Was Gläubige wünschen
Martin Luther schlug angeblich 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg. Doch was wünschen sich die Gläubigen heute?
Welche Thesen würden Christen heute formulieren? Zum Reformationsjubiläum äußern Gläubige aus dem Unterallgäu ihre Wünsche zum Thema Kirche.
Mindelheim Es ist der angebliche Thesenanschlag Martin Luthers an der Kirchentür in Wittenberg, der sich am 31. Oktober zum 500. Mal jährt – und der den Bundesbürgern in diesem Jahr einen Feiertag mehr beschert. Luthers Hauptkritik richtete sich dabei gegen den Ablasshandel der Kirche, der ihm ein Dorn im Auge war. Und auch vieles andere lief seiner Meinung nach in der Institution Kirche falsch. Doch welche Anliegen und Wünsche haben katholische und evangelische Gläubige heute an ihre Kirchen? Welche Thesen würden sie an die Kirchentür schlagen? Die hat mit sechs Engagierten gesprochen und sie um ihre persönliche These gebeten.
Kulturamtsleiter Christian Schedler würden auf diese Frage eigentlich auch 95 Thesen einfallen. Aus dem Bauch heraus fände er es aber am Dringlichsten, dass sich die Kirche nicht immer hinter Rechtsnormen versteckt. Im Zweifel sei der Glaube für den Menschen da und nicht dazu, um zu argumentieren, warum bestimmte Dinge nicht möglich seien. Zum Beispiel, warum man Geschiedenen die Kommunion verweigere. Da heiße es dann immer: „Das geht nicht, weil ...“Das ärgere ihn. Die Bibel sei nicht dazu da, juristische Vorgehensweisen abzuleiten, sondern vom Leben Jesu zu erzählen, und der sagte: „Lasst alle zu mir kommen.“
Diakon Hubertus Hess will eigentlich keine Thesen an Kirchentüren schlagen, sondern sucht viel lieber das Gespräch zu seinen Mitmenschen. Aber auch ihm stoße sauer auf, dass sich die Kirche oft nicht auf ihren lebendigen Ursprung besinne: die Verbindung mit Jesus Christus. Die Kirche sei jederzeit reformbedürftig, doch die Selbsterneuerung und Ökumene fange bei der Basis an, bei jedem einzelnen von uns.
Schwester Christine Stark wünscht sich ebenfalls, dass die Kirche mehr auf die Menschen zugeht. Institutionen seien immer schwierig, damit könnten viele nichts anfangen. Man müsse seinen Mitmenschen mit Liebe und Barmherzigkeit begegnen und ihnen vermitteln, dass Glaube manchmal eben kein Zuckerschlecken ist, dann würde einiges in der Kirche und im Zusammenleben besser funktionieren, denkt sie.
Barbara Audebert sieht das ähnlich, sie begleitet schon seit frühester Jugend der folgende Satz: „Herr erneuere deine Kirche und fange bei mir an.“Und das heiße für sie, nicht auf die Erneuerung durch andere zu hoffen, sondern selbst für die Menschen da zu sein. Außerdem wünscht sie sich für die Zukunft, dass das Amt des Priesters an die geistliche Berufung und nicht an das Geschlecht gebunden sei.
Fabian Severin ist sehr engagiert in der Jugendarbeit in der Johanneskirche. Er hat zwar das Gefühl, dass es in Mindelheim gute Angebote für seine Altersgruppe gibt, glaubt aber, dass das eine positive Ausnahme ist. Er wünscht sich deshalb mehr Angebote für Jugendliche, und damit meine er nicht nur spezielle Jugendgottesdienste. Er ist überzeugter Protestant und froh darüber, dass manche der Dinge, die in der katholischen Kirche noch Tradition haben, in der evangelischen Kirche nicht mehr praktiziert werden. Auch der Papstkult zum Beispiel oder der Zölibat irritieren ihn.
Rainer Wirth wünscht sich, dass mehr Gläubige sagen, was sie wirklich denken. Man solle in der Kirche frei seine Meinung äußern, stattdessen wäre ihm dort oftmals zu viel Friede, Freude Eierkuchen. Luthers Spruch „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf“könne man wörtlich nehmen. Man müsse nicht immer alles so nachplappern, wie man denke, dass es der Zeitgeist gerne haben wolle.