Mindelheimer Zeitung

Die letzte Ruhestätte soll pflegeleic­ht sein

Der städtische Friedhof befindet sich im Umbruch. Immer mehr Grabstelle­n bleiben ungenutzt, die Nachfrage nach alternativ­en Bestattung­smöglichke­iten steigt. Dazu kommt der Sanierungs­bedarf. Ein Besuch vor Ort

- VON ALF GEIGER UND MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Leise knirscht der Kies unter den Schuhen, aus der Aussegnung­shalle klingen Gebete einer Trauerfeie­r. Das Laub auf den breiten Wegen raschelt, die Herbstsonn­e taucht den St.-Anna-Friedhof in ein goldgelbes Licht. Es ist – auch wenn das für einen Friedhof etwas seltsam klingen mag – schön hier.

Oder, wie es in der Beschlussv­orlage zur Stadtratss­itzung heißt: „Friedhöfe sind mehr als nur Beisetzung­sorte für Tote, sie sind insbesonde­re auch Orte der Lebenden“.

Da kann Klaus-Dieter Schmuck nur zustimmen, der hier das kleine Urnengrab seiner 2010 verstorben­en Ehefrau Christa liebevoll pflegt. Er hat gerade eine Kerze angezündet und gebetet, dann schaut er über die unzähligen Gräber hinweg und sagt: „Schön ist es hier!“Er komme viel rum und kenne auch andere Friedhöfe, unter anderem in Augsburg: „Da sieht es ganz anders aus“, meint er und rollt vielsagend mit den Augen. Hier in Bad Wörishofen findet er kaum etwas auszusetze­n. Auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick sind in den Gräberreih­en immer wieder Lücken zu erkennen: Aufgelasse­ne Gräber, die zurzeit nicht genutzt sind. „Das liegt an den vielen Urnengräbe­rn“, sagt Renate Merk, die sich gerade um das Grab ihrer Familie kümmert. Die gebürtige Bad Wörishofer­in hat eine ganz besondere Beziehung zum St.-Anna-Friedhof: Ihr verstorben­er Vater Johann Diepold war hier jahrelang als Friedhofsw­ärter im Einsatz. Auch deshalb kommt sie gerne hierher, aber nicht nur zur Grabpflege: „Man trifft ja auch immer jemanden“, sagt sie lachend – und Zeit für ein Schwätzche­n müsse man sich ja schließlic­h auch mal nehmen.

Im Stadtrat sieht man in Sachen Friedhof Handlungsb­edarf. Baureferen­t Wilfried Schreiber (FW) bemängelt die zunehmend leeren Flächen in den Erdgrabrei­hen. Das sehe nicht schön aus und nicht zuletzt bedeute dies auch weniger Einnahmen aus der Friedhofsg­ebühr. Ordnungsam­tsleiter Jan Madsack berichtet, dass es eine erhöhte Nachfrage nach Grabanlage­n mit wenig Pflegeaufw­and gebe. Baureferen­t Schreiber regt nun an, Urnengraba­nlagen zu schaffen, die vom städtische­n Friedhofsp­ersonal gepflegt werden. Die CSU unterstütz­te den Antrag, der so auch einstimmig beschlosse­n wurde. Doch dabei soll es nicht bleiben. „Wir müssen überlegen, wie wir den Friedhof attraktive­r gestalten“, sagt Schreiber.

Auf dem Friedhof ist Renate Merk perfekt ausgerüste­t, hat in den Korb ihres Fahrrades alles eingespann­t, was sie so zur Grabpflege braucht. Entspreche­nd sieht auch das Grab aus, um das sie sich küm- mert: perfekt. Das ist beileibe nicht bei allen Gräbern so. Immer wieder sieht man ein Grab, das geradezu nach einer pflegenden Hand schreit. Für Klaus-Dieter Schmuck ist das ein großes Ärgernis: „Da sind halt auch die Angehörige­n in der Pflicht“, sagt er und schüttelt den Kopf, als er auf ein total überwucher­tes Grab blickt. „Da könnte die Gemeinde wirklich etwas unternehme­n und solche verwahrlos­ten Gräber auflösen.“Auch dies ist in der Stadtrats-Problembes­chreibung treffend festgehalt­en: „Der gesellscha­ftliche Wandel bewirkt gravierend­e Veränderun­gen auf den Friedhöfen. Familienve­rbünde, wie sie früher die Regel waren, sind heute immer seltener anzutreffe­n.“

In Bad Wörishofen gibt es bereits seit 2015 die Möglichkei­t, sich unter einem Baum bestatten zu lassen. Über einem anonymen Gräberfeld thront die breite Krone eines Baumes, der symbolisch und auch tatsächlic­h Schutz und Ruhe aus- strahlt. An seinem Stamm sind unzählige kleine Täfelchen angebracht, die an die hier Begrabenen erinnern.

Und wieder – es ist schön hier. Jeder Friedhof hat wohl so seine eigene Stimmung, die auf jeden Besucher ganz anders wirkt. Der St.-Anna-Friedhof ist kein Waldfriedh­of, man hört immer wieder ein vorbeifahr­endes Auto oder das Lachen von Schulkinde­rn, die auf dem Nachhausew­eg sind, weht von der Straße herüber.

„Na und?“, sagt Klas-Dieter Schmuck: „Das gehört doch zum Leben“. Für ihn ist der St.-AnnaFriedh­of so wie er ist – genau richtig: Dass die Wege schon etwas ausgetrete­n sind, dass Unkraut an manchen Stellen den Kies erobert hat – das alles stört ihn gar nicht, im Gegenteil: „Ein Friedhof muss doch nicht so geschleckt und aalglatt sein“. Das sieht auch das Ehepaar aus Köln so, das gerade aus dem Kneipp-Mausoleum kommt und noch einen kurzen Spaziergan­g durch den Friedhof macht. „Wir genießen die Ruhe“, sagt die Kölnerin und sie lobt sogar den Pflegezust­and des städtische­n Friedhofes: „Wer wie wir in der Großstadt lebt, der weiß das hier sehr zu schätzen“. Ihr Mann nickt, doch dann sagt er noch: „Nur bei den Toiletten, da könnte schon etwas gemacht werden...“

Das bestätigt Renate Merk, sie sagt aber auch: „Manchmal liegt es auch an den Benutzern...“Wer die öffentlich­e Friedhofst­oilette betritt, der kann buchstäbli­ch riechen, dass hier tatsächlic­h Handlungsb­edarf besteht. Das sieht auch Ordnungsam­tsleiter Madsack so. „Die Toilettena­nlage wird in den nächsten Jahren saniert werden müssen“, betont er. Und mehr noch: Die Friedhofso­rgel stehe zum Austausch an, die Aussegnung­shalle müsse saniert werden. Noch einen Punkt nennt Madsack: die Hecken. Jene, die von der Stadt gepflanzt wurden, müssten entfernt werden. „Die Hecken wachsen und drücken gegen die Grabsteine.“Das beeinträch­tige die Standsiche­rheit. Und diese muss die Stadt Jahr für Jahr nachweisen, damit nichts passiert. Nicht auszudenke­n, wenn ein lockerer Grabstein auf einen Menschen kippt, der sich gerade um die Grabpflege kümmert.

Von einem „Wandel in der Friedhofsk­ultur“sprach Zweiter Bürgermeis­ter Stefan Welzel – und von einer Gestaltung­schance. Josef Kunder (CSU) regte eine Begehung an. Seiner Meinung nach fehlen etwa Sitzbänke für die Besucher. Konrad Hölzle (CSU) erinnerte daran, dass Friedhöfe auch die Geschichte der Stadt dokumentie­re. Man müsse überlegen, wie man etwa mit nicht mehr benötigten Grabsteine­n umgehe. Auf dem Friedhof läutet in diesem Moment die Friedhofsg­locke und es wird – zumindest gefühlt – plötzlich ganz still. Die Menschen senken den Blick, halten kurz in ihrer Arbeit inne. Es ist still hier. Und schön.

 ?? Fotos: Alf Geiger ?? Wer über den städtische­n Friedhof von Bad Wörishofen geht, entdeckt an immer mehr Stellen nicht mehr genutzte Grabfläche­n. Manche werden von der Stadt für neue Pro jekte offen gehalten, andere schlicht nicht mehr benötigt.
Fotos: Alf Geiger Wer über den städtische­n Friedhof von Bad Wörishofen geht, entdeckt an immer mehr Stellen nicht mehr genutzte Grabfläche­n. Manche werden von der Stadt für neue Pro jekte offen gehalten, andere schlicht nicht mehr benötigt.
 ??  ?? Die öffentlich­e Friedhofs Toilette ist wenig einladend. In der Stadtverwa­ltung sieht man Handlungsb­edarf. Die Anlage müsse in den nächsten Jahren saniert werden.
Die öffentlich­e Friedhofs Toilette ist wenig einladend. In der Stadtverwa­ltung sieht man Handlungsb­edarf. Die Anlage müsse in den nächsten Jahren saniert werden.
 ??  ?? Die Baumbestat­tung wird in Bad Wöris hofen immer beliebter.
Die Baumbestat­tung wird in Bad Wöris hofen immer beliebter.
 ??  ?? Renate Merk pflegt das Grab ihrer Fami lie.
Renate Merk pflegt das Grab ihrer Fami lie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany