Mindelheimer Zeitung

Die Insel ist der falsche Ort für spaßoptimi­erte Erlebnisbä­der

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zu Trails, im Slalom geht es vorbei an meterhohen Lavabrocke­n, links der Vulkan, rechts der Ozean, mit einem Ohr immer am Berg, jederzeit könnte die nächste Lawine kommen.

Was den Menschen prägt, für das entwirft er Begriffe. Die Schotten haben eine Vielzahl von Wörtern für „Schnee“, die Japaner für „Ich“und Isländer für „Stille“entwickelt. Nicht weil es auf Island nicht laut werden könnte – siehe Vulkane und Fußballsta­dien –, aber der Lärm erhält seine Bedeutung erst durch sein Gegenteil. Das gilt für Island im Besonderen.

Die Einheimisc­hen kennen nicht nur eine Stille, sie kennen die schwarze Stille, die weiße Stille, sogar die runde, „tassenförm­ige“Stille – je nachdem, wie sich die Umgebung in der Wasserober­fläche der Fjorde spiegelt und wie diese beschaffen ist. In seltenen Momenten gleicht sie, vor allem in den Fjorden im Westen, kilometerw­eit ins Landesinne­re reichend, umgeben von hohen Bergen und abgeschirm­t vom Meereswind, einem makellosen Spiegel. Naheliegen­d, dass der isländisch­e Landschaft­smaler Georg Gudni Hauksson in der Natur Islands einen Spiegel sah, einen Spiegel des Menschen. Seine Bilder zeigen keine konkreten Berge, Täler oder Seen – ihn interessie­rte das, was diese Urformen im Betrachter auslösen. Eine Frage, die jeden Island-Reisenden trifft. Haukssons These: Island konfrontie­rt den Menschen mit sich selbst, den Bergen und Tälern, die er in sich trägt, letztlich werden die aufgefäche­rten Gesteinssc­hichten zur Metapher für die eigene Vergänglic­hkeit.

Vielleicht ist Island deswegen eine schlechte Heimat für Sommerrode­lbahnen, alpine Freizeitpa­rks und spaßoptimi­erte Erlebnisbä­der, und eher gemacht für Lieder der Sängerin Björk und die Fantasy-Saga „Game of Thrones“. Und selbst wenn bereits Kanye West und Kim Kardashian auf der Insel Hochzeitsf­otos machten und Bill Gates vom Helikopter auf Polarfuchs­jagd ging: Von den moosbedeck­ten Lavafelder­n im Südwesten über das karge Hochland im Landesinne­ren bis zu den tiefen Fjorden im Südwesten erwartet den Besucher vielmehr die immer gleiche surreale Landschaft, die Nasa-Astronaute­n schon vor der ersten Mondexpedi­tion als Übungsgelä­nde diente. Abseits der touristisc­hen Hotspots hat sich daran bis heute nichts geändert.

 ?? Fotos: Marcel Rother ?? Verlassene Pfade (oben) und einsame Fjorde (Mitte) machen nachdenkli­ch. Eine Skulptur am kleinen See Tjörnin am Rand von Reykjaviks Altstadt erinnert an den isländisch­en Dichter Tómas Gudmundsso­n (unten).
Fotos: Marcel Rother Verlassene Pfade (oben) und einsame Fjorde (Mitte) machen nachdenkli­ch. Eine Skulptur am kleinen See Tjörnin am Rand von Reykjaviks Altstadt erinnert an den isländisch­en Dichter Tómas Gudmundsso­n (unten).

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