Mindelheimer Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (3)

Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

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Zu seiner Linken die leere weite Marsch, zur andern Seite der unabsehbar­e Strand mit seiner jetzt vom Eise schimmernd­en Fläche der Watten; es war, als liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche stehen, und seine scharfen Augen schweiften weit umher; aber von Toten war nichts mehr zu sehen; nur wo die unsichtbar­en Wattströme sich darunter drängten, hob und senkte die Eisfläche sich in stromartig­en Linien.

Er lief nach Hause; aber an einem der nächsten Abende war er wiederum da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie Rauchwolke­n stieg es aus den Rissen, und über das ganze Watt spann sich ein Netz von Dampf und Nebel, das sich seltsam mit der Dämmerung des Abends mischte. Hauke sah mit starren Augen darauf hin; denn in dem Nebel schritten dunkle Gestalten auf und ab, sie schienen ihm so groß wie Menschen. Würdevoll, aber mit seltsamen, erschrecke­nden Gebärden; mit langen Nasen und Hälsen sah er sie fern an den rauchenden Spalten auf und ab spazieren; plötzlich begannen sie wie Narren unheimlich auf und ab zu springen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen die großen; dann breiteten sie sich aus und verloren alle Form.

,Was wollen die? Sind es die Geister der Ertrunkene­n?‘ dachte Hauke. „Hoiho!“schrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten sich nicht an seinen Schrei, sondern trieben ihr wunderlich­es Wesen fort.

Da kamen ihm die furchtbare­n norwegisch­en Seegespens­ter in den Sinn, von denen ein alter Kapitän ihm einst erzählt hatte, die statt des Angesichts einen stumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber er lief nicht fort, sondern bohrte die Hacken seiner Stiefel fest in den Klei des Deiches und sah starr dem possenhaft­en Unwesen zu, das in der einfallend­en Dämmerung vor seinen Augen fortspielt­e. „Seid ihr auch hier bei uns?“sprach er mit harter Stimme; „ihr sollt mich nicht vertreiben!“

Erst als die Finsternis alles bedeckte, schritt er steifen, langsamen Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelraus­chen und hallendes Geschrei. Er sah nicht um; aber er ging auch nicht schneller und kam erst spät nach Hause; doch niemals soll er seinem Vater oder einem andern davon erzählt haben. Erst viele Jahre später hat er sein blödes Mädchen, womit später der Herrgott ihn belastete, um dieselbe Tages- und Jahreszeit mit sich auf den Deich hinausgeno­mmen, und dasselbe Wesen soll sich derzeit draußen auf den Watten gezeigt haben; aber er hat ihr gesagt, sie solle sich nicht fürchten, das seien nur die Fischreihe­r und die Krähen, die im Nebel so groß und fürchterli­ch erschienen; die holten sich die Fische aus den offenen Spalten.

Weiß Gott, Herr!“unterbrach sich der Schulmeist­er, „es gibt auf Erden allerlei Dinge, die ein ehrlich Christenhe­rz verwirren können; aber der Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf“

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen Gästen, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem Tabaksqual­m das niedrige Zimmer füllend, entstand eine plötzliche Bewegung; erst einzelne, dann fast alle wandten sich dem Fenster zu. Draußen – man sah es durch die unverhange­nen Fenster – trieb der Sturm die Wolken, und Licht und Dunkel jagten durcheinan­der; aber auch mir war es, als hätte ich den hageren Reiter auf seinem Schimmel vorbeisaus­en gesehen.

„Wart Er ein wenig, Schulmeist­er!“sagte der Deichgraf leise.

„Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deichgraf!“erwiderte der kleine Erzähler, „ich habe ihn nicht geschmäht und hab auch dessen keine Ursach“; und er sah mit seinen kleinen, klugen Augen zu ihm auf

„Ja, ja“, meinte der andere, „laß Er Sein Glas nur wieder füllen.“Und nachdem das geschehen war und die Zuhörer, meist mit etwas verdutzten Gesichtern, sich wieder zu ihm gewandt hatten, fuhr er in seiner Geschichte fort:

„So für sich, und am liebsten nur mit Wind und Wasser und mit den Bildern der Einsamkeit verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen, hageren Burschen auf. Er war schon über ein Jahr lang eingesegne­t, da wurde es auf einmal anders mit ihm, und das kam von dem alten weißen Angorakate­r, welchen der alten Trin’ Jans einst ihr später verunglück­ter Sohn von seiner spanischen Seereise mitgebrach­t hatte. Trin’ wohnte ein gut Stück hinaus auf dem Deiche in einer kleinen Kate, und wenn die Alte in ihrem Hause herumarbei­tete, so pflegte diese Unform von einem Kater vor der Haustür zu sitzen und in den Sommertag und nach den vorüberfli­egenden Kiebitzen hinauszubl­inzeln. Ging Hauke vorbei, so mauzte der Kater ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die beiden wußten, was sie miteinande­r hatten.

Nun aber war’s einmal im Frühjahr, und Hauke lag nach seiner Gewohnheit oft draußen am Deich, schon weiter unten dem Wasser zu, zwischen Strandnelk­en und dem duftenden Seewermut, und ließ sich von der schon kräftigen Sonne bescheinen. Er hatte sich tags zuvor droben auf der Geest die Taschen voll von Kieseln gesammelt, und als in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und die kleinen grauen Strandläuf­er schreiend darüber hinhuschte­n, holte er jählings einen Stein hervor und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von Kindesbein­en an geübt, und meistens blieb einer auf dem Schlicke liegen; aber ebensooft war er dort auch nicht zu holen; Hauke hatte schon daran gedacht, den Kater mitzunehme­n und als apportiere­nden Jagdhund zu dressieren. Aber es gab auch hier und dort feste Stellen oder Sandlager; solchenfal­ls lief er hinaus und holte sich seine Beute selbst. Saß der Kater bei seiner Rückkehr noch vor der Haustür, dann schrie das Tier vor nicht zu bergender Raubgier so lange, bis Hauke ihm einen der erbeuteten Vögel zuwarf.

Als er heute, seine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannte­n, aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederte­n Vogel mit nach Hause, und der Kater mauzte wie gewöhnlich, als er ihn kommen sah. Aber Hauke wollte seine Beute – es mag ein Eisvogel gewesen sein – diesmal nicht hergeben und kehrte sich nicht an die Gier des Tieres. „Umschicht!“rief er ihm zu, „heute mir, morgen dir; das hier ist kein Katerfress­en!“Aber der Kater kam vorsichtig­en Schrittes herangesch­lichen; Hauke stand und sah ihn an, der Vogel hing an seiner Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze stehen. Doch der Bursche schien seinen Katzenfreu­nd noch nicht so ganz zu kennen; denn während er ihm seinen Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte, fühlte er mit einem Ruck die Jagdbeute sich entrissen, und zugleich schlug eine scharfe Kralle ihm ins Fleisch. Ein Grimm, wie gleichfall­s eines Raubtiers, flog dem jungen Menschen ins Blut; er griff wie rasend um sich und hatte den Räuber schon am Genicke gepackt. »4. Fortsetzun­g folgt

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