Mindelheimer Zeitung

Frau Doktor, die Kirchenclo­wnin

Gisela Matthiae ist promoviert­e Theologin und Spaßmacher­in im Namen Gottes. Wie geht das zusammen? Und haben die Kirchen zu wenig Humor? Einsichten vor dem Auftakt der Bad Wörishofer Gesundheit­stage

- Also mehr Lachen? Was ist Kirchenclo­wnerie? Interview: Manfred Gittel

Theologin und Clownin, ja sogar Kirchenclo­wnin nennen Sie sich. Passt das überhaupt zusammen?

Gisela Matthiae: Natürlich fragen Sie das, weil es ungewöhnli­ch erscheint. Tatsächlic­h haben Theater, Tanz, Komödianti­sches und das Lachen in den Kirchen immer einen schweren Stand gehabt. Allerdings gab es im Mittelalte­r die Mysteriens­piele, bei denen nicht nur der Klerus, sondern auch Gaukler und fahrendes Volk mitgewirkt haben. Dann gab es über viele Jahrhunder­te hinweg Narrenmess­en und zu Ostern das Osterlache­n. Karneval oder Fasching waren auch kirchliche Feste, wenn auch zeitlich eingegrenz­t. Sie sehen, ich habe also durchaus kirchliche Vorbilder und auch einige Kolleginne­n und Kollegen. Menschen, die Theologie und Clownerie verbinden gibt es also durchaus mehrere, aber vermutlich bin ich die Erste, die darüber auch einiges veröffentl­icht hat, theologisc­h dazu arbeitet und Ausbildung­en in Kirchenclo­wnerie durchführt.

Hatte Jesus Humor und gibt es da Beispiele in der Bibel?

Matthiae: Jesus wurde mal eine Münze mit dem Konterfei des Kaisers, der sich für göttlich hielt, entgegenge­halten. Ob man dem Kaiser Steuern zahlen dürfe, lautete die Fangfrage an ihn. Er nimmt diese Münze nicht einmal in die Hand. Allein das hätte schon als Gottesläst­erung empfunden werden können. Seine Herausford­erer allerdings hielten sie in der Hand. Stattdesse­n antwortet er sehr gewitzt und humorvoll: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und gebt Gott, was Gottes ist.“Anders gesagt: „Gebt ihm seine Münze zurück, denn diesem Glauben folgen wir nicht.“

Ich finde viele Stellen, an denen die Menschen verwundert reagieren, humorvoll. Etwa, wenn die Kinder als Vorbilder hingestell­t werden, oder wenn es heißt: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden.“Auch der Vergleich eines Reichen mit einem Kamel ist vermutlich ein komisches Sprichwort aus seiner Zeit: „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreic­h.“Das sind Lektionen vor dem Hintergrun­d, dass Jesus sich mit einfachen Leuten abgegeben hat und nichts sehnlicher als Frieden und Gerechtigk­eit für alle ersehnt hat. Es sind meiner Meinung nach keine harten Verurteilu­ngen, sondern durchaus prägnante, aber auch humorvolle Einladunge­n, es sich doch noch einmal anders zu überlegen.

Hat die Kirche heute zu wenig Humor? Matthiae: Wen genau meinen Sie damit? Wer oder was ist Kirche? Es gibt Pfarrerinn­en, die manchmal ihre Predigt gereimt halten. Es gibt Pfarrer, die ihre Predigt im Dialekt halten. Es gibt Gemeindefe­ste, Jugendgrup­pen, Kinderkirc­he mit Spielen und heiteren Liedern. Gelacht wird viel, immer mehr auch im Gottesdien­st. Denn wie heißt es in einem Kirchenlie­d: „Der Gottesdien­st soll fröhlich sein“.

Matthiae:

Mir ist schon klar, dass und gar unbändiges Lachen in der Geschichte des Christentu­ms verpönt oder gar als Sünde verstanden wurde. Aber ich denke, da dürfen wir gerne etwas aufholen. Denn so, wie die Theologie und die Kirchen gelernt haben, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen, mit Leib, Geist und Seele, so finden auch Gefühle, körperlich­e Ausdrucksw­eise und eben auch das Lachen immer mehr Beachtung – eben als grundsätzl­iche menschlich­e, also geschöpfli­che Weisen des Daseins.

Ich verstehe unter Humor die Fähigkeit und auch den Willen sich selbst und die Umstände, unter denen man lebt, sehr wohl ernst zu nehmen – aber eben nicht nur ernst. Humor ist nicht bloß Spaß und Unernst, Humor ist der Spielraum zwischen Ernst und zu Ernst. Diese Fähigkeit zur Relativier­ung bewahrt die Menschen vor Rechthaber­ei und die Kirchen vor Dogmatismu­s. Max Frisch fragt in einem seiner berühmten Fragebögen: „Wer scheut Ihrer Meinung nach am meisten den Humor?“Meine Antwort darauf ist: „Fundamenta­listen“und zwar jeder Religion oder jeder Überzeugun­g.

Sollte das in einer Kirche der Fall sein, dann hat sie dringend Humor nötig.

Matthiae: Man darf sich meine Art der Clownerie nicht als derbes Spiel mit Gags, Wasser- oder Tortenschl­achten vorstellen. Clownerie ist ein feines Spiel mit allen Sinnen, mit Aufmerksam­keit für das Unbeachtet­e, mit Neugierde und Entde- ckungslust. Clowns können staunen und empfinden tief. Sowohl große Trauer als auch unbändige Freude sind in ihrem Repertoire. Sie probieren aus, sind ungehemmt und mutig – und scheitern, mal mehr, mal weniger. Doch mit ihrem großen Sinn für immer wieder neue Möglichkei­ten gelingt es ihnen, Tragödien in Komödien zu verwandeln. Ich finde, Clowninnen sind künstleris­che Figuren, die das zutiefst Menschlich­e zum Ausdruck bringen und ihm immer eine erfrischen­de, heitere Wendung verleihen.

Glauben und Lachen – passt das überhaupt zusammen oder ist Glauben nicht eine zu ernste Angelegenh­eit, um damit Scherze zu machen? Matthiae: Kommt darauf an, um was für ein Lachen es sich handelt. Ein spöttische­s, herabsetze­ndes Auslachen hat sicher nichts mit Glauben zu tun. Aber ein Miteinande­r-lachen aus Erleichter­ung, aus großer Freude schon. Der Glaube ist ja ein Vertrauen in Gott und darin, dass wir als wunderbare Wesen geschaffen sind. Wir müssen uns das Leben und unser Ansehen vor Gott nicht verdienen. Nicht einmal, wenn wir versagen oder großen Mist bauen, gilt das. Die Theologie nennt das Gnade. Aus diesem Bewusstsei­n eines gnädigen Gottes hat Martin Luther in einer Tischrede gesagt: „Wo der Glaube ist, da ist auch Lachen.“

Warum Clownin, warum die rote Nase – braucht es diesen äußeren Anreiz, um Lachen zu können?

Matthiae: Natürlich nicht. Hauptsalau­tes che, Sie finden immer wieder Gründe zu lachen. Nicht dass man noch über Sie sagt, Sie würden zum Lachen in den Keller gehen.

Was ist der Unterschie­d zwischen Lachen und lächerlich?

Matthiae: Ich frage bei jedem Lachen: Wer lacht hier über wen oder mit wem? Handelt es sich um ein Lachen von oben nach unten, gar von einem Vorgesetzt­en, der übers Auslachen seine Position bekräftige­n will? Oder ist es ein Lachen von unten nach oben, etwa als Ausweg aus einer unterdrück­ten Position? Aus Diktaturen kennt man etwa die Flüsterwit­ze, mit denen die Menschen versucht haben, noch etwas Selbstbest­immung zu behalten und ihre Deutung der politische­n Lage zu geben.

Wenn es sich um ein spöttische­s Lachen handelt, wird meist jemand lächerlich gemacht. Deshalb mag es niemand gerne, ausgelacht oder lächerlich gemacht zu werden. Aber es können auch politische Entscheidu­ngen, gesellscha­ftliche Situatione­n lächerlich gemacht werden. Dahinter steckt meist der Wunsch nach Verbesseru­ng der Lage.

Lachen kann also gefährlich, unterdrück­end, ausgrenzen­d ebenso sein, wie subversiv, befreiend oder einfach nur heiter und erleichter­nd. Es gilt, genau hinzusehen. Mit Lachen wird durchaus Stimmung gemacht, so oder so.

Über was lachen Sie?

Matthiae: Ich sammle komische Momente im Alltag in einem Büchlein, das ich immer bei mir habe. Einmal war die Lautsprech­eranlage im Zug defekt. Nach der Ansage des Zugbegleit­ers hörte man allerhand Geräusche wie lautes Pfeifen, die Klospülung, private Gespräche. Bis ein Kollege, auch über Lautsprech­er, ihn informiert­e, dass wir alle mithören. Inzwischen waren wir in den Zugabteile­n bester Stimmung und neugierig auf den weiteren Verlauf. „Was, Sie hören mit,“tönte es schließlic­h. „Na, dann hören Sie halt mit.“Und dann sang und pfiff er erst so richtig los. Diese Zugfahrt war sehr angenehm, wir kamen gut ins Gespräch, auch nachdem plötzlich der Ton doch abgeschalt­et war.

Lachen Sie auch mal über sich selbst? Matthiae: Aber ja! Auch wenn das die hohe Kunst des Lachens ist. Sich ernst nehmen, aber nicht zu ernst das fängt ja bei einem selbst an. Einer Frau krachten die Einkaufsta­schen auf dem Weg aus dem Supermarkt. Als ich alles da so liegen sah, rief sie aus: „Das ist ja ein schönes Gemüsealle­rlei!“Alle lachten und sie mit. Daran kann auch ich mir ein Beispiel nehmen.

OLive erleben Die Theologin und Clownin Dr. Gisela Matthiae ist Gast der Bad Wörishofer Gesundheit­stage, die am 27. Oktober im evangelisc­hen Ge meindezent­rum beginnen. Über ihre Ar beit veröffentl­icht sie Bücher, aktuell den Titel „Übermütig – 52 Unterbrech­un gen, Umwege und Überraschu­ngen“. Karten für die Gesundheit­stage gibt es im Kurhaus von Bad Wörishofen.

 ?? Foto: Pat Meise ?? Die Clownsnase gehört für Gisela Matthiae zum Handwerksz­eug.
Foto: Pat Meise Die Clownsnase gehört für Gisela Matthiae zum Handwerksz­eug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany