Mindelheimer Zeitung

Willkommen in der Nische

Immer mehr Menschen kaufen Kleidung, Möbel oder Dekomateri­al im Internet. Das stellt die Läden in der Region vor riesige Probleme. Daran kann ein Händler verzweifel­n. Oder es wie Sabine Ryan machen

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Sabine Ryan wollte nur einen Schaukelst­uhl kaufen. Eines von jenen Modellen, wie man sie oft auf der Veranda großer Südstaaten-Villen in den USA sieht, in farbigem Holz und mit langer, kantiger Lehne. Ryan ist mit einem Amerikaner verheirate­t, die Liebe zu allem, was amerikanis­ch ist, hat sie von ihm. Ihr Wunsch nach dem Schaukelst­uhl blieb allerdings erst einmal unerfüllt. Denn Pakete in dieser Größe verschickt­en die Händler nicht nach Deutschlan­d. Ryan und ihr Mann überlegten also hin und her und am Ende bekam Sabine Ryan ihren Stuhl – und eine Idee, die ihr Leben für immer verändern sollte.

Seit mittlerwei­le 13 Jahren importiert sie gemeinsam mit ihrem Mann Patrick unter der Marke „American Heritage“Produkte aus Übersee – Kerzen, Grillsauce­n, Dekomateri­al und natürlich Schaukelst­ühle. 2005 eröffneten die Ryans, die mit ihren Kindern in Stadtberge­n bei Augsburg leben, ihren ersten Laden. In den Jahren danach folgten auf das Geschäft in Augsburg Filialen in München, Salzburg, Stuttgart und Hamburg. Dazu kommen noch ein Online-Shop und der Großhandel: American Heritage vertreibt Kerzen und Grillsauce­n als exklusiver Importeur, acht der zehn führenden Delikatess­en-Läden in Deutschlan­d gehören zu den Kunden.

Würde man ein Lehrbuch über den modernen Einzelhand­el schreiben, Sabine Ryan könnte ohne Probleme einen Platz darin bekommen. Denn die 49-jährige Unternehme­rin hat viele Dinge richtig gemacht. Und das, obwohl sie eigentlich gar nicht aus dem Handel stammt. Ryan hat zwar Betriebswi­rtschaft studiert, war dann aber lange im Controllin­g tätig. „Ich bin eine Frau der Zahlen“, sagt sie und lacht.

In dieser Woche hat Ryan ihr Geschäftsm­odell in Augsburg vor anderen Händlern vorgestell­t. Sie war zu Gast beim e-Commerce-Tag der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben in Augsburg. Die Veranstalt­ung sollte Händler vernetzen und sie darauf vorbereite­n, was sie in den kommenden Jahren erwartet. Denn der stationäre Handel steht vor großen Herausford­erungen, in Schwaben und im Rest des Landes: Der gesellscha­ftliche und der technologi­sche Wandel verändern die Art, wie die Menschen einkaufen. Der Online-Riese Amazon liefert heute Artikel noch am gleichen Tag an die Haustür, Internet-Händler wie Zalando bieten ein Sortiment an, das so groß ist, dass kein Modeladen jemals mithalten kann.

Der Handels-Experte Sirko Siemssen warnt deshalb vor „tektonisch­en Verschiebu­ngen“im Einzelhand­el. Siemssen arbeitet für die Münchner Beratungsf­irma Oliver Wyman. In einem Branchenre­port spricht der Fachmann von einem Kahlschlag in der Branche: In zehn bis 15 Jahren könnte demnach die Hälfte aller Filialunte­rnehmen vom Markt verschwund­en sein. Der Handelsver­band Deutschlan­d glaubt, dass bis 2020 rund 50 000 Geschäften in Deutschlan­d das Aus drohen könnte.

Spricht man Hermann Hutter auf die Probleme der Branche an, dann gibt er sich kämpferisc­h. Hutter ist Geschäftsf­ührer der gleichnami­gen Günzburger Firma und Präsident des Handelsver­bands Baden-Württember­g, auch er stand in dieser Woche vor seinen Kollegen auf dem Podium der IHK. „Jede Zeit hat ihre Chancen“, betont der Unternehme­r. Aber seine Branche neige mitunter zur Angst vor der Zukunft, anstatt sich Strategien zu überlegen, wie sie dieser Zukunft begegnen könne. „Wir müssen lernen, den Kunden auf allen Kanälen anzusprech­en“, sagt Hutter. Damit meint er soziale Medien wie Instagram oder Facebook, aber auch die traditione­lle Begegnung in den Geschäften. Dem Kunden müsse wieder mehr bewusst gemacht werden, „dass es sich lohnt, in die Innenstadt zu kommen“.

Glaubt man Fachmann Siemssen, dann liegt die Überlebens­strategie für kleine Händler vor allem in der Spezialisi­erung. Wer sich – wie Sabine Ryan – in einer Nische etabliert, könne die Kunden mit einem Angebot und Eigenschaf­ten überzeugen, die großen Konzernen wie Amazon oder Google fehlen. Händler, die alles beim Alten belassen, haben in Siemssens Augen dagegen kaum Überlebens­chancen. Wer sich jetzt nicht genau überlege, „wo sein Platz in dieser neuen Einzelhand­elsWelt ist“, laufe Gefahr, den Laden zusperren zu müssen oder von einem Wettbewerb­er geschluckt zu werden.

Sabine Ryan sieht das ganz ähnlich. „Die Erfolge der Vergangenh­eit sind nicht garantiert für die Zukunft“, betont sie. Wer heute einen Laden führt, müsse sich ununterbro­chen

Das Familienun­ternehmen verkauft US Produkte

Ryan besucht 30 Messen im Jahr

neu überlegen, was er besser machen und wie er neue Kunden gewinnen kann. Ihre Firma ist sehr aktiv in den sozialen Medien, arbeitet mit Bloggern zusammen, die Kerzen oder Saucen testen und ihren Lesern davon berichten. Eine von Ryans 30 Mitarbeite­rn ist jeden Tag mehrere Stunden nur damit beschäftig­t, Bilder auf Instagram oder Facebook zu stellen und Kommentare zu beantworte­n. Gleichzeit­ig besucht Ryan 30 Messen im Jahr, dekoriert in der Zwischenze­it die Läden um, stöbert im Internet oder auf Reisen nach neuen Produkten.

Die Unternehme­rin macht das gerne. „Ich habe meinen Traum zum Beruf gemacht“, sagt sie. In ihren Augen ist genau das der Schlüssel im modernen Einzelhand­el: Ihrer Meinung nach sieht man in vielen Innenstädt­en nur noch austauschb­are Handelsket­ten. „Aber bei uns merken die Kunden, dass wir uns Gedanken über die Produkte gemacht haben.“Diese innere Einstellun­g ist es, die am Ende den Unterschie­d machen kann. Oder, wie Ryan es formuliert: „Wenn ich in einem Laden unfreundli­ch behandelt werde, komme ich nicht wieder. Wenn man mich gut berät, bleibe ich dem Geschäft treu.“

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Stars and Stripes, wohin man schaut: Sabine Ryan hat gemeinsam mit ihrem Mann vor 13 Jahren die Firma „American Heritage“gegründet. In fünf Läden und einem Online Shop verkaufen sie Produkte aus den USA.
Foto: Wolfgang Diekamp Stars and Stripes, wohin man schaut: Sabine Ryan hat gemeinsam mit ihrem Mann vor 13 Jahren die Firma „American Heritage“gegründet. In fünf Läden und einem Online Shop verkaufen sie Produkte aus den USA.

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