Die letzte Ruhestätte soll pflegeleicht sein
Der städtische Friedhof befindet sich im Umbruch. Immer mehr Grabstellen bleiben ungenutzt, die Nachfrage nach alternativen Bestattungsmöglichkeiten steigt. Dazu kommt der Sanierungsbedarf. Ein Besuch vor Ort
Bad Wörishofen Leise knirscht der Kies unter den Schuhen, aus der Aussegnungshalle klingen Gebete einer Trauerfeier. Das Laub auf den breiten Wegen raschelt, die Herbstsonne taucht den St.-Anna-Friedhof in ein goldgelbes Licht. Es ist – auch wenn das für einen Friedhof etwas seltsam klingen mag – schön hier.
Oder, wie es in der Beschlussvorlage zur Stadtratssitzung heißt: „Friedhöfe sind mehr als nur Beisetzungsorte für Tote, sie sind insbesondere auch Orte der Lebenden“.
Da kann Klaus-Dieter Schmuck nur zustimmen, der hier das kleine Urnengrab seiner 2010 verstorbenen Ehefrau Christa liebevoll pflegt. Er hat gerade eine Kerze angezündet und gebetet, dann schaut er über die unzähligen Gräber hinweg und sagt: „Schön ist es hier!“Er komme viel rum und kenne auch andere Friedhöfe, unter anderem in Augsburg: „Da sieht es ganz anders aus“, meint er und rollt vielsagend mit den Augen. Hier in Bad Wörishofen findet er kaum etwas auszusetzen. Auf den ersten Blick.
Auf den zweiten Blick sind in den Gräberreihen immer wieder Lücken zu erkennen: Aufgelassene Gräber, die zurzeit nicht genutzt sind. „Das liegt an den vielen Urnengräbern“, sagt Renate Merk, die sich gerade um das Grab ihrer Familie kümmert. Die gebürtige Bad Wörishoferin hat eine ganz besondere Beziehung zum St.-Anna-Friedhof: Ihr verstorbener Vater Johann Diepold war hier jahrelang als Friedhofswärter im Einsatz. Auch deshalb kommt sie gerne hierher, aber nicht nur zur Grabpflege: „Man trifft ja auch immer jemanden“, sagt sie lachend – und Zeit für ein Schwätzchen müsse man sich ja schließlich auch mal nehmen.
Im Stadtrat sieht man in Sachen Friedhof Handlungsbedarf. Baureferent Wilfried Schreiber (FW) bemängelt die zunehmend leeren Flächen in den Erdgrabreihen. Das sehe nicht schön aus und nicht zuletzt bedeute dies auch weniger Einnahmen aus der Friedhofsgebühr. Ordnungsamtsleiter Jan Madsack berichtet, dass es eine erhöhte Nachfrage nach Grabanlagen mit wenig Pflegeaufwand gebe. Baureferent Schreiber regt nun an, Urnengrabanlagen zu schaffen, die vom städtischen Friedhofspersonal gepflegt werden. Die CSU unterstützte den Antrag, der so auch einstimmig beschlossen wurde. Doch dabei soll es nicht bleiben. „Wir müssen überlegen, wie wir den Friedhof attraktiver gestalten“, sagt Schreiber.
Auf dem Friedhof ist Renate Merk perfekt ausgerüstet, hat in den Korb ihres Fahrrades alles eingespannt, was sie so zur Grabpflege braucht. Entsprechend sieht auch das Grab aus, um das sie sich küm- mert: perfekt. Das ist beileibe nicht bei allen Gräbern so. Immer wieder sieht man ein Grab, das geradezu nach einer pflegenden Hand schreit. Für Klaus-Dieter Schmuck ist das ein großes Ärgernis: „Da sind halt auch die Angehörigen in der Pflicht“, sagt er und schüttelt den Kopf, als er auf ein total überwuchertes Grab blickt. „Da könnte die Gemeinde wirklich etwas unternehmen und solche verwahrlosten Gräber auflösen.“Auch dies ist in der Stadtrats-Problembeschreibung treffend festgehalten: „Der gesellschaftliche Wandel bewirkt gravierende Veränderungen auf den Friedhöfen. Familienverbünde, wie sie früher die Regel waren, sind heute immer seltener anzutreffen.“
In Bad Wörishofen gibt es bereits seit 2015 die Möglichkeit, sich unter einem Baum bestatten zu lassen. Über einem anonymen Gräberfeld thront die breite Krone eines Baumes, der symbolisch und auch tatsächlich Schutz und Ruhe aus- strahlt. An seinem Stamm sind unzählige kleine Täfelchen angebracht, die an die hier Begrabenen erinnern.
Und wieder – es ist schön hier. Jeder Friedhof hat wohl so seine eigene Stimmung, die auf jeden Besucher ganz anders wirkt. Der St.-Anna-Friedhof ist kein Waldfriedhof, man hört immer wieder ein vorbeifahrendes Auto oder das Lachen von Schulkindern, die auf dem Nachhauseweg sind, weht von der Straße herüber.
„Na und?“, sagt Klas-Dieter Schmuck: „Das gehört doch zum Leben“. Für ihn ist der St.-AnnaFriedhof so wie er ist – genau richtig: Dass die Wege schon etwas ausgetreten sind, dass Unkraut an manchen Stellen den Kies erobert hat – das alles stört ihn gar nicht, im Gegenteil: „Ein Friedhof muss doch nicht so geschleckt und aalglatt sein“. Das sieht auch das Ehepaar aus Köln so, das gerade aus dem Kneipp-Mausoleum kommt und noch einen kurzen Spaziergang durch den Friedhof macht. „Wir genießen die Ruhe“, sagt die Kölnerin und sie lobt sogar den Pflegezustand des städtischen Friedhofes: „Wer wie wir in der Großstadt lebt, der weiß das hier sehr zu schätzen“. Ihr Mann nickt, doch dann sagt er noch: „Nur bei den Toiletten, da könnte schon etwas gemacht werden...“
Das bestätigt Renate Merk, sie sagt aber auch: „Manchmal liegt es auch an den Benutzern...“Wer die öffentliche Friedhofstoilette betritt, der kann buchstäblich riechen, dass hier tatsächlich Handlungsbedarf besteht. Das sieht auch Ordnungsamtsleiter Madsack so. „Die Toilettenanlage wird in den nächsten Jahren saniert werden müssen“, betont er. Und mehr noch: Die Friedhofsorgel stehe zum Austausch an, die Aussegnungshalle müsse saniert werden. Noch einen Punkt nennt Madsack: die Hecken. Jene, die von der Stadt gepflanzt wurden, müssten entfernt werden. „Die Hecken wachsen und drücken gegen die Grabsteine.“Das beeinträchtige die Standsicherheit. Und diese muss die Stadt Jahr für Jahr nachweisen, damit nichts passiert. Nicht auszudenken, wenn ein lockerer Grabstein auf einen Menschen kippt, der sich gerade um die Grabpflege kümmert.
Von einem „Wandel in der Friedhofskultur“sprach Zweiter Bürgermeister Stefan Welzel – und von einer Gestaltungschance. Josef Kunder (CSU) regte eine Begehung an. Seiner Meinung nach fehlen etwa Sitzbänke für die Besucher. Konrad Hölzle (CSU) erinnerte daran, dass Friedhöfe auch die Geschichte der Stadt dokumentiere. Man müsse überlegen, wie man etwa mit nicht mehr benötigten Grabsteinen umgehe. Auf dem Friedhof läutet in diesem Moment die Friedhofsglocke und es wird – zumindest gefühlt – plötzlich ganz still. Die Menschen senken den Blick, halten kurz in ihrer Arbeit inne. Es ist still hier. Und schön.