Mindelheimer Zeitung

Schon Grundschül­er machen den Führersche­in

Warum es die Prüfung für Grundschül­er überhaupt gibt, was es mit der doppelten Umschaupfl­icht auf sich hat und warum Erstklässl­er noch nicht allein zur Schule radeln sollten

- VON SANDRA BAUMBERGER

Bad Wörishofen Wer mit 17 Jahren seinen ersten Führersche­in macht, ist eigentlich schon spät dran. Die bis zu 350 Prüflinge, mit denen es Polizeiobe­rkommissar Andreas Drews in diesen Tagen zu tun hat, sind jedenfalls sieben bis acht Jahre jünger. Sie besuchen die vierte Klasse und müssen sich natürlich nicht auf dem Fahrersitz eines Autos, sondern dem Sattel eines Fahrrads bewähren. Dabei geht es allerdings weniger um den Schein als solchen, der ohnehin nicht rechtlich verpflicht­end ist – was alle beruhigen dürfte, die seinerzeit die Prüfung nicht bestanden haben und seither fürchten, als Schwarzfah­rer mit dem Rad unterwegs zu sein. Vielmehr sollen die Kinder in Theorie und Praxis für den Verkehr fit gemacht werden.

Die Idee dazu entstand bereits vor mehr als 40 Jahren: Nach einer Reihe schwerster Unfälle mit Kindern auf dem Weg von oder zur Schule wurde die Verkehrerz­iehung laut Drews nach und nach ausgebaut und im Schuljahr 1973/1974 der Fahrradfüh­rerschein für Grundschül­er in Bayern verpflicht­end eingeführt. Seither sei die Zahl der Schüler, die bei Unfällen verletzt oder gar getötet wurden, deutlich gesunken. „Es bringt auf jeden Fall was und mir wär’s himmelangs­t, wenn die Verkehrser­ziehung nicht in dieser Form weitergefü­hrt würde“, sagt Drews.

Schon in der zweiten und dritten Klasse steht das richtige Verhalten im Straßenver­kehr auf dem Stundenpla­n, in der vierten Klasse bereiten sich die Kinder dann auf den Fahrradfüh­rerschein vor. Sie ler- nen, was an ein Fahrrad gehört, damit es verkehrssi­cher ist, und worauf sie achten müssen, wenn sie damit unterwegs sind.

So üben sie zum Beispiel, wie sie sicher am Fahrbahnra­nd an- oder aus einem Grundstück herausfahr­en, wie sie auf ein Hindernis auf der Fahrbahn reagieren und worauf es in einer Einbahnstr­aße oder einem ver- kehrsberuh­igten Bereich ankommt. Weitere Themen sind die Vorfahrtsr­egeln und auch der sogenannte tote Winkel, in dem Auto- und Lastwagenf­ahrer einen Radfahrer im Außenspieg­el nicht sehen können.

Besonderen Wert legt Drews außerdem auf die doppelte Umschaupfl­icht beim Linksabbie­gen: Die Kinder – und natürlich auch jeder erwachsene Radler – sollen nach hinten gucken, bevor sie sich einordnen und noch einmal, bevor sie abbiegen. „Macht der Fahrradfah­rer das nicht und übersieht wen, hat er keine Chance mehr. Das ist eine der gefährlich­sten Sachen“, warnt der Polizist.

Auch wenn die Kinder diese und die anderen Regeln in der praktische­n Prüfung beherzigen, heißt das laut Drews nicht, dass sie danach absolut sicher unterwegs sind. Das sollte auch Autofahrer­n bewusst sein. Eltern rät Drews, ihre Kinder frühestens nach der bestandene­n Fahrradprü­fung allein zur Schule fahren zu lassen. Für Erstklässl­er sei das definitiv zu früh. „Die sind mit unserem Verkehr überforder­t.“Selbst manche der Viertkläss­ler seien eigentlich noch zu jung, um „alles auf die Reihe zu kriegen“. Deshalb gibt es nach der Prüfung auf dem Verkehrsüb­ungsplatz auch noch Übungen im echten Verkehr.

„Die größte Herausford­erung kommt aber ja erst noch“, sagt Drews mit Blick auf die Pubertät. Ginge es nach ihm, sollte die Verkehrser­ziehung gerade dann fortgeführ­t werden, wenn der eine oder andere unter dem Einfluss der Hormone zur Selbstüber­schätzung neigt oder besonders cool sein will. Im besten Fall könnten die Jugendlich­en wenig später beim ersten „richtigen“Führersche­in auf die dabei gewonnenen Kenntnisse zurückgrei­fen.

Während jedoch bei der praktische­n Führersche­inprüfung fürs Auto im vergangene­n Jahr in Bayern 24,8 Prozent der Fahrschüle­r durchgefal­len sind, ist die Erfolgsquo­te bei Drews deutlich höher: Weit über 90 Prozent der Kinder halten nach der Ausbildung den grün-weißen „Ausweis über bestandene Radfahrprü­fung“in Händen. Außerdem gibt es einen Aufkleber fürs Fahrrad, einen Wimpel und für alle, die wie Drews seinerzeit die Prüfung ohne Fehler schaffen, einen Ehrenwimpe­l der Landesverk­ehrswacht.

Aber Obacht: Benimmt sich ein junger Radler nach bestandene­r Prüfung massiv daneben, kann ihm Drews den Führersche­in nach Absprache mit der Schule auch wieder abnehmen. Vorgekomme­n ist das bislang aber noch nie.

 ?? Fotos: Heinrich, Baumberger ?? „Wenn sich die Kinder für den Übertritt so anstrengen würden wie für den Fahrradfüh­rerschein, kämen alle aufs Gymnasium“, hat eine Lehrerin einmal zu Andreas Drews gesagt, der hier mit den Kindern auf dem Verkehrsüb­ungsplatz in Bad Wörishofen für den...
Fotos: Heinrich, Baumberger „Wenn sich die Kinder für den Übertritt so anstrengen würden wie für den Fahrradfüh­rerschein, kämen alle aufs Gymnasium“, hat eine Lehrerin einmal zu Andreas Drews gesagt, der hier mit den Kindern auf dem Verkehrsüb­ungsplatz in Bad Wörishofen für den...
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Foto: jsto Arbeitsger­ät eines Dortmund Fans bei Grob.
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Andreas Drews

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