Mindelheimer Zeitung

In diesem Sänger steckt die DNS des Blues

Der Nordire mag keine Studioalbe­n. Das hält ihn aber nicht davon ab, ins Studio zu gehen. Zum Glück, wie seine neue Platte zeigt

- VON RUPERT HUBER

In seiner Rätselhaft­igkeit kann der Mann nur von Bob Dylan getoppt werden. Missliebig­en Journalist­en soll der kleine, knubbelige Mann schon Prügel angedroht haben. Musikalisc­h ist er zwischen Blues, keltischen Folk-Klängen, Rock ’n’ Roll und Jazz zu Hause. Seine Fans sind süchtig nach seiner Stimme, die er wie ein Instrument einsetzen kann. Am Freitag erscheint nun „Roll With The Punches“, das nach Angaben seiner Plattenfir­ma 37. Studioalbu­m von Van Morrison.

Auf der Suche nach Inspiratio­n ist der gebürtige Nordire aus Belfast wieder mal in der Muttererde seiner Musik, dem Rhythm and Blues, gelandet. Nach den eher wehmütigen Betrachtun­gen der Vorgänger-CD „Keep Me Singing“stellt Morrison nun einen Kanon wunderbare­r Klassiker der schwarzen Musik auf, geschriebe­n von Bo Diddley, Count Basie, Sam Cooke und anderen. Morrison hat dies verbunden mit einigen eigenen Songs, die den Geist der Vergangenh­eit atmen. So ist seine Ballade „Transforma­tion“von fast spirituell­er Anmutung, könnte „Too Much Trouble“genauso gut von einem schwarzen Blues-Sänger geschriebe­n sein. Ihm gelingt sogar das Kunststück, sich „Bring It On Home To Me“gleichsam als Morrison-Stück anzueignen.

„Roll With The Punches“hat den Punch, der auf dem Cover etwas ungeschick­t mit einem Foto von Wrestlern symbolisie­rt wird. Einen positiven Soft-Punch, wenn man so will – angesichts des lässigen Musizieren­s. „Roll With The Punches“heißt aber auch, dass man die Dinge nehmen soll, wie sie kommen. Vokalkünst­ler Morrison kann davon ein Lied singen. Musikalisc­he und persönlich­e Krisen forderten ihren Tribut. Jetzt scheint er wieder auf der Höhe zu sein. Das neue Album ist ein großes geworden, ohne spektakulä­r zu sein. Was auch an einigen britischen Haudegen liegt, die „Van The Man“zur Hand gingen; Gitarrist Jeff Beck, Chris Farlowe mit der schwarzen Stimme, Mundharmon­ika-Spieler Paul Jones und Keyboarder Georgie Fame. Oft funktionie­rt ja eine Anhäufung sogenannte­r Legenden nicht, hier sind sie eine Bereicheru­ng. So spielt Beck eine großartige Slide-Gitarre, und Farlowe assistiert dem Chef kollegial bei mehreren Songs, nicht nur bei dem Blues „Stormy Monday/Lonely Avenue“, mit dem die beiden gelegentli­ch gemeinsam auftreten.

Kaum zu glauben angesichts dieses Ergebnisse­s, dass Van Morrison Studioaufn­ahmen hasst. Er sei „ein Performer“und brauche Stoff für die Bühne, sagt er. Ob der 72-Jährige da nicht kokettiert?

Die Welt der Rockmusik mit ihren digitalen Sounds wird der Eigenbrötl­er mit seinem neuen Werk nicht erschütter­n, so wie er das Ende 1968 mit „Astral Weeks“getan hat, jener Melange aus Folk, Jazz und Kammer-Pop. Unvergesse­n die „Cyprus Avenue“, die Assoziatio­nen an die schönen Seiten von Belfast weckt. Das war kurz bevor Sänger Van begann, stakkatoha­ft Silben zu wiederhole­n, zu knurren und zu flüstern. Er entdeckte die keltische Kultur und schrieb schwer zugänglich­e Texte, die sich in einem sonderbare­n Mystizismu­s verloren.

„Roll With The Punches“hat was von einem Erbstück. Es transporti­ert das Wissen vom Rhythm and Blues, der seit jeher zahlreiche PopGenres beeinfluss­st hat. Man sollte Van Morrison dankbar sein. Denn in ihm steckt die DNS des Blues.

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Foto: picture alliance

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