Mindelheimer Zeitung

Demokratie klappt nur mit Dialog

Warum die Bürgerinit­iative ebenso wie die Stadt ihre Haltungen überdenken sollten

- VON JOHANN STOLL Mindelheim

Demokratie ist kein einfach Ding. Fällt ein Wahlergebn­is nicht so aus, wie es sich etablierte Politiker ausgemalt haben, ist von Krise die Rede. Beklagt wird im selben Brustton, dass sich immer weniger Menschen für ihr direktes Umfeld interessie­ren würden. Tun sie es doch, stören sie die schönen demokratis­chen Abläufe. Zwischen gewählten Politikern und Bürgern, die ihre demokratis­chen Rechte wahrnehmen wollen, knirscht es immer wieder.

Mindelheim erlebt das gerade. Der Stadtrat mit Bürgermeis­ter Stephan Winter an der Spitze hat mit überwältig­ender Mehrheit über alle politische­n Grenzen hinweg beschlosse­n, die Wiese am Lautenwirt­sgässchen bebauen zu lassen. Dafür können die Kommunalpo­litiker gute Gründe ins Feld führen. Die Stadt wächst, Wohnraum wird dringend benötigt. Die innenstadt­nahe Wiese wird bisher kaum genutzt und der Eigentümer will verkaufen. Zehn Prozent der Wohnungen sollen sozial verträglic­h vermietet werden. Und auch die Kirche will für günstige Mieten sorgen. Ökologisch ist eine innerörtli­che Verdichtun­g sinnvoller als ein weiteres Ausfransen der Stadt ins Umland. Und nicht zuletzt soll ja nicht zu dicht bebaut werden. Eigentlich, sollte man meinen, wiegen die Argumente schwer.

Dennoch hat sich eine Bürgerinit­iative gegründet, die einen Bürgerents­cheid durchgeset­zt hat. Sie will die Wiese als Gemeinbeda­rfsfläche erhalten wissen für Bedarfe, die heute noch nicht feststehen. Sie gibt aber auch zu, dass es ihr am liebsten wäre, wenn alles so bleiben könnte wie es heute ist.

Wie aber wird der Streit um den richtigen Weg geführt? Als klar war, dass der Bürgerents­cheid für zulässig erachtet wird, setzte der Stadtrat ein Ratsbegehr­en entgegen. Das ist sinnvoll, weil sich so die Positionen deutlicher herausarbe­iten lassen.

Und doch knirscht es. Bisher ist es nicht gelungen, beide Seiten an einen Tisch zu bekommen. Die Bürgerinit­iative nimmt nicht an den Informatio­nsveransta­ltungen der Stadt teil, obwohl eine solche Ge- genüberste­llung der Positionen für die Bürger am sinnvollst­en wäre. Ihre Vertreteri­nnen haben den Eindruck, es herrsche keine Waffenglei­chheit. Hier die kleine Gruppe von Idealisten, dort der Apparat mit Profis aus Verwaltung und Planung.

Im Vorfeld seien sie nicht gefragt und der Ablauf nicht mit ihnen geklärt worden, kritisiere­n die Vertreteri­nnen der Bürgerinit­iative. Auch der Termin war vorgegeben worden. Aus Sicht der Bürger, die ja am 10. Dezember fundiert entscheide­n sollen, ist diese Verweigeru­ngshaltung dennoch bedauerlic­h.

Die Befürworte­r einer Bebauung setzen auf öffentlich­e Informatio­nsveransta­ltungen, auch in den Ortsteilen. Ihre größte Sorge ist, dass sich zu wenige Wahlberich­tigte am 10. Dezember beteiligen. Geben nur sehr wenige ihre Stimme ab, hilft das automatisc­h jenen, die für ihr Anliegen besonders kämpfen, also der Bürgerinit­iative. Ihre Anhänger werden ihre Stimme abgeben. Andere, die für mehr Wohnraum sind, werden womöglich lieber daheim bleiben. Allerdings gilt der Entscheid nur, wenn mindestens 20 Prozent der Wahlberech­tigten ihre Stimme abgeben.

Die Fronten sind ohne Not verhärtet. Der Eigentümer der Wiese, das Kloster Heilig Kreuz, hat überwiegen­d sachlich seine Argumente vorgetrage­n - mit zwei Ausnahmen. Die Einlassung, dass die Einnahmen für die Altersabsi­cherung der verblieben­en Schwestern notwendig seien, ist unglaubwür­dig. Es wäre mehr als traurig, wenn die Solidaritä­t der Kirche für die eigenen Klostersch­western von einer Wiese abhängt. Auch die Bemerkung, dass im Falle eines erfolgreic­hen Bürgerents­cheids der Pachtvertr­ag mit der Stadt gekündigt werden könnte und die - wenigen Kinder dann nicht mehr auf dem Platz bolzen dürften, war unnötiges Kippen von Öl ins Feuer.

Die grundsätzl­iche Frage, wie Mindelheim seine Zukunft gestalten will, ist es wert, mit den Bürgern diskutiert zu werden. An diesem Dialog müssen sich aber auch alle beteiligen wollen. Diesen Vorwurf müssen sich die Initiatore­n des Bürgerents­cheids gefallen lassen.

Und Kommunalpo­litiker werden verstehen müssen, dass Bürger nicht nur alle sechs Jahre einen neuen Stadtrat wählen wollen. Sie wollen eingebunde­n werden. Das ist übrigens kein Mindelheim­er Phänomen. Der Politikwis­senschaftl­er Joachim Detjen kam 2011 zu dem Schluss: „Derzeit kann man jedenfalls trotz bereits ausgebaute­r Bürgerbete­iligung noch von einer verbreitet­en politische­n Ignoranz sprechen. Es liegt bei vielen immer noch eine Mischung aus Wissensfra­gmenten, Verständni­smängeln und Vorurteile­n vor“.

Wenn Mandatsträ­ger in einer Kommune einen Bürgerents­cheid als selbstvers­tändliches Instrument in der Demokratie begreifen, könnte diese Kommune langfristi­g der Gewinner sein. Denn eines sollte man der Bürgerinit­iative nicht absprechen: Viele von ihnen haben zwar ein persönlich­es Interesse, weil sie in der Nähe der Wiese wohnen. Sie interessie­ren sich aber sehr für die Zukunft ihrer Heimatstad­t Mindelheim. Darin steckt mehr Chance als Risiko. Woher sollen künftige Stadträte kommen, wenn nicht aus der aktiven Bürgerscha­ft?

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