Mindelheimer Zeitung

Endlich wieder mobil

Vier Jahre musste Axel Schuster aus Mindelheim um einen Elektrorol­lstuhl und einen Umbau für sein Auto kämpfen. Er glaubt, dass die Behörde auf Zeit spielen wollte – wohlwissen­d, dass die gegen ihn läuft

- VON SANDRA BAUMBERGER

Mindelheim Wenn man ein neues Auto kauft, sind Wartezeite­n von mehreren Wochen bis zu zehn Monaten nicht ungewöhnli­ch. Axel Schuster aus Mindelheim musste sich jedoch ganze vier Jahre gedulden. Das Auto an sich war dabei das kleinste Problem. Das erheblich größere war der Umbau, der es ihm erst ermöglicht, damit zu fahren. Denn der 49-Jährige leidet an einer langsam fortschrei­tenden Muskelerkr­ankung, die ihn immer weiter einschränk­t. Schon seit 24 Jahren ist er auf einen Rollstuhl angewiesen – und auf ein entspreche­nd umgebautes Auto, um damit zur Arbeit zu kommen.

Weil sich seine Krankheit verschlech­tert hatte und er längere Strecken auf dem weitläufig­en Betriebsge­lände nicht mehr aus eigener Kraft zurücklege­n konnte, beantragte der technische Zeichner deshalb vor vier Jahren bei der Deutschen Rentenvers­icherung (DRV) einen Elektrorol­lstuhl. Dieser sollte zugleich als Fahrersitz für ein entspreche­nd umgebautes Auto dienen. Der Kostenvora­nschlag für den Rollstuhl und den Umbau – das Auto muss er wie jeder andere selbst bezahlen – belief sich auf mehr als 130 000 Euro. Das war zwar deutlich mehr als bei einem früheren Umbau, doch Axel Schuster war zuversicht­lich: Immerhin erfüllte er alle rechtliche­n Bedingunge­n, arbeitete Vollzeit und zahlte seit Jahren in die Rentenvers­icherung ein. Doch so einfach war das alles nicht.

Der Ärger begann damit, dass Axel Schuster über ein halbes Jahr keine Antwort auf seinen Antrag erhielt. Danach wurde ihm mitgeteilt, dass die DRV nur die Beförderun­gskosten eines Fahrdienst­es übernehmen könne, weil sich die Arbeitsage­ntur Memmingen geweigert habe, ein erforderli­ches Gutachten auszustell­en. Ein Fahrdienst war für den 49-Jährigen jedoch keine Option: Das örtliche Taxiuntern­ehmen verfügte nicht über ein Fahrzeug, in das er mit dem Rollstuhl einfach hätte hineingesc­hoben werden können und auch das Angebot eines Busunterne­hmens kam letztlich nicht infrage: Es wäre mit seinen unregelmäß­igen Arbeitszei­ten und seiner Tätigkeit als Betriebsra­t nicht zu vereinbare­n gewesen, von privaten Unternehmu­ngen nach 18 Uhr ganz zu schweigen. Dabei sieht der Gesetzgebe­r auch die Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben durchaus vor. „So ein Fahrdienst ist eine reine Notlösung. Ein normales Soziallebe­n ist damit nicht möglich“, sagt Axel Schuster. „Damit hätte ich ja weniger Freiraum als ein Freigänger im Gefängnis.“

Die DRV jedoch beharrte darauf, dass die beantragte Kfz-Hilfe aus wirtschaft­lichen Gründen nicht in Betracht komme. Denn auf fünf Jahre gerechnet sei der Fahrdienst erheblich günstiger. Dass Axel Schuster vorhat, noch deutlich länger als diese fünf Jahre zu arbeiten, spielte dabei keine Rolle. Stattdesse­n verwies die DRV darauf, dass – da es sich um eine fortschrei­tende Erkrankung handelt – überhaupt nicht absehbar sei, wie lange Axel noch selbst Autofahren könne. „Stimmt“, sagt der. Aber wenn die Krankheit im bisherigen Tempo voranschre­ite, könne das noch sehr lange der Fall sein. „Außerdem könnte mit dieser Argumentat­ion jedem Schwerstbe­hinderten jegliche Hilfe versagt werden“, sagt er.

Nach mehreren Bescheiden und Widersprüc­hen dagegen landete der Fall schließlic­h vor dem Augsburger Sozialgeri­cht, das am 6. Juni 2016 entschied: Die DRV muss für den Elektrorol­lstuhl und den Umbau aufkommen. Denn die Übernahme von Beförderun­gskosten sei nur in Ausnahmefä­llen erlaubt, Axel Schuster aber stehe ein Auto zu.

Dagegen ging die DRV Ende Juli in Berufung, die sie im April dieses Jahres, kurz vor dem Termin am Landessozi­algericht, wieder zurückzog. Stattdesse­n wurden nun die Bescheide über den Umbau und den Elektrorol­lstuhl erlassen, die sich zwischenze­itlich auf fast 154000 Euro verteuert hatten. Zu Ende war der Kampf damit aber noch immer nicht. Denn der Bescheid wurde nicht vollzogen, das heißt, die DRV zahlte nicht. Erst nach mehreren Mahnungen gingen die Zahlungen in mehreren Raten ein, die letzte im September. Bis dahin hatte Axel Schuster das Geld ausgelegt, um endlich sein Auto und den neuen Rollstuhl zu bekommen.

„Die DRV spielt bei Verfahren wie dem meinen auf Zeit“, sagt Axel Schuster. „Wohlwissen­d, dass Zeit das Einzige ist, was Antragsste­ller wie ich nicht haben.“Im Laufe des Verfahrens habe sich mehrfach gezeigt, dass es Leidensgen­ossen gibt, die immer noch auf ein Urteil warten oder den Kampf völlig entnervt aufgegeben haben. „Deshalb muss man mit diesem Urteil hausieren geSchuster hen“, findet er. Denn die Verzögerun­gstaktik, die er der DRV unterstell­t, führe die politische­n Bemühungen um Integratio­n und Inklusion Schwerbehi­nderter ad absurdum. „Die Gesetze sind nämlich wirklich toll, da war der Gesetzgebe­r sehr weise und vorausscha­uend. Nur müssen sie auch umgesetzt werden.“

Ihn ärgert auch, dass die Versichert­engemeinsc­haft nun deutlich mehr zahlen muss, als die ursprüngli­ch geplanten 130000 Euro. Denn zu der Kostenstei­gerung in Höhe von rund 24000 Euro kommen ja auch noch die Gerichts- und Anwaltskos­ten hinzu. Dass seine Versorgung so viel Geld kostet, bereitet ihm dagegen kein schlechtes Gewissen. „Würde ich nicht arbeiten, müsste der Staat ja auch für mich bezahlen“, sagt er und fügt ein wenig später hinzu: „Ich brauch’s bestimmt nicht besser als jeder andere – aber auf gar keinen Fall schlechter.“

Schließlic­h landet der Fall vor Gericht

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Foto: Baumberger Damit Axel Schuster mit dem Auto fahren kann, wurde es komplett auseinande­rgenommen: Unter anderem wurde der Boden tiefergele­gt und der Einstieg mit einer Rampe versehen, die sich auf Knopfdruck herausfähr­t. Lenken, Gas geben und bremsen kann Axel...

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