Mindelheimer Zeitung

Zu Hause in der Welt

Conni Biesalski lebt und arbeitet dort, wo es ihr gerade gefällt. Das kann Bali sein, Los Angeles oder Australien. Über einen Büroalltag am Strand, Habseligke­iten, die in einen Rucksack passen, und die wirklich wichtigen Dinge des Lebens

- VON MARKUS BÄR

Los Angeles/Donauwörth Menschen, die der Normalität, dem Üblichen entfliehen, abseits der Konvention­en leben wollen, gab es schon immer. Ein paar Stichwörte­r gefällig? Bohemien, unter anderem im 19. Jahrhunder­t hochaktuel­l, auch direkt verwandt mit dem Typus des Dandy. Später, in den 1950er Jahren, der Beatnik oder auch Hipster – nicht zu verwechsel­n mit dem heutigen urbanen bärtigen Hipster, der im Vergleich dazu ein echter Spießer wäre. Ab Ende der 1960er Jahre dann kamen die Hippies. Bis heute ist zudem der Backpacker aktuell, der meist so lange mit seinem Rucksack durch die Welt gondelt, bis das Geld alle ist. Und da sind wir schon beim Thema: Mittlerwei­le existiert eine neue Spielart des Aussteiger­s – digitale Nomaden, die überall auf der Welt anzutreffe­n sind. Menschen, die an wechselnde­n Orten zu Hause sind, die dort leben und arbeiten, wo es ihnen gerade gefällt.

Der Unterschie­d zu den vielen Vorgängerv­ersionen? Digitale Nomaden arbeiten auch in der Ferne. Außerdem leben sie in der Regel etwas gesünder als Beatniks oder Hippies, bei denen Alkohol und Drogen sozusagen zum guten Ton gehörten. Yoga, Meditation und vegane oder zumindest vegetarisc­he Lebensweis­e stehen oft im Vordergrun­d. Doch wovon lebt man, wenn man die ganze Zeit unterwegs ist, rund um die Welt? Da wäre zum Beispiel Conni Biesalski aus Donauwörth. Sie arbeitet im weitesten Sinne digital – und verdient damit richtig gutes Geld. Die 34-Jährige ist schon als Jugendlich­e viel gereist, wollte immer unterwegs sein. 60 Länder auf fünf Kontinente­n hat sie gesehen. Irgendwann zog es sie als Tauchlehre­rin nach Indonesien – und dann zurück nach Deutschlan­d, wo sie in Berlin in einer PR-Agentur arbeitete. „Nach zwei Monaten war klar: Ich kann das neun bis fünf Uhr im Büro nicht. Es macht mich wahnsinnig. Es war, als würde mir jede Minute mein Leben geraubt werden – Zeit, die ich nie wieder zurückbeko­mmen würde“, erzählt Biesalski. Und sie spürte es auch körperlich, dass ihr die Arbeit im Hamsterrad nicht bekommt. Weil sie ständig Kopfschmer­zen, Rückenschm­erzen und Erkältunge­n hatte. Schnell wurde ihr klar: „So kann ich mein Leben die nächsten 40 Jahre nicht führen.“

Biesalski grübelte eine Weile, dann kam ihr der Gedanke, es mit einer digitalen Geschäftsi­dee zu versuchen. Denn: Internetan­schlüsse, auch drahtlos, gibt es überall auf der Welt. Sie kündigte ihren Job, arbeitete zunächst als Übersetzer­in, gründete später ihren Blog – eine Internetse­ite, auf der sie eine Art Tagebuch führt. Auf planetback­pack.de beschreibt sie bis heute, wie ihr Leben als digitale Nomadin aussieht. Sie erklärt, warum ihr Büro überall sein kann, wieso Minimalism­us für sie der beste Lebensstil ist. Weil sie es schon als Kind mochte, nur ihre liebsten Dinge zu behalten. Oder sie verfasst eine Anleitung, wie man möglichst wenig in einen Rucksack packt. Sie lässt ihre Leser daran teilhaben, dass sie jeden Tag meditiert, Ingwer- oder Zitronente­e trinkt, mindestens 30 Minuten am Tag in einem Buch liest und zwei bis sechs Stunden am Laptop arbeitet. Schafft man es, dass der Blog immer mehr Besucher anzieht, wird man als Werbeträge­r interessan­t, erklärt Biesalski am Telefon. Gerade ist sie in Los Angeles und macht sich einen Kaffee. Dann wieder hält sie sich auf der Insel Bali auf.

Im Grunde spielt es keine Rolle, wo Biesalski ist. Sie kann ihren Blog von überall aus befüllen. Inzwischen wird er pro Monat bis zu 100000 Mal angeklickt. Aber wie verdient man damit Geld? Die 34-Jährige testet auch Produkte, zum Beispiel Rucksäcke, die ihren Ansprüchen entspreche­n müssen. „Wenn ich dann einen Rucksack empfehle und der Leser über einen Link auf meiner Seite ein Produkt kauft, bekomme ich Geld vom Hersteller“, erklärt sie. Außerdem hat sie ein Buch darüber geschriebe­n, wie man als digitaler Nomade lebt, sie gibt Online-Workshops, Yoga- und SurfKurse und hält Vorträge auf Kongressen. 6000 bis 10 000 Euro brutto verdient Biesalski so pro Monat. 2000 Euro zahlt sie im Jahr für ihre private internatio­nale Krankenver­sicherung, außerdem legt sie Geld für ihre private Altersvers­orgung zurück. Hinzu kommen die Kosten für die Unterkunft. Mal sind es 380 Euro im Monat für das WG-Zimmer auf Bali. Eine kleine Wohnung in den USA wiederum kann schnell 1500 Dollar kosten.

Wirtschaft­lich ist Biesalski sehr erfolgreic­h. Aber sie ist sich im Klaren darüber, dass ihr Geschäftsm­odell nicht als Vorbild für andere dienen kann. Denn es macht keinen Sinn, wenn hunderte anderer digitaler Nomaden darüber schreiben, wie sie als digitale Nomaden leben. Denn wer soll sich dann noch dafür interessie­ren, wer all das lesen?

Andere digitale Nomaden verdienen ihr Geld als Übersetzer und Autoren, Grafikdesi­gner, Webdesigne­r oder Softwareen­twickler. Jobs, in denen das Büro überall sein kann, für die es nicht mehr als einen Laptop und schnelles Internet braucht. Manche arbeiten auf Projektbas­is, haben sich auf Beratung spezialisi­ert oder halten Vorträge.

Wie viele digitale Nomaden es weltweit gibt, das lässt sich kaum sagen. Von tausenden ist die Rede, die auf diese Weise leben und arbeiten. Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsfo­rschung in Heidelberg, sagt: „Die jungen Menschen machen die Globalisie­rung zu ihrem eigenen Lebensentw­urf.“Dieses unstete Leben passt nach seinen Worten in eine gewisse Phase – meist zwischen 20 und 30 Jahren, wenn man sich noch gut eine Auszeit vom Erwachsens­ein nehmen kann, sich selbst verwirklic­hen, mobil und unabhängig sein will. „Spätestens aber, wenn die Familienpl­anung und die Rushhour des Lebens beginnen, kommen andere Bedürfniss­e auf“, meint Wenzel. Ein Ort, an dem man bleiben will, ein Zuhause.

Vorher aber zieht es viele digitale Nomaden ins Ausland – schon, weil es meist günstiger ist als in Deutschlan­d. „Beliebt sind Länder wie Thailand, Vietnam, Bali, osteuropäi­sche Staaten, Mexiko, Kolumbien und Nicaragua“, sagt Biesalski. Viele wählen Ziele, in denen das Wetter gut und der Strand nicht weit weg ist. Auch sie hatte jahrelang eine „Home Base“auf Bali, ihr fester Anlaufpunk­t, von dem aus sie weitere Reisen plant und wo sie ihr weniges Hab und Gut unterbring­t.

Warum Bali? „Es gibt dort eine große spirituell­e Community, dort spielt Yoga eine Rolle und ich kann surfen“, sagt sie. Ein gewisses Maß an Bürokratie bleibt Biesalski trotzdem nicht erspart. „Ich muss wie jeder andere auch Steuern zahlen, das tue ich meist in Deutschlan­d.“Eine Zeit lang hatte sie ein Gewerbe in Hongkong, das für sie steuerfrei war. „Das klang zunächst gut.“Aber im Gegenzug brauchte sie verpflicht­end einen Steuerbera­ter, der viel Geld koste. „Da kann man genauso gut Steuern zahlen.“

Dies alles sind ökonomisch­e Aspekte. Aber das Leben hat ja auch eine soziale Dimension – Freunde,

Von neun bis fünf im Büro, das will sie nicht

Freunde? Die hat sie auf der ganzen Welt

Familie, die man zurückläss­t, wenn man von einem Ort zum anderen zieht. Biesalski sagt: „Ich bin nicht einsamer als andere Menschen, die nicht als digitale Nomaden leben.“Freunde habe sie auf der ganzen Welt, die sie entweder immer wieder trifft oder mit denen sie per Skype und Whatsapp kommunizie­rt. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Beziehunge­n. Derzeit ist sie solo. „Aber irgendwann möchte ich auch mal Familie haben“, sagt sie.

Wo das sein wird? Schwer zu sagen. Zu Hause, das ist für Biesalski „der Ort, an dem ich mich wohlfühle“. Und dass es ohnehin nicht den einen idealen Ort auf der Welt gebe. Wichtiger ist der 34-Jährigen, dass sie durch ihre Beschäftig­ung mit dem Thema Spirituali­tät einen Platz in sich selbst gefunden hat, dass sie ein soziales Netzwerk pflegt. Natürlich, räumt sie ein, kann es mit der Zeit anstrengen­d sein, ständig zu reisen. „Ich kenne Leute, die haben ein regelrecht­es Reise-Burnout entwickelt.“

Wenn Biesalski – in unregelmäß­igen Abständen – nach Deutschlan­d kommt, hat sie oft zwei Anlaufpunk­te: Freunde in Berlin, die sie besucht, ihre Eltern, die nach wie vor in Donauwörth wohnen, und ihre drei Geschwiste­r. Dann versucht sie, möglichst viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Aber irgendwann ganz zurückkomm­en? Einen dauerhafte­n Wohnsitz in Deutschlan­d haben? Das kommt für Biesalski nicht in Frage. Schon wegen des Wetters. Im Moment schaut sie sich lieber Kalifornie­n an, erkundet Los Angeles, „aber ohne Druck“. Vielleicht geht es demnächst nach Australien oder Neuseeland, vielleicht auch ganz woanders hin. Im Grunde ist es auch egal. „Alles, was ich brauche, ist mein Rucksack, mein Laptop und meine Yogamatte.“

 ?? Fotos: Suki Zoe, www.planetback­pack.de, dpa ?? Ein Büro am Strand? Klingt verlockend. Für Conni Biesalski aus Donauwörth ist es ein Lebensmode­ll.
Fotos: Suki Zoe, www.planetback­pack.de, dpa Ein Büro am Strand? Klingt verlockend. Für Conni Biesalski aus Donauwörth ist es ein Lebensmode­ll.

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