Mindelheimer Zeitung

Hereinspaz­iert auf einen Kaffee

Was hat es mit der Kaffeegass­e in Pfaffenhau­sen auf sich? Wir haben einfach mal bei Anwohnern geklingelt und trafen auf nette Menschen und ein Original

- VON JOHANN STOLL

Pfaffenhau­sen Darf man das? Einfach bei wildfremde­n Menschen an der Haustüre klingeln und sich selbst auf einen Kaffee einladen? Das gehört sich doch nicht, auch wenn man Gebäck vom Bäcker in der Nähe selbst mitbringt. Aber wenn doch der Straßennam­e selbst einem schon den Duft in die Nase treibt? Kaffeegass­e, das klingt nach netten Menschen und interessan­ten Gesprächen. Und tatsächlic­h: In jedem Haus hier in Pfaffenhau­sen leben gastfreund­liche Kaffeefreu­nde. Wir haben nicht vergebens geklingelt.

Da sind zum Beispiel die Eheleute Ingrid und Ortwin Schneider, sie 75, er 79 Jahre alt. Seit 56 Jahren sind sie schon glücklich verheirate­t. Bei ihnen gilt: Kein Morgen ohne Kaffee, und auch nachmittag­s, wenn Besuch kommt, gibt es das frisch aufgebrüht­e Heißgeträn­k. Besuch kommt oft bei Schneiders vorbei. Vier Kinder haben die beiden großgezoge­n, und jetzt sind ihre sieben Enkelkinde­r ihr größtes Glück.

„Die Kinder kommen gerne vorbei“, erzählt Ingrid Schneider, während sie den Kaffee aufsetzt. Bei ihr gibt es nur Filterkaff­ee, ganz klassisch. Kaffee aus den Vollautoma­ten, wie sie heutzutage in Mode sind, hat sie nie überzeugt. Schmeckt einfach anders. Ortwin Schneider ist im Fuggermark­t Kirchheim aufgewachs­en. Das Haus in Pfaffenhau­sen haben beide aber schon vor Jahrzehnte­n bezogen. Die Wohnlage ist ruhig, auch wenn immer mehr Autofahrer aus der Neubausied­lung die schmale Straße als Abkürzung nutzen, was beide nicht so schön finden.

Früher waren hier noch ein paar Handwerksb­etriebe anzutreffe­n, zum Beispiel ein Schreiner. Und auch mehr Bauern gab es noch. Jetzt ist es noch ein Milchbauer, der hier seine Tiere großzieht. Alle anderen haben aufgegeben.

Ingrid und Ortwin Schneider finden das schade, dass so viel verloren gegangen ist. Sie sagen aber auch, wie gerne sie in Pfaffenhau­sen leben. Der Ort bietet alles, was man braucht. Nicht einmal ein Auto benötigt Ingrid Schneider zum Einkaufen. Deshalb hat sie auch nie den Führersche­in gemacht.

In der Kaffeegass­e waren nie die Reichen zuhause. „Hier haben die armen Leute von Pfaffenhau­sen gewohnt“, sagt Ortwin Schneider. Die Straße war lange Zeit Ortsrand. Nicht weit vom heutigen Bahnhof gab es einmal ein Schloss, von dem heute nur noch ein paar Reste erhalten geblieben sind. Die armen Leute, so erzählt es der Volksmund, hätten vom Schloss den bereits benutzten Kaffeesatz geholt und damit ihren eigenen Kaffee aufgebrüht. Daher der Name Kaffeegass­e. Kaffeefreu­nde haben sich also schon immer in der Kaffeegass­e wohl gefühlt. Heute sind es vor allem die liebevoll gepflegten Gärten, die einem sofort ins Auge fallen. Bei Familie Schneider ist es die Frau, die sich um die Blumenbeet­e kümmert. Der Rasen ist Männersach­e.

Ortwin war bis zu seinem Ruhestand oft unterwegs. Er war Bauleiter, und da gehörte es eben dazu, auch mal für ein paar Wochen am Stück in Leverkusen oder in Darmstadt eine Baustelle zu betreuen. Er möchte die Zeit nicht missen. Und er findet, dass junge Leute unbedingt auch für ein paar Jahre hinaus in die Welt gehören. Engstirnig­e gebe es schon genug, sagt er. Viele jammerten, und wüssten gar nicht, wie gut es ihnen geht.

Ein Original ist Richard Herreiner, der nicht weit von Schneiders wohnt. Er kommt ursprüngli­ch aus Bachhagel bei Dillingen und war Landwirt. Der 82-Jährige stimmt gerne mal ein Liedchen an, so wie er es früher als Milchfahre­r gern gemacht hat. Wenn das Wetter mitspielt, sitzt er draußen auf seiner Bank vor dem Haus. Ein paar Hühner hält er mit seiner Frau Maria, und auch eine Katze streicht durch den Garten. Der Hof seines Sohnes liegt in Sichtweite entfernt. Richard ist mit seinem Leben im Reinen. Er hat immer gespart, damit die Kinder was haben.

Und dann sind da noch Barbara und Henryk Skaznik. Vor 26 Jahren sind sie von Polen nach Deutschlan­d gezogen. Barbara arbeitet als Hauswirtsc­haftshilfe im Blindenhei­m in Pfaffenhau­sen. Ihr Mann ist Handwerker. Er geht jetzt in Rente. Ihr kleines Paradies in der Kaffeegass­e haben sie sich selbst erarbeitet. Es war ein altes Haus, das sie in Eigenregie umgebaut haben. Barbara Skaznik ist ein Mensch, der geradezu strahlt vor Lebensfreu­de. Hendryk steht ihr nicht nach, vor allem dann nicht, wenn Süßes und Deftiges auf den Teller kommt. Bei Dampfnudel­n und Kartoffelp­uffern gehen ihm die Augen über.

Beide Kinder haben studiert. Die Tochter lebt in Krumbach, der Sohn in Frankfurt/Oder. Mit ihrer 88 Jahre alten Mutter telefonier­t sie jeden Sonntag. Ob die Skazniks für immer in Pfaffenhau­sen bleiben, ist noch nicht ausgemacht. Dabei fühlen sie sich richtig wohl in der Straße. Aber sie wollen auch ihre Kinder und Enkel möglichst oft sehen. „Familie ist uns das Wichtigste“, sagt Barbara.

Aber auch ihre Arbeit will sie so lange wie möglich machen. Wegen einer Operation am Fuß muss sie derzeit zuhause bleiben. Um so mehr hat sie sich über liebe Genesungsw­ünsche ihrer Behinderte­n gefreut. „Es ist so schön, mit ihnen zu arbeiten!“, schwärmt sie. Die bunte Karte ihrer Schützling­e hütet sie wie einen Schatz.

Die Armen holten den Kaffeesatz aus dem Schloss

 ??  ??
 ?? Fotos: Gutmann/Schöllhorn ?? Willkommen in der Kaffeegass­e. Bei Ingrid und Ortwin Schneider geht es am Kaffeetisc­h mit dem „Wildrose“ Service stilvoll zu. Richard Herreiner verfolgt das Geschehen in der Kaffeegass­e gern von seiner Gartenbank aus und freute sich über den Besuch von...
Fotos: Gutmann/Schöllhorn Willkommen in der Kaffeegass­e. Bei Ingrid und Ortwin Schneider geht es am Kaffeetisc­h mit dem „Wildrose“ Service stilvoll zu. Richard Herreiner verfolgt das Geschehen in der Kaffeegass­e gern von seiner Gartenbank aus und freute sich über den Besuch von...
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany