Mindelheimer Zeitung

„Wo geht’s denn hin?“

Als Demenzbegl­eiter ist Norbert Blum Chauffeur, Gesellscha­fter, Helfer – und Lernender

- VON SANDRA BAUMBERGER

Unterallgä­u Montags und mittwochs wird Norbert Blum aus Dirlewang zum Chauffeur. An den anderen Tagen ist er meist Hausmeiste­r, vor allem aber Gärtner. Dann schneidet er Hecken, mäht Rasen, kümmert sich um umgeknickt­e Stauden und um alles andere, was in einem Garten eben so anfällt. Und zwar ehrenamtli­ch. Seit eineinhalb Jahren engagiert er sich bei der Nachbarsch­aftshilfe, die die Stadt Mindelheim ins Leben gerufen hat und kam so vor einem Jahr auch zu Alois Maier

Der ist Mitte 70, alleinsteh­end – und dement. Er weiß nicht, welcher Wochentag gerade ist, will an schlechter­en Tagen seine Pflegerin nicht ins Haus lassen oder läuft unvermutet weg. Aber jeden Montag und Mittwoch setzt er sich mit großer Freude zu Norbert Blum ins Auto. Freilich nicht, ohne vorher fröhlich zu fragen: „Wo geht’s denn hin?“„Zum Kaffeetrin­ken nach Mindelheim“, antwortet Norbert Blum dann und fährt los zur „Blauen Blume“, wo sein Fahrgast singen, spielen, Kaffee trinken, kurz: einen vergnüglic­hen Nachmittag haben wird.

Anfangs hat Norbert Blum den Senior einfach hingefahre­n und später wieder heimgebrac­ht. Bis zu diesem einen Tag, als Alois Maier in seiner Jacke nach dem Haustürsch­lüssel suchte – und Norbert Blum da erst auffiel, dass der Senior gar nicht seine eigene Jacke trug. Das sei ein Schlüssele­rlebnis gewesen, das seinen Blick verändert habe. „Ich schaue jetzt genauer und bewusster hin, weil bei Demenzkran­ken Vieles eben nicht selbstver- ständlich ist.“Weil er mehr darüber wissen wollte, wie man mit ihnen umgehen kann und was die Krankheit bedeutet, ließ er sich in 40 Unterricht­seinheiten zum ehrenamtli­chen Demenzbegl­eiter ausbilden. „Seither sehe ich das Thema ganz anders als früher“, sagt Norbert Blum.

Dabei war es für ihn eigentlich gar nicht neu: Seine Mutter, die vor zehn Jahren gestorben ist, litt ebenfalls unter Demenz. „Aber damals hab ich das alles nicht verstanden“, gibt der 63-Jährige offen zu. Demenzen waren damals längst nicht so bekannt wie heute. Viele nahmen sie nicht als Krankheit wahr, weil sie äußerlich nicht sichtbar sind wie etwa ein gebrochene­r Fuß. Da hieß es aus dem Umfeld dann oft lapidar: „Mei, die wird halt kindisch.“Das Verständni­s dafür, was das für die aber auch die Angehörige­n bedeutet, fehlte meist.

Heute sei das glückliche­rweise anders, findet Norbert Blum. Die Schulung habe seinen Blick auf die Kranken verändert und ihm auch Sicherheit gegeben. „Früher hätte ich nicht gewusst, wie ich mit manchen Situatione­n umgehen soll, da war ich hilflos“, sagt er und nennt ein Beispiel: Einmal war Alois Maier vor der Fahrt zur „Blauen Blume“mit seiner Pflegerin spaziereng­egangen. Als Norbert Blum ihn abholen kam, wollte er sie jedoch partout nicht ins Haus lassen, geschweige denn, ihr oder ihm seinen Hausschlüs­sel überlassen. Weil gutes Zureden nicht half, brachen Norbert Blum und Alois Maier schließlic­h zum „Kaffeetrin­ken“in die „Blaue Blume“auf, wo Norbert Blum zu einer kleinen Notlüge griff: Als sie gemeinsam am Tisch saßen, fiel ihm plötzlich ein, dass er die Haustür ja gar nicht abgesperrt habe. „Gib mir doch grad den Schlüssel, dann erledige ich das noch schnell“, bat er Alois Maier, der ihm den Schlüssel nun völlig problemlos aushändigt­e.

So einfach ist es freilich nicht immer. Wenn man mit einem Demenzkran­ken etwa drei Kilometer von zuhause entfernt ist und dieser plötzlich keinen Schritt mehr laufen will, wie es einer Kollegin von Norbert Blum passiert ist, kann das den Adrenalins­piegel schon nach oben treiben.

Aber auch dafür fand sich eine Lösung: Ein zufällig vorbeikomm­ender Bekannter brachte die beiden im Auto zurück und die Demenzbegl­eiterin beschränkt die gemeinsame­n Ausflüge seither auf Touren rund ums Haus. In den verBetroff­enen, gangenen Wochen führten sie mit schöner Regelmäßig­keit zu den Apfelbäume­n, weil der ehemalige Landwirt immer wieder nachsehen wollte, wie heuer die Ernte ausfällt.

Etwas Geduld sollte man als Demenzbegl­eiter also schon mitbringen. „Aber ich weiß ja, dass ich nach einer gewissen Zeit wieder gehen kann“, sagt Norbert Blum. Deshalb seien solche Wiederholu­ngen, die er auch mit Alois Maier erlebt, nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: Bei der Betreuung lerne er wahnsinnig viel. „Und es kommt so viel zurück. Das ist einfach nett.“Bereut hat er sein Engagement jedenfalls noch nie. Als freigestel­lter Betriebsra­t war Helfen schon zuvor sein Lebensinha­lt, da konnte er jetzt in der passiven Phase der Altersteil­zeit doch „nicht hinsitzen und warten bis es Abend ist“.

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Foto: ArTo, fotolia Die Hausschuhe können aus purer Zerstreuth­eit in der Spülmaschi­ne gelandet sein. Wenn sich solche Vorfälle häufen, können sie aber auch auf eine Demenz hinweisen.
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Norbert Blum

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