chefdramat­urg. An beiden Häusern wurde die neue Leitung vom Ensemble und den Mitarbeite­rn eisig empfangen. „Wessis“, die an den Ost-Theatern das Sagen hatten. Wende-Probleme, die sich an den Häusern erst legten, als die ersten Produktion­en einschlägi­gen Erfolg hatten.

Das Berliner Ensemble möchte Reese in dem Reigen großer Berliner Theaterhäu­ser in die Gegenwart rücken. Zwölf von 17 Stücken in der ersten Spielzeit stammen von lebenden Dramatiker­n. „Uns geht es weniger um Form und mehr um Themen“, sagt Reese. Der Intendant verbeugt sich in der Stückauswa­hl natürlich auch vor dem Theatergrü­nder: Brechts „Kaukasisch­er Kreidekrei­s“hat am Samstag Premiere. Und dann ist Reese noch ein besonderer Coup gelungen: Er hat Frank Castorf, den Ex-Intendante­n der Volksbühne, als Regisseur gewonnen. Ganz rausgehalt­en hat sich Reese aus dem Getöse um die Intendante­nwechsel in Berlin also doch nicht.

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Foto: W. Kumm, dpa

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