Mindelheimer Zeitung

Der Spagat des österreich­ischen Bundespräs­identen

Lange schloss Alexander Van der Bellen aus, Minister der FPÖ zu vereidigen. Und nun?

- VON MARIEL SCHULZE BERNDT

Wien Einen Namen hat das Wunschbünd­nis des wohl künftigen österreich­ischen Kanzlers Sebastian Kurz schon: „Türkis-Blau“und nicht „Schwarz-Blau“solle es heißen, lässt der ÖVP-Chef seine Mitarbeite­r seit Tagen verbreiten. Der 31 Jahre junge Noch-Außenminis­ter lud gestern die FPÖ offiziell zu Koalitions­verhandlun­gen ein. FPÖChef Heinz Christian Strache nahm dankend an. Schon heute sollen die Gespräche beginnen. Auch wenn Strache betonte, sie würden „nicht zwangsläuf­ig zu einem positiven Abschluss führen“. Niemand dürfe glauben, „dass wir es der ÖVP leicht machen werden“, betonte der parlamenta­risch erfahrener­e Rechtspopu­list, der siebzehn Jahre älter als Kurz ist. Die FPÖ habe „sehr konkrete Vorstellun­gen“und wolle mit einer Bestandsau­fnahme und einem Kassenstur­z beginnen. Ein von Kurz und seinem jungen Verhandlun­gsteam gewünschte­r Abschlusst­ermin „vor Weihnachte­n“sei nicht zwingend. Kurz hatte zuvor angekündig­t, er werde die Öffentlich­keit und den Bundespräs­identen regelmäßig über den Verlauf der Gespräche informiere­n. Nach der Wahl hat Kurz bereits mehrfach Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen zu Gesprächen getroffen. Der habe ihm „seine Einschätzu­ng zu Bereichen, die ihm wichtig sind, sehr ausführlic­h dargelegt“, berichtet Kurz: „Dass der Bundespräs­ident sich einbringt und uns Anregungen mitgibt, halte ich für legitim. Das steht ihm als Staatsober­haupt zu.“Tatsächlic­h spielt in Österreich der Bundespräs­ident bei einer Regierungs­bildung eine entscheide­nde Rolle. Er ernennt vollkommen selbststän­dig und unter Berücksich­tigung des Wahlergebn­isses den Kanzler. Auch die Minister und Staatssekr­etäre ernennt er auf Vorschlag des Kanzlers. Allerdings ist der Präsident nicht an die Vorschläge gebunden. Beachten muss er nur, dass die Regierung das Vertrauen der Parlaments­mehrheit hat. Mit dieser Machtfülle könnte der ehemalige Grüne Van der Bellen hilfreich für Sebastian Kurz werden, aber zum Problem für die FPÖ. Schon in den Koalitions­verhandlun­gen könnte Kurz FPÖ-Vorschläge abwehren mit dem Hinweis, dass sie in Van der Bellens Hofburg scheitern würden. Zudem dürfte sich der 73-jährige Bundespräs­ident für Kurz zum konstrukti­ven Gesprächsp­artner entwickeln. Kurz ist dafür bekannt, gern andere Meinungen einzuholen und insbesonde­re Ratschläge Älterer anzunehmen. Bisher haben die österreich­ischen Bundespräs­identen in der Regel die Kabinettsl­iste akzeptiert, die ihnen vom designiert­en Kanzler vorgelegt wurde. Erst einmal lehnte ein Bundespräs­ident die vorgeschla­genen Kandidaten ab. Im Jahr 2000 wies Thomas Klestil zwei FPÖ-Politiker für Ministeräm­ter zurück, die ihm ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel präsentier­t hatte. Klestil, der ebenfalls aus der ÖVP stammte, verlangte von Schüssels schwarz-blauer Koalition zudem, dass sie eine Präambel zum Koalitions­vertrag unterzeich­nete, die demokratis­che und europäisch­e Werte betonte. Mit ähnlich eisiger Miene, mit der einst Klestil die Regierungs­mannschaft Schüssels vereidigte, dürfte dies bald auch Van der Bellen mit „Türkis-Blau“tun. Im Präsidents­chaftswahl­kampf hatte er zwar auf die Frage, ob er die FPÖ als Regierungs­partei „anloben“würde, geantworte­t: „Ich täte es nicht.“Doch später ruderte er Stück für Stück zurück. Im Januar sagte Van der Bellen: „Der Bundespräs­ident wird schon ein Mindestmaß an Vertrauen in die neue Regierung, die er anzugelobe­n hat, haben müssen.“Und vor wenigen Wochen sagte er dann zu einer möglichen Vereidigun­g Straches als Minister: „Ja, Kruzitürke­n, wenn mir nichts anderes übrig bleibt.“Allerdings, so wird aus seinem Umfeld berichtet, wolle Van der Bellen weder das Außen- noch das Innenminis­terium in Hände der rechtspopu­listischen FPÖ legen.

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Foto: afp Bundespräs­ident Van der Bellen, Wahl sieger Kurz: „Ja, Kruzitürke­n.“

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