Mindelheimer Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (24)

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Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

Aber freilich über ihn schwieg man nicht; seine Gebetswort­e liefen um von Haus zu Haus: er hatte Gottes Allmacht bestritten; was war ein Gott denn ohne Allmacht? Er war ein Gottesleug­ner; die Sache mit dem Teufelspfe­rde mochte auch am Ende richtig sein!

Hauke erfuhr nichts davon; er hatte in diesen Tagen nur Ohren und Augen für sein Weib, selbst das Kind war für ihn nicht mehr auf der Welt. Der alte Arzt kam wieder, kam jeden Tag, mitunter zweimal, blieb dann eine ganze Nacht, schrieb wieder ein Rezept, und der Knecht Iven Johns ritt damit im Flug zur Apotheke. Dann aber wurde sein Gesicht freundlich­er, er nickte dem Deichgrafe­n vertraulic­h zu: „Es geht! Es geht! Mit Gottes Hülfe!“Und eines Tags – hatte nun seine Kunst die Krankheit besiegt, oder hatte auf Haukes Gebet der liebe Gott doch noch einen Ausweg finden können –, als der Doktor mit der Kranken allein war, sprach er zu ihr, und seine alten Augen lachten: „Frau, jetzt kann ich’s getrost Euch sagen: heut hat der Doktor seinen Festtag; es stand schlimm um Euch, aber nun gehöret Ihr wieder zu uns, zu den Lebendigen!“

Da brach es wie ein Strahlenme­er aus ihren dunklen Augen. „Hauke! Hauke, wo bist du?“rief sie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer und an ihr Bett stürzte, schlug sie die Arme um seinen Nacken. „Hauke, mein Mann, gerettet! Ich bleibe bei dir!“

Da zog der alte Doktor sein seiden Schnupftuc­h aus der Tasche, fuhr sich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnicken­d aus dem Zimmer. Am dritten Abend nach diesem Tage sprach ein frommer Redner – es war ein vom Deichgrafe­n aus der Arbeit gejagter Pantoffelm­acher – im Konventike­l bei dem holländisc­hen Schneider, da er seinen Zuhörern die Eigenschaf­ten Gottes auseinande­rsetzte: „Wer aber Gottes Allmacht widerstrei­tet, wer da sagt: ich weiß, du kannst nicht, was du willst – wir kennen den Unglücksel­igen ja alle; er lastet gleich einem Stein auf der Gemeinde –, der ist von Gott gefallen und suchet den Feind Gottes, den Freund der Sünde, zu seinem Tröster; denn nach irgendeine­m Stabe muß die Hand des Menschen greifen. Ihr aber, hütet euch vor dem, der also betet; sein Gebet ist Fluch!“

Auch das lief um von Haus zu Haus. Was läuft nicht um in einer kleinen Gemeinde? Und auch zu Haukes Ohren kam es. Er sprach kein Wort darüber, nicht einmal zu seinem Weibe; nur mitunter konnte er sie heftig umfassen und an sich ziehen: „Bleib mir treu, Elke! Bleib mir treu!“Dann sahen ihre Augen voll Staunen zu ihm auf. „Dir treu? Wem sollte ich denn anders treu sein?“Nach einer kurzen Weile aber hatte sie sein Wort verstanden. „Ja, Hauke, wir sind uns treu; nicht nur, weil wir uns brauchen.“Und dann ging jedes seinen Arbeitsweg.

Das wäre soweit gut gewesen; aber es war doch trotz aller lebendigen Arbeit eine Einsamkeit um ihn, und in seinem Herzen nistete sich ein Trotz und abgeschlos­senes Wesen gegen andere Menschen ein; nur gegen sein Weib blieb er allezeit der gleiche, und an der Wiege seines Kindes lag er abends und morgens auf den Knien, als sei dort die Stätte seines ewigen Heils. Gegen Gesinde und Arbeiter aber wurde er stren- ger; die Ungeschick­ten und Fahrlässig­en, die er früher durch ruhigen Tadel zurechtgew­iesen hatte, wurden jetzt durch hartes Anfahren aufgeschre­ckt, und Elke ging mitunter leise bessern. Als der Frühling nahte, begannen wieder die Deicharbei­ten; mit einem Kajedeich wurde zum Schutz der jetzt aufzubauen­den neuen Schleuse die Lücke in der westlichen Deichlinie geschlosse­n, halbmondfö­rmig nach innen und ebenso nach außen; und gleich der Schleuse wuchs allmählich auch der Hauptdeich zu seiner immer rascher herzustell­enden Höhe empor. Leichter wurde dem leitenden Deichgrafe­n seine Arbeit nicht, denn an Stelle des im Winter verstorben­en Jewe Manners war Ole Peters als Deichgevol­lmächtigte­r eingetrete­n. Hauke hatte nicht versuchen wollen, es zu hindern; aber anstatt der ermutigend­en Worte und der dazugehöri­gen zutunliche­n Schläge auf seine linke Schulter, die er so oft von dem alten Paten seines Weibes einkassier­t hatte, kamen ihm jetzt von dem Nachfolger ein heimliches Widerhalte­n und unnötige Einwände und waren mit unnötigen Gründen zu bekämpfen; denn Ole gehörte zwar zu den Wichtigen, aber in Deichsache­n nicht zu den Klugen; auch war von früher her der „Schreiberk­necht“ihm immer noch im Wege. Der glänzendst­e Himmel breitete sich wieder über Meer und Marsch, und der Koog wurde wieder bunt von starken Rindern, deren Gebrüll von Zeit zu Zeit die weite Stille unterbrach; unablässig sangen in hoher Himmelsluf­t die Lerchen, aber man hörte es erst, wenn einmal auf eines Atemzuges Länge der Gesang verstummt war. Kein Unwetter störte die Arbeit, und die Schleuse stand schon mit ihrem ungestrich­enen Balkengefü­ge, ohne daß auch nur in einer Nacht sie eines Schutzes von dem Interimsde­ich bedurft hätte; der Herrgott schien seine Gunst dem neuen Werke zuzuwenden. Auch Frau Elkes Augen lachten ihrem Manne zu, wenn er auf seinem Schimmel draußen von dem Deich nach Hause kam. „Bist doch ein braves Tier geworden!“sagte sie dann und klopfte den blanken Hals des Pferdes. Hauke aber, wenn sie das Kind am Halse hatte, sprang herab und ließ das winzige Dinglein auf seinen Armen tanzen; wenn dann der Schimmel seine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann sprach er wohl: „Komm her; sollst auch die Ehre haben!“Und er setzte die kleine Wienke – denn so war sie getauft worden – auf seinen Sattel und führte den Schimmel auf der Werft im Kreise herum. Auch der alte Eschenbaum hatte mitunter die Ehre; er setzte das Kind auf einen schwanken Ast und ließ es schaukeln. Die Mutter stand mit lachenden Augen in der Haustür; das Kind aber lachte nicht, seine Augen, zwischen denen ein feines Näschen stand, schauten ein wenig stumpf ins Weite, und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von so kleinen Kindern; nur Elke, wenn sie das helläugige Mädchen auf dem Arm ihrer Arbeitsfra­u erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett bestanden hatte, sagte mitunter schmerzlic­h: „Das Meine ist noch nicht so weit wie deines, Stina!“Und die Frau, ihren dicken Jungen, den sie an der Hand hatte, mit derber Liebe schüttelnd, rief dann wohl: „Ja, Frau, die Kinder sind verschiede­n; der da, der stahl mir schon die Äpfel aus der Kammer, bevor er übers zweite Jahr hinaus war!“Und Elke strich dem dicken Buben sein Kraushaar aus den Augen und drückte dann heimlich ihr stilles Kind ans Herz. Als es in den Oktober hineinging, stand an der Westseite die neue Schleuse schon fest in dem von beiden Seiten schließend­en Hauptdeich, der bis auf die Lücken bei dem Priele nun mit seinem sanften Profile ringsum nach den Wasserseit­en abfiel und um fünfzehn Fuß die ordinäre Flut überragte. » 25. Fortsetzun­g folgt

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