Demokratie klappt nur mit Dialog
Warum die Bürgerinitiative ebenso wie die Stadt ihre Haltungen überdenken sollten
Demokratie ist kein einfach Ding. Fällt ein Wahlergebnis nicht so aus, wie es sich etablierte Politiker ausgemalt haben, ist von Krise die Rede. Beklagt wird im selben Brustton, dass sich immer weniger Menschen für ihr direktes Umfeld interessieren würden. Tun sie es doch, stören sie die schönen demokratischen Abläufe. Zwischen gewählten Politikern und Bürgern, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollen, knirscht es immer wieder.
Mindelheim erlebt das gerade. Der Stadtrat mit Bürgermeister Stephan Winter an der Spitze hat mit überwältigender Mehrheit über alle politischen Grenzen hinweg beschlossen, die Wiese am Lautenwirtsgässchen bebauen zu lassen. Dafür können die Kommunalpolitiker gute Gründe ins Feld führen. Die Stadt wächst, Wohnraum wird dringend benötigt. Die innenstadtnahe Wiese wird bisher kaum genutzt und der Eigentümer will verkaufen. Zehn Prozent der Wohnungen sollen sozial verträglich vermietet werden. Und auch die Kirche will für günstige Mieten sorgen. Ökologisch ist eine innerörtliche Verdichtung sinnvoller als ein weiteres Ausfransen der Stadt ins Umland. Und nicht zuletzt soll ja nicht zu dicht bebaut werden. Eigentlich, sollte man meinen, wiegen die Argumente schwer.
Dennoch hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die einen Bürgerentscheid durchgesetzt hat. Sie will die Wiese als Gemeinbedarfsfläche erhalten wissen für Bedarfe, die heute noch nicht feststehen. Sie gibt aber auch zu, dass es ihr am liebsten wäre, wenn alles so bleiben könnte wie es heute ist.
Wie aber wird der Streit um den richtigen Weg geführt? Als klar war, dass der Bürgerentscheid für zulässig erachtet wird, setzte der Stadtrat ein Ratsbegehren entgegen. Das ist sinnvoll, weil sich so die Positionen deutlicher herausarbeiten lassen.
Und doch knirscht es. Bisher ist es nicht gelungen, beide Seiten an einen Tisch zu bekommen. Die Bürgerinitiative nimmt nicht an den Informationsveranstaltungen der Stadt teil, obwohl eine solche Ge- genüberstellung der Positionen für die Bürger am sinnvollsten wäre. Ihre Vertreterinnen haben den Eindruck, es herrsche keine Waffengleichheit. Hier die kleine Gruppe von Idealisten, dort der Apparat mit Profis aus Verwaltung und Planung.
Im Vorfeld seien sie nicht gefragt und der Ablauf nicht mit ihnen geklärt worden, kritisieren die Vertreterinnen der Bürgerinitiative. Auch der Termin war vorgegeben worden. Aus Sicht der Bürger, die ja am 10. Dezember fundiert entscheiden sollen, ist diese Verweigerungshaltung dennoch bedauerlich.
Die Befürworter einer Bebauung setzen auf öffentliche Informationsveranstaltungen, auch in den Ortsteilen. Ihre größte Sorge ist, dass sich zu wenige Wahlberichtigte am 10. Dezember beteiligen. Geben nur sehr wenige ihre Stimme ab, hilft das automatisch jenen, die für ihr Anliegen besonders kämpfen, also der Bürgerinitiative. Ihre Anhänger werden ihre Stimme abgeben. Andere, die für mehr Wohnraum sind, werden womöglich lieber daheim bleiben. Allerdings gilt der Entscheid nur, wenn mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben.
Die Fronten sind ohne Not verhärtet. Der Eigentümer der Wiese, das Kloster Heilig Kreuz, hat überwiegend sachlich seine Argumente vorgetragen - mit zwei Ausnahmen. Die Einlassung, dass die Einnahmen für die Altersabsicherung der verbliebenen Schwestern notwendig seien, ist unglaubwürdig. Es wäre mehr als traurig, wenn die Solidarität der Kirche für die eigenen Klosterschwestern von einer Wiese abhängt. Auch die Bemerkung, dass im Falle eines erfolgreichen Bürgerentscheids der Pachtvertrag mit der Stadt gekündigt werden könnte und die - wenigen Kinder dann nicht mehr auf dem Platz bolzen dürften, war unnötiges Kippen von Öl ins Feuer.
Die grundsätzliche Frage, wie Mindelheim seine Zukunft gestalten will, ist es wert, mit den Bürgern diskutiert zu werden. An diesem Dialog müssen sich aber auch alle beteiligen wollen. Diesen Vorwurf müssen sich die Initiatoren des Bürgerentscheids gefallen lassen.
Und Kommunalpolitiker werden verstehen müssen, dass Bürger nicht nur alle sechs Jahre einen neuen Stadtrat wählen wollen. Sie wollen eingebunden werden. Das ist übrigens kein Mindelheimer Phänomen. Der Politikwissenschaftler Joachim Detjen kam 2011 zu dem Schluss: „Derzeit kann man jedenfalls trotz bereits ausgebauter Bürgerbeteiligung noch von einer verbreiteten politischen Ignoranz sprechen. Es liegt bei vielen immer noch eine Mischung aus Wissensfragmenten, Verständnismängeln und Vorurteilen vor“.
Wenn Mandatsträger in einer Kommune einen Bürgerentscheid als selbstverständliches Instrument in der Demokratie begreifen, könnte diese Kommune langfristig der Gewinner sein. Denn eines sollte man der Bürgerinitiative nicht absprechen: Viele von ihnen haben zwar ein persönliches Interesse, weil sie in der Nähe der Wiese wohnen. Sie interessieren sich aber sehr für die Zukunft ihrer Heimatstadt Mindelheim. Darin steckt mehr Chance als Risiko. Woher sollen künftige Stadträte kommen, wenn nicht aus der aktiven Bürgerschaft?