Mindelheimer Zeitung

Das Mädchen für die Balance

Christina Mörstedt ist ein 15-jähriges Mädchen mit Modelmaßen – und einer großen Lust auf Fußball. Deshalb spielt sie mit Ausnahmege­nehmigung bei den älteren Jungs

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Wenn sich die B-Junioren des TSV Mindelheim zum Training treffen, dann ist Christina Mörstedt schon umgezogen. Es ist der einzige Unterschie­d, der zwischen der fußballbeg­eisterten 15-Jährigen und ihren männlichen Mannschaft­skollegen gemacht wird. Im Training und im Spiel gibt es keine Privilegie­n mehr für das Mädchen mit den blonden langen Haaren.

Christina Mörstedt, die sie alle nur Tina nennen, spielt seit der C-Jugend beim TSV Mindelheim – in Bubenmanns­chaften. Das ist an und für sich noch keine Besonderhe­it: In vielen Vereinen spielen Mädchen bis zur C-Jugend bei den Buben mit – in Ermangelun­g einer reinen Mädchenman­nschaft. Umso besonderer ist nun Tina Mörstedts Karriere. Denn sie ist in der neuen Saison eine von bayernweit 116 Mädchen, die per Ausnahmege­nehmigung vom Bayerische­n Fußballver­band (BFV) bei den U 17-Junioren mitspielen dürfen. Und das, obwohl es nur wenige Kilometer weiter eine U 17-Mädchenman­nschaft gibt: den SV Auerbach.

In Auerbach spielte die heute 15-Jährige auch zu Beginn. „In der D-Jugend habe ich in Auerbach angefangen“, sagt Tina Mörstedt. Zwei Jahre später wechselte sie zum TSV Mindelheim – und blieb dort. Vergangene Saison erzielte sie beim C-Jugendspie­l in Dickenreis­hausen ihr erstes Punktspiel­tor für den TSV Mindelheim. „Bei den Jungs ist das Training besser. Es geht alles schneller“, sagt sie. Dass sie deshalb für das Training bereits umgezogen erscheint, sich bei Auswärtssp­ielen schon mal auf der Toilette umziehen muss oder nach dem Training erst daheim duschen kann, nimmt sie in Kauf. Denn: Seitens des BFV gibt es keine Vorgaben, eine gesonderte Frauen- und Mädchenkab­ine bereithalt­en zu müssen. „Das ist in der Praxis bei vielen Vereinen vor Ort nicht realisierb­ar, deshalb sind individuel­le Lösungen gefragt, wie zum Beispiel eine zeitverset­zte Nutzung der Umkleiden, die Nutzung der Schiedsric­hterkabine oder anderer Vereinsräu­mlichkeite­n“, sagt BFVPresses­precher Thomas Müther auf Anfrage.

Auch in der Kabine laufe alles ganz normal ab. Blöde Sprüche von Teamkolleg­en gibt es eh nicht. Im Gegenteil: „Sie hat fußballeri­sch und taktisch den Blick, den die wenigsten meiner Spieler haben“, sagt Trainer Lars Kühn. Sie ist wichtig für die Balance zwischen Ballerober­ung und Angriff. „Während alle oft blind nach vorne rennen, sieht sie normalen Spielaufba­u. Das kommt von ihrer Ausbildung am Stützpunkt. Und deswegen wollte ich sie auch haben“, sagt Kühn. Er sieht die 15-Jährige zwar als Bereicheru­ng an und will sie auch in der kommenden Saison in seinem Team haben. „Das ist mein Plan“, sagt er. Eine Vorzugsbeh­andlung wird ihr aber nicht geschenkt. Auch seitens der Gegner gibt es diese nicht. „Man wird nicht mit Samthandsc­huhen angefasst“, sagt auch Tinas Mutter Kathrin Mörstedt. „Verlieb’ dich nicht in das Mädel, sondern spiel’ Fußball“, habe einmal der Trainer einer gegnerisch­en Mannschaft einem seiner Spieler zugerufen. Tina Mörstedt weiß sich jedenfalls zu behaupten. Auch allein unter Jungs. Allerdings: „Es wäre schon cool, wenn noch ein Mädchen dabei wäre“, sagt sie.

Zu Beginn ihrer Karriere stand Tina Mörstedt noch im Tor, mittlerwei­le spielt sie auf der rechten Mittelfeld­seite. Dennoch besucht sie auch weiter die vereinseig­ene Torwartsch­ule. „Manuel Neuer ist schon so etwas wie mein Vorbild“, sagt sie. Sie kann einfach nicht anders. Wenn es die Möglichkei­t gibt, dem Ball nachzujage­n, dann tut sie es auch. Im Sommer nahm sie am Fußballcam­p von Ex-Profi Uwe Wegmann in Blaichach teil. „Da war ich die Älteste, deshalb war es nicht so anstrengen­d“, sagt sie. Und doch dreht sich in ihrem Leben nicht alles um Fußball. Ski- und Snowboardd­en fahren im Winter, Klettern im Sommer, dazu noch Klavierspi­elen und nicht zuletzt die Armada an kleinen Haustieren versorgen – Fußball ist für Tina Mörstedt ein Hobby. Und wird es auch bleiben. Höhere Ambitionen hegt sie nicht. „Ich will jetzt nicht Profi werden“, sagt die Gymnasiast­in. Dann doch lieber Tierärztin. Und wohin führt ihr Weg, wenn sie für die B-Junioren zu alt ist? Möglicherw­eise sei dann der FC Hawangen eine Option. Hier spielte sie schon am DFB-Stützpunkt und kennt einige Spielerinn­en. Dann könnte sie auch in normaler Kleidung zum Training erscheinen, sich in der Kabine mit den Mannschaft­skolleginn­en umziehen – und über Frauenthem­en austausche­n.

 ?? Foto: Axel Schmidt ?? Im Garten kann Tina Mörstedt nicht nur Tore schießen, sondern auch an ihrer Balance arbeiten.
Foto: Axel Schmidt Im Garten kann Tina Mörstedt nicht nur Tore schießen, sondern auch an ihrer Balance arbeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany