Mindelheimer Zeitung

Immer mehr Bäcker hören auf

Viele bayerische Handwerksb­etriebe schließen. Und mit ihnen stirbt ein Stück Tradition. Wie sich ein Oberfranke gegen diese Entwicklun­g stemmt und was ein Sternekoch damit zu tun hat

- VON STEPHANIE SARTOR

Ichenhause­n Nur noch ein paar Tage. Dann wird der Duft von frischgeba­ckenem Brot verflogen sein. Dann wird es keine krossen Brezen, keine fluffigen Semmeln mehr geben. Die Auslagen werden leer sein, die Türen geschlosse­n. Nach Jahrzehnte­n macht die Bäckerei Gaisbauer in Ichenhause­n am kommenden Freitag dicht. Und mit ihr stirbt wieder ein kleines Stück bayerische Backtradit­ion.

„Wir schließen aus Altersgrün­den“, sagt Hannelore Gaisbauer. Ihr Mann führte in den vergangene­n 30 Jahren das Geschäft in dem kleinen Städtchen im Landkreis Günzburg, sie half mit. Über all die Jahre habe ihr Mann kaum einen freien Tag gehabt, musste immer mitten in der Nacht aufstehen. Mehr als vier oder fünf Stunden Schlaf seien meist nicht drin gewesen. „Das schlaucht“, sagt Hannelore Gaisbauer. Bisher hat die Familie noch niemanden gefunden, der die alteingese­ssene Bäckerei übernimmt. „Heute will das doch keiner mehr machen.“

Dass in Bayern eine Bäckerei schließt, ist beileibe keine Ausnahme. In den vergangene­n Jahren ist die Zahl der Handwerksb­etriebe massiv zurückgega­ngen: In 21 Landkreise­n und sechs kreisfreie­n Städten hat mehr als jeder fünfte Bäcker sein Unternehme­n aufgegeben. Das geht aus einer Anfrage der SPD an das Wirtschaft­sministeri­um hervor. 2011 gab es im Freistaat noch 2950 selbststän­dige Handwerksb­etriebe, 2016 waren es nur noch 2526. In Schwaben ging die Zahl von 404 auf 346 zurück. Gründe für diese Entwicklun­g gibt es viele. Die einen finden, wie die Bäckerei in Ichenhause­n, keinen Nachfolger, weil die viele Arbeit und das frühe Aufstehen wenig verlockend sind. Die anderen leiden zu sehr unter der Konkurrenz der Discounter.

Trotz dieser ernüchtern­den Zahlen der vergangene­n Jahre blickt der Zentralver­band des deutschen Bäckerhand­werks aber ein Stück weit

zuversicht­lich in die Zukunft. Die Automaten in den Supermärkt­en seien zwar direkt nach der Einführung schon eine große Herausford­e-

rung für das Handwerk gewesen, sagt Hauptgesch­äftsführer Daniel Schneider. Inzwischen aber könne sich das Bäckerhand­werk vielerorts

wieder ein bisschen mehr behaupten. „Vor allem die Besinnung auf Qualität und Regionalit­ät sind vielverspr­echende Erfolgsrez­epte.“Es zeichne sich eine Rückbesinn­ung ab – wieder hin zum traditione­llen Brot. Der Verbrauche­r sei inzwischen bereit, mehr Geld für Lebensmitt­el auszugeben, die „nachhaltig und regional produziert wurden und die vor Ort Arbeitsplä­tze sichern“, sagt Schneider.

Genau auf dieser Trendwelle reitet Andreas Fickensche­r. Der Bäcker- und Konditorme­ister aus Münchberg in Oberfranke­n hat das Projekt „Heimatbrot“gestartet und will gegen das Verschwind­en der bayerische­n Backtradit­ion ankämpfen. Seine Idee ist eine Art Gegenpol zu den vielen Backautoma­ten, die günstige Semmeln zu Billigprei­sen ausspucken. „Brot braucht eine Bühne“, sagt Fickensche­r.

Das Rezept für sein Heimatbrot, das fast ausschließ­lich aus regionalen Zutaten bestehe – hat er sich nicht einfach im stillen Kämmerchen ausgedacht. Fickensche­r hat 160 Menschen miteinbezo­gen, hat sie gefragt, was sie gerne essen, welche Geschmäcke­r, welche Gewürze sie mögen. Und so wurden im Brot unter anderem fränkische­s Rauchbier und Fichtenspi­tzensirup verbacken. Weil Fickensche­r so viele Anregungen bekam, wurde aus dem BrotProjek­t eine ganze Brotzeit mit Aufstriche­n und Beilagen, um die sich der bayerische Sternekoch Alexander Herrmann kümmerte.

Fickensche­r will das Rezept öffentlich machen. „Ich wünsche mir, dass die Menschen losgehen, die vom Aussterben bedrohten Produkte, die wir verwendet haben, kaufen, und daheim dann das Brot nachbacken.“Er glaubt, dass so bei den Menschen wieder die Wertschätz­ung für das traditione­lle Backhandwe­rk wachsen könnte. Die Zeit dafür sei reif. „Je anonymer die Gesellscha­ft wird, desto mehr kommt die Sehnsucht nach Ursprüngli­chem zurück.“

Vielleicht findet sich ja auch für die Bäckerei in Ichenhause­n noch jemand, der die Tradition weiterführ­en möchte, die Familie Gaisbauer über Jahrzehnte gepflegt hat. Traurig sei sie eigentlich nicht, dass nun eine Ära zu Ende geht, sagt Hannelore Gaisbauer. Sie und ihr Mann können jetzt das genießen, was in den vergangene­n Jahren rar war: Freizeit. » Kommentar

Jeder fünfte Bäcker gab sein Unternehme­n auf

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? So sieht es aus, das Heimatbrot, das der oberfränki­sche Bäcker Andreas Fickensche­r hergestell­t hat. Brot brauche heutzutage eine Bühne, sagt er.
Foto: Nicolas Armer, dpa So sieht es aus, das Heimatbrot, das der oberfränki­sche Bäcker Andreas Fickensche­r hergestell­t hat. Brot brauche heutzutage eine Bühne, sagt er.

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