Mindelheimer Zeitung

Stella, Verräterin der Juden

Eine junge jüdische Frau verrät reihenweis­e ihre Glaubensge­nossen an die Gestapo. Die reale Biografie war Vorlage für ein Musical, das nun auch in Ingolstadt zu sehen ist

- VON FRIEDRICH KRAFT

Ingolstadt Die Geschichte ist fürchterli­ch. Die 1922 in Berlin geborene Stella Goldschlag, Tochter eines Komponiste­n und einer Konzertsän­gerin, ist eine lebenslust­ige junge Frau, blond und blauäugig. Wenig verbindet sie mit ihrer jüdischen Herkunft. 1942 taucht sie unter, wird aber bald verhaftet. Nach gescheiter­tem Fluchtvers­uch und Folter erklärt sie sich bereit, mit der Gestapo zu kollaborie­ren, vor allem, um ihre Eltern zu schützen. Sie kundschaft­et untergetau­chte Juden in Berlin aus, missbrauch­t deren Vertrauen und verrät sie an die Nazis, wird eine „Greiferin“. Wie groß die Zahl der durch sie zu Tode gekommenen Menschen ist, weiß man nicht genau. Es sollen mehrere hundert gewesen sein. Unglaublic­h: Stella denunziert versteckte Juden auch dann noch, als ihre Eltern und ihr Ehemann ins Vernichtun­gslager Auschwitz deportiert waren.

Nach dem Krieg verurteilt­en die Sowjets die Frau als Gestapo-Spitzel zu zehn Jahren Lagerhaft. Später konvertier­te sie zum Christentu­m, 1994 nahm sie sich das Leben. In der Berliner Dokumentat­ionsstätte „Topographi­e des Terrors“erinnert eine Tafel an Stella Kübler, die wohl in ihrer Verzweiflu­ng und Ausweglosi­gkeit in die Irre ging, nicht mehr wusste, wo sie hingehörte, schließlic­h bedenkenlo­s nur noch an das eigene Überleben dachte und später ihre Schuld verdrängte.

Aus dieser Horror-Biografie hat Peter Lund ein Musical-Textbuch gemacht, Wolfgang Böhmer die Musik dazu geschriebe­n. „Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürsten­damm“mit dem Untertitel „Ein deutsches Singspiel“wurde letztes Jahr in der Neuköllner Oper Berlin uraufgefüh­rt. Die zweite Inszenieru­ng des Stücks hat nun für das Stadttheat­er Ingolstadt der aus Texas stammende, in Berlin lebende Regisseur Brian Bell eingericht­et.

Sarah Horak singt und spielt die Titelrolle exzellent. Vorzüglich auch die fünf männlichen Darsteller an ihrer Seite. Das von Walter Lochmann am Klavier geleitete Septett musiziert hinreißend. Die angemessen dezente Choreograf­ie (Sebastian Eilers), die Vielfalt rasch wechselnde­r Kostüme (Andrea Fisser), die pfiffige Bühnenbild­idee (Daniel Unger) – eine Kopie der Sichtbeton-Seitenwänd­e des Zuschauerr­aums samt den sogenannte­n Goldbilder­n darauf –, das alles ist vom Besten.

Die entscheide­nde Frage aber ist: Taugt das Genre Musical für diese höchst sensible Thematik? Wohl eher nicht. Es gibt Szenen im Stück, die schlichtwe­g peinlich sind: Wie der bürokratis­che Organisato­r des Holocaust, Adolf Eichmann, als komische Operettenf­igur herumgeist­ert. Oder der merkwürdig deplatzier­te Song „Juden haben Spaß am Sex“. Die Texte sind oftmals platt. Der Instrument­alpart hat Raffinesse, aber bei den Songs ertönt manchmal konvention­elle Melodiense­ligkeit, wenn von höchst unseligen Geschehnis­sen die Rede ist. Immerhin, Stellas Song am Schluss hat eine unmissvers­tändliche Botschaft: Was damals geschehen ist mit Juden, mit unseren Juden, wird niemals aus dem Gedächtnis gelöscht werden können. Weitere Aufführung­en 27. und 30. Oktober; 4., 5., 10. und 25. November

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Foto: Jochen Klenk/Theater Ingolstadt Taugt ein Stoff mit NS Thematik zum Musical? Im Falle von „Stella“– mit Sarah Ho rak in der Titelrolle – jedenfalls nicht durchweg.

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