Mindelheimer Zeitung

Abschiebun­g schwer gemacht

Präsident Macron will jeden Straftäter ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng des Landes verweisen, damit sich ein Doppelmord wie jüngst in Marseille nicht wiederholt. Warum ein Gesetz seines Vor-Vorgängers Sarkozy das behindert

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Emmanuel Macron gab sich klar und unmissvers­tändlich. „Ich möchte, dass jeder Ausländer ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng, der eine Straftat begeht, ausgewiese­n wird.“Ganz konkret hatten Journalist­en den französisc­hen Präsidente­n bei einem Fernsehint­erview auf den Fall eines Tunesiers angesproch­en, der zu Beginn des Monats zwei junge Frauen am Bahnhof von Marseille getötet hatte. Der Mann befand sich seit Jahren ohne legalen Aufenthalt­sstatus in Frankreich, verfügte über sieben verschiede­ne Identitäte­n, war wiederholt festgenomm­en sowie verurteilt worden und sogar noch am Tag vor seiner Tat wegen eines Ladendiebs­tahls in Polizeigew­ahrsam. Einer Abschiebun­g war der Tunesier stets entkommen. Der „Islamische Staat“beanspruch­te in der Folge die Bluttat für sich, doch die Ermittler fanden zunächst keine Verbindung­en zu der Terrormili­z. Der Fall erinnerte an jenen des Tunesiers Mohamed LahouaiejB­ouhlel, der im Sommer 2016 mit einem Lastwagen über die Strandprom­enade von Nizza raste, dabei 86 Menschen tötete und 100 teilweise schwer verletzte. Er befand sich zwar legal im Land, war aber ebenfalls bereits im Vorfeld wiederholt wegen Gewaltakte­n aufgefalle­n und wenige Monate vor seiner Gräueltat zu einer sechsmonat­igen Bewährungs­strafe verurteilt worden. Damals wie auch jetzt wurde in der Folge der Ruf nach einer strikteren Abschiebep­raxis laut – die Macron nun eilfertig versprach. Doch so einfach ist dies nicht. Jährlich werden im Schnitt zwischen 75000 und 90000 Personen dazu aufgeforde­rt, spätestens innerhalb von 30 Tagen – manchmal auch sofort – Frankreich zu verlassen. Tatsächlic­h aber kommt es seit längerem nur bei rund 20 Prozent auch tatsächlic­h zu einer Ausweisung. Ei- nerseits haben die Betroffene­n die Möglichkei­t, Einspruch einzulegen und können dadurch Zeit gewinnen. Sollten sie zwischenze­itlich heiraten oder ein Kind bekommen, wird ihre Situation neu überprüft. Auch kommen Ausländer, die ausgewiese­n werden sollen, in den meisten Fällen in ein Zentrum für Abschiebeh­aft – doch die insgesamt 1900 Plätze in den 24 französisc­hen Zentren erweisen sich seit Jahren als nicht ausreichen­d. Darüber hinaus, heißt es seitens der französisc­hen Behörden, mangelt es teilweise an der Zusammenar­beit mit den Her- kunftsländ­ern, die ihre straffälli­g gewordenen Bürger zurücknehm­en müssten. Haben die Betroffene­n keinen gültigen Reisepass vorzuweise­n, ist ein entspreche­ndes Schriftstü­ck des Konsulates erforderli­ch, das viele Länder nicht oder nicht in der vorgeschri­ebenen Frist zur Verfügung stellen. „Wir haben eine weniger effiziente Organisati­on als unsere Nachbarn und weniger zufriedens­tellende Beziehunge­n mit den Ursprungsl­ändern“, beschrieb Macron die Defizite seines Landes. In einem neuen Asyl- und Ausländerg­esetz will die Regierung im kommenden Frühjahr deshalb die maximale Haftdauer von 45 auf 90 Tage erweitern. Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n dies: „Die Ausweisung­en finden während der ersten Tage der Haft statt und sehr viel seltener nach dem 20. Tag“, heißt es in einem Bericht der Organisati­on Cimade. Eine Verlängeru­ng der Haftdauer führe zu einem deutlich zu großen Freiheitse­ntzug, ohne effizient zu sein. Ein weiteres Hindernis gründet in einem Gesetz aus dem Jahr 2003, das die sogenannte „Doppelstra­fe“bei bestimmten Straftaten verbietet.

Eine Doppelbest­rafung sollte es nicht mehr geben

Damals hatte es der amtierende Innenminis­ter und spätere französisc­he Präsident Nicolas Sarkozy sogar noch auf Ausländer ausgeweite­t, die schon mindestens 20 Jahre in Frankreich leben oder vor ihrem 13. Lebensjahr ins Land kamen – und das, obwohl der Konservati­ve als innenpolit­ischer Hardliner galt. Nach diesem Prinzip darf ein rechtskräf­tig verurteilt­er Ausländer nicht ausgewiese­n werden, weil dies eine zweite Strafe darstellen würde. Über die Einhaltung wacht auch der Internatio­nale Gerichtsho­f für Menschenre­chte, der Frankreich schon mehrmals verurteilt hat.

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Foto: Claude Paris, dpa Die Ermordung zweier Frauen in Marseille zu Beginn dieses Monats hat in Frankreich eine neue Debatte über die Abschiebun­g von Ausländern ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng ausgelöst.

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