Mindelheimer Zeitung

Neues Leben für eine alte Spelunke

Melanie Restle will den Mindelheim­er „Rappen“zu einer Begegnungs­stätte umbauen und beginnt bereits jetzt damit

- VON MELANIE LIPPL

Mindelheim Eine Spelunke, seit über 13 Jahren leer stehend, mit undichtem Dach, feuchten Wänden und einem mit unnützem Zeug vollgestop­ften Keller ist für die meisten Immobilien­käufer der blanke Horror. Für Melanie Restle war das ehemalige Gasthaus „Rappen“in der Mindelheim­er Altstadt Liebe auf den ersten Blick. „Ich habe das Haus angeguckt und wusste, wir haben eine Verbindung zueinander“, sagt sie. Zwei Monate nach der Besichtigu­ng ist die 38-Jährige stolze Besitzerin dieser unter Denkmalsch­utz stehenden Bauruine und erntet interessie­rte Blicke von Nachbarn und Passanten: „War es Ehrfurcht oder Mitleid?“, fragt sie und gibt selbst gleich die Antwort darauf: „Wohl beides.“

Die Reaktion der Freunde und Verwandten war da eindeutige­r: „Viele haben mir den Vogel gezeigt“,

„Ich habe die Katze im Sack gekauft.“Melanie Restle über ihr Haus

sagt die 38-Jährige. Ihre Jungs – sieben und acht Jahre alt – waren hingegen begeistert: „Boah Mama, das ist ja wie ein Schloss!“, fanden sie und suchten sich sofort ihre künftigen Kinderzimm­er aus.

Wie ihre Söhne hat auch Melanie Restle Visionen, wie die Räume, von denen sie eben noch den porösen Putz von der Wand geschlagen hat, in Zukunft einmal aussehen sollen. Sie stellt sich zum Beispiel vor, dass im Erdgeschos­s wieder eine Gastronomi­e einzieht. „Kein klassische­s Restaurant, sondern eine Begegnungs­stätte mit Ausschank“, erklärt sie. „Ein erweiterte­s Wohnzimmer für Jung und Alt.“Lesungen, Weinund Käseverkos­tungen oder einen Abend mit offenem Mikrofon für alle Kreativen könnte sich die Übersetzer­in, die in ihrer Elternzeit noch ein pädagogisc­hes Studium absolviert hat, vorstellen.

Sie hofft, dass ihr Haus die Menschen verbindet, und bringt deshalb bereits jetzt, während der mehrjährig­en Umbauphase, Leben hinein. „Für mich war der Kauf auch damit verbunden, etwas Schönes zu schaffen für die Bevölkerun­g“, sagt die gebürtige Ingolstädt­erin, die jetzt in Ettringen lebt. „Mindelheim hat Potenzial“, findet Restle. Sie hofft da- dass die einheimisc­he Bevölkerun­g Erinnerung­en und Ideen einbringt. Der Auftakt ist bereits gelungen: Beim ersten Tag der offenen Tür sind die Besucher noch lange sitzen geblieben und haben Anekdoten ausgetausc­ht. „Im Rappen herrschten raue Sitten“, weiß Melanie Restle. „Da wurde gesoffen und auch mal geschläger­t.“Wie zum Beweis zeigt sie eine Postkarte von 1976, die sie beim Entrümpeln entdeckt hat. Ein Gast hatte sie von seiner Entziehung­skur geschriebe­n – „drei Monate ohne Asbach, ohne Bier“– aber seine Stammtisch­freunde hatte er dort offensicht­lich nicht vergessen.

Melanie Restle hat den Rappen entrümpelt, das Dach notdürftig ge- flickt und den feuchten Putz von den Wänden abgeschlag­en. Die Bausubstan­z ist gut, das hat ihr ein befreundet­er Handwerker bescheinig­t. Dennoch ist sich die 38-Jährige darüber im Klaren, dass ihr noch die eine oder andere böse Überraschu­ng blühen könnte. „Ich habe die Katze im Sack gekauft“, sagt sie. Stück für Stück arbeitet sie sich durch das Haus, dessen handgeschl­agener, freitragen­der Dachstuhl aus dem Jahr 1744 stammt. Das Dach wird nach dem Winter als erstes angepackt, die Wände müssen trocken werden und die Böden, die durch den Regen beschädigt wurden, kommen raus.

Melanie Restle scheut die Ratschläge anderer nicht: Sie hat alle Berauf, hörden mit ins Boot geholt, demnächst sieht sich ein Restaurato­r das im Jugendstil bemalte Schlafzimm­er an, Stadtarchi­var Andreas Steigerwal­d hat ihr Unterlagen besorgt, zudem war vor dem Kauf bereits eine sehr gute bauhistori­sche Untersuchu­ng vorhanden. Nur der charakteri­stische Rappen-Ausleger an der Außenfassa­de ist leider nicht mehr da. Ein neuer muss her, findet Melanie Restle – wobei sie noch nicht weiß, ob sie darauf einen Rappen oder einen Raben setzen will. Denn in alten Unterlagen ist nicht nur vom „Rappen“, sondern auch von einer „Rabenwirti­n“die Rede.

Ob Rabe oder Rappe: In ihre große Liebe muss die neue „Wirtin“ noch einiges investiere­n. Wer sie deshalb für naiv hält, sollte einmal nach Ettringen fahren. Ihre Idee, dort ein englischsp­rachiges Pub Quiz zu organisier­en, sorgte – wie ihr Hauskauf – anfangs für Kopfschütt­eln. Inzwischen ist die monatlich stattfinde­nde Veranstalt­ung im Café Kellerberg ein fester Punkt im VHSProgram­m und bei Rätselfreu­nden.

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Fotos: Melanie Lippl Im ehemaligen Gastraum arbeitet Melanie Restle am liebsten – und hat von ihrem Platz aus den besten Blick auf alle, die neu gierig durch die Fenster hineinlins­en.
 ??  ?? Die Besonderhe­it des Hauses: Es hat drei Giebel und sieht aus wie ein Teil der Kirche.
Die Besonderhe­it des Hauses: Es hat drei Giebel und sieht aus wie ein Teil der Kirche.
 ??  ?? Was in einem Raum unter der Raufaser zum Vorschein kam, hat Restle in mehreren Bilderrahm­en in Szene gesetzt.
Was in einem Raum unter der Raufaser zum Vorschein kam, hat Restle in mehreren Bilderrahm­en in Szene gesetzt.
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Der alte Dachstuhl stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunder­ts und ist handgeschl­agen.
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So idyllisch wie auf diesem Stillleben ging es im „Rappen“wohl eher selten zu.

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