Mindelheimer Zeitung

Wird er heute endlich aus der Haft entlassen?

In Istanbul beginnt der Prozess gegen den Berliner Peter Steudtner. Absurde Vorwürfe brachten ihn ins Gefängnis

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Er spielt Schach mit seinen Zellengeno­ssen, hält sich mit Yoga fit und singt abends Lieder, von denen er weiß, dass sie zur selben Zeit von seiner Kirchengem­einde in Berlin bei Andachten für ihn gesungen werden: Seit Juli sitzt der deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner in der Türkei in Untersuchu­ngshaft. Am heutigen Mittwoch beginnt der Strafproze­ss gegen ihn und andere Beschuldig­te, darunter Vertreter von Amnesty Internatio­nal. Die Bundesregi­erung hofft auf eine rasche Freilassun­g des 45-Jährigen – eine Fortsetzun­g der Untersuchu­ngshaft wäre dagegen eine neue Belastung für die türkisch-deutschen Beziehunge­n. Für das Verfahren wird Steudtner zum ersten Mal seit seiner Inhaftie- rung das Gefängnis Silivri westlich von Istanbul verlassen, wo kürzlich der Prozess gegen die Neu-Ulmerin Mesale Tolu begonnen hat: Mit anderen Häftlingen wird er zum rund 80 Kilometer entfernten Justizpala­st im Stadtteil Caglayan gebracht. Dort wird die 35. Kammer des Istanbuler Schwurgeri­chts den Fall der Menschenre­chtler verhandeln. Von den insgesamt elf Angeklagte­n, darunter Idil Eser, die TürkeiChef­in von Amnesty Internatio­nal, sitzen acht in Untersuchu­ngshaft. Ihnen drohen jeweils fünf bis zehn Jahre Haft. Die Staatsanwa­ltschaft hält Steudtner und die anderen Beschuldig­ten für staatsfein­dliche Verschwöre­r. In der teils absurd anmutenden Anklagesch­rift wird ihnen vorgeworfe­n, bei einem Workshop auf der vor Istanbul liegenden Insel Büyükada Anfang Juli für das Netzwerk des islamische­n Predigers Fethullah Gülen intrigiert zu haben und gleichzeit­ig die kurdische Terrorgrup­pe PKK und die linksextre­me Organisati­on DHKP-C unterstütz­t zu haben. Als Beweismitt­el für die abenteuerl­ichen Thesen führt die Staatsanwa­ltschaft unter anderem eine Karte aus einem Sprachatla­s des Nahen Ostens an, die zeigen soll, dass die Seminartei­lnehmer die Aufspaltun­g der Türkei anstrebten. Anders als bei vielen anderen Verfahren gegen angebliche Staatsfein­de im Zuge der Festnahmew­elle gegen mehr als 150000 Menschen seit dem Putschvers­uch des vergangene­n Jahres gibt es im Fall Steudtner die Hoffnung auf eine baldige Freilassun­g. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu hatte sich angesichts der Spannungen, die Steudtners Inhaftieru­ng zwischen der Türkei und Deutschlan­d ausgelöst hat, persönlich für ein schnelles Verfahren eingesetzt. Immerhin kommt Steudtner schon knapp vier Monate nach seiner Festnahme vor den Richter; der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel dagegen sitzt seit Februar in Haft, ohne dass es bisher eine Anklagesch­rift gegen ihn gibt. Steudtners Anwalt Murat Deha Boduroglu und andere Verfahrens­beteiligte hoffen darauf, dass der Berliner vielleicht schon bei Prozesserö­ffnung aus der Untersuchu­ngshaft entlassen wird. Um bei der türkischen Seite den Eindruck zu vermeiden, das Verfahren solle politisier­t werden, verzichtet die Bundesregi­erung darauf, den Prozess von hochrangig­en Diplomaten beobachten zu lassen. Ob das Steudtner hilft, ist nicht sicher. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich hat mit einer öffentlich­en Vorverurte­ilung der angeklagte­n Menschenre­chtler dem Istanbuler Gericht eine klare Botschaft geschickt: Kurz nach der Festnahme der Menschenre­chtler warf Erdogan den Teilnehmer­n des Workshops auf Büyükada vor, sie hätten einen neuen Putschvers­uch vorbereite­n wollen.

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Foto: dpa Peter Steudtner

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